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Vorladung in den Zeugenstand?

Philippinische Expräsidentin soll im Prozeß zum Massaker von Maguindanao aussagen

Von Thomas Berger *

Es ist erst einige Wochen her, daß Gloria Macapagal Arroyo das höchste Staatsamt an ihren Nachfolger Benigno Aquino abgegeben hat, der die Wahlen vom 10. Mai gewonnen hatte. Von der politischen Bühne abgetreten ist die Expräsidentin allerdings nicht. Zwar mußte sie ihre Pläne begraben, sich zur Parlamentschefin des Unterhauses wählen zu lassen, doch hat sie dort für die nächsten Jahre immerhin als einfache Abgeordnete Sitz und Stimme. Obwohl ihre Partei einen Aderlaß von Übertritten zur Liberalen Partei (LP) des Wahlgewinners durchleben mußte, kontrolliert sie nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Gruppe von Parlamentskollegen.

Nun soll Arroyo vor Gericht erscheinen. Allerdings geht es dabei nicht um eine der zahlreichen Verfehlungen, die der US-freundlichen Politikerin aus der Zeit ihrer Amtsausübung (2001–2010) zur Last gelegt werden – die Liste reicht von Korruption über Wahlfälschung, Verfolgung und Ermordung Oppositioneller. Vielmehr soll sie zum sogenannten Maguindanao-Massaker aussagen. Die Anwälte der angeklagten Mitglieder des Ampatuan-Clans wollen sie bei der Verhandlung in den Zeugenstand holen. Offen ist, wie das Gericht reagiert, wenn sich Arroyo dem Ansinnen verweigert. Im November vergangenen Jahres war es im Süden des südostasiatischen Inselstaates zu politischen motivierten Massenmorden gekommen. Insgesamt fielen 57 Menschen, darunter 32 Medienvertreter, dem Massaker zum Opfer.

Die Journalisten hatten Politiker einer Familie begleitet, die bei den Wahlen die Vorherrschaft des Ampatuans-Clans in der »Autonomen Region des Muslimischen Mindanao« (ARMM) brechen wollten. Andal Ampatuan Senior, ein enger Verbündeter von Gloria Arroyo, seine Söhne und weitere Verwandte sollen den Hinterhalt geplant haben. Sechs Vertreter der Ampatuans sollen des Mordes angeklagt werden, knapp 200 Mitglieder ihrer Privatmiliz könnten bei einem Schuldspruch in einem zweiten Prozeß ebenfalls als Beteiligte zur Rechenschaft gezogen werden.

Offiziell hatte Gloria Arroyo, die nun als Entlastungszeugin agieren soll, nach dem Massaker ihre Verbindungen zur Familie gekappt. Ob dies tatsächlich erfolgte, ist unklar. Schließlich waren die Ampatuans über viele Jahre hinweg ihre wichtigsten Verbündeten in dieser Region. Sie hatten dort den Wahlsieg Arroyos oder ihrer Getreuen gesichert. Also dürfte es der Expräsidentin eher unangenehm sein, ihre so intensiven Beziehungen zu dem Clan im Gerichtssaal öffentlich darzulegen. Erhellend wäre es indes allemal. Auch deswegen, weil der wichtigste Belastungszeuge, ein Mitglied der Familienmiliz, unlängst einem Mordanschlag zum Opfer fiel.

* Aus: junge Welt, 9. August 2010


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