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Streit um Landreform auf Philippinen

Das ungeschriebene Gesetz des Landherrn gilt vielerorts weiter / Linke über Kurs zerstritten

Von Gisela Dürselen *

Wer dieser Tage von den Philippinen spricht, nennt Mindanao. Keiner spricht von Bondoc. Dabei steht die kleine Halbinsel 200 Kilometer südlich von Manila für die vielen ländlichen Regionen, die in diesem denkwürdigen Jahr 2008 in Aufruhr sind: Im Juni lief nach 20 Jahren die Förderung der philippinischen Landreform CARP aus.

Die Zeichen stehen auf Sturm: Würde die philippinische Landreform tatsächlich planmäßig beendet, hätten eine Million Farmer und ihre Familien jede Chance verloren, je wieder legal an Land zu kommen. Bis Ende Dezember haben die Politiker Zeit, sich auf ein neues Gesetz zu einigen.

Der Streit um die Landreform CARP offenbart die tiefe Kluft, die sich seit den 90er Jahren durch die philippinische Linke zieht: Während die gemäßigte Linke für eine Verlängerung der Landreform mit tiefgreifenden Reformen eintritt, kämpft die extreme Linke für das sogenannte GARP – die »Genuine Agrarian Reform«: Bei dieser werden die Grundbesitzer enteignet, und das Land wird an die Farmer verteilt, ohne dass diese dafür etwas zahlen müssen. Bei der CARP wird hingegen landwirtschaftlich nutzbares Land an die derzeitigen Pächter und Arbeiter der großen Landbesitzer verteilt: Jedem Antragsteller stehen drei Hektar zu, zudem drei weitere Hektar pro Erbe. Der Landbesitzer bekommt einen großzügig geschätzten Grundstückspreis vom Staat. 85 Prozent dieser Summe zahlen die CARP-Begünstigten in Raten an den Staat – teilweise 30 Jahre lang – zurück.

Die extreme Linke, das sind in den Philippinen vor allem die CPP, die verbotene kommunistische Partei, und ihr bewaffneter Arm, die Neue Volksarmee (New Peoples Army – NPA). Die maoistische NPA hat sich in manchen Gegenden mit den Großgrundbesitzern verbündet, weil die einen wie die anderen die Landreform scheitern lassen wollen. Zwischen allen Fronten stehen die Farmer. Manchmal werden sie von der NPA umworben; manchmal von NPA und Landbesitzern gemeinsam schikaniert. Auf Bondoc, das zu den ärmsten und am rückständigsten Gegenden der Philippinen zählt, werden die Bauern auch manchmal umgebracht.

Der Farmer Julie Empas Deolito in dem kleinen Ort San Narciso auf Bondoc hat sich getraut: Er hat sich in einer Bauernorganisation engagiert und für die Umsetzung der Landreform gekämpft. In diesem Frühjahr hat er seinen Einsatz mit dem Leben bezahlt.

Julie hätte an jenem Dienstagabend des 19. Februar nicht mit seinen Nachbarn in die Videobar gehen dürfen. Die Farmer sangen romantische Lieder zu kitschigen Musikfilmen und tranken Gin. So wie es üblich ist, wenn jemand etwas zu feiern hat. Plötzlich standen drei Männer in der Tür, hielten den Leuten ihre Pistolen vor die Nase und zwangen sie, sich auf den Boden zu legen. Sie zwangen alle bis auf einen: Julie Deolito nahmen sie mit. Für die nächsten drei Wochen war Julie verschwunden. Am 9. März wurde er in einem Erdloch gefunden: die Hände auf den Rücken gebunden, die Knochen gebrochen, Messerstiche im Hals und einen Knebel im Mund.

Julie war nicht der Einzige, der in den vergangenen Jahren auf Bondoc ermordet wurde. Auf der Kokosnusshalbinsel herrscht bis heute das »hacienda law«: Das Gesetz des Grundherrn, der allein auf seinem Gebiet über alles bestimmt. Der Grundherr setzt sein privates Recht durch mit Hilfe bewaffneter Sgar icherheitsleute – und manchmal auch mit Hilfe von Bürgermeistern, Polizei und Richtern, die er bestochen hat. Auf Bondoc gibt es drei Familien, denen fast alles Land gehört. Die Bauern leben im feudalen Pachtsystem: Sie bestellen die Kokosnussplantagen und kommen für alle Unkosten auf. Die Ernte wird geteilt mit dem Landherrn, der bis zu 75 Prozent bekommt.

Von den drei Männern, die Julie Deolito ermordet haben, sind zwei spurlos verschwunden, einer sitzt im Gefängnis. Er soll Drahtzieher der Tat gewesen sein und wird mit der maoistischen NPA in Verbindung gebracht. Auf der Todesliste der NPA stehen vorzugsweise linke Aktivisten, die sich nicht der Führung der extremen Linken beugen. Auch Julie Deolito soll einige Zeit lang Todesdrohungen bekommen haben. Aber ganz so einfach, wie es in den Polizeiakten steht, ist der Fall nicht. Manche Farmer wechseln die Fronten: Sie sind heute mit der NPA, gehen morgen mit den Schlägertrupps der Landlords und kämpfen vielleicht übermorgen in einer Bauernorganisation um ihr Recht auf Land. In den Augen der Maoisten sind die Philippinen eine rein formale Demokratie, in der sich ohne Revolution nichts an den ungleichen Besitzverhältnissen ändern wird. Die NPA sagt den Bauern, CARP sei nur durch Druck von der Straße entstanden: sozusagen ein Alibi für die Regierung und eigentlich nicht gewollt. Nach den heftigen Diskussionen um das CARP in diesem Sommer, bei denen sich die linken Reformer nicht durchsetzten, hat die extreme Linke ein paar Argumente mehr: Die Politiker beschlossen statt eines Budgets nur eine Resolution mit einer weiteren Frist bis Ende 2008. Das Land, das jetzt noch zur Verteilung ansteht, gehört den großen Grundbesitzern, von denen viele im Senat sitzen. Nur wenige erwarten, dass genau diese Landlords einem neuen Budget fürs CARP und einem reformierten Gesetz zustimmen, das die Landverteilung erleichtert.

Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo hat der CARP-Verlängerung höchste Dringlichkeit eingeräumt. Sie verknüpft die Zukunft der Landreform mit der Lösung der schlimmsten Reiskrise, in der sich das Land je befand. Aber mit dieser Aussage ist es wie oft im politischen Spiel auf den Philippinen: Nicht immer ist das, was offiziell gesagt wird, auch das, was sich hinter den Kulissen abspielt. Viele Farmer sehen nur, dass es ihnen von Jahr zu Jahr schlechter geht, während die philippinische Wirtschaft wächst und wächst. Viele glauben nicht mehr an einen politischen Willen, etwas an der sozialen Schieflage zu verändern.

Genard, der 20-jährige Sohn des ermordeten Julie Deolito, lebt inzwischen an einem versteckten Ort. Auch er hat Todesdrohungen bekommen, weil er sich wie sein Vater für die CARP einsetzen will. NPA und Landlords sagen den Bauern von Bondoc, dass die CARP bereits jetzt zu Ende sei und keinerlei Hoffnung mehr auf eigenes Land bestehe. Die Bauernorganisationen dagegen sagen, dass politisches Engagement kurz vor dem Auslaufen der Frist nötiger sei denn je. Was nach 2008 passiert, falls die Landreform tatsächlich zu Ende geht, wagt keiner vorauszusagen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2008


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