Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Kriegswolken

Im Süden der Philippinen erleidet der Friedensprozeß einen schweren Rückschlag. Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) eskalieren

Von Rainer Werning, Zamboanga City *

Läge Mindanao im Kaukasus, hätten die Menschen auf dieser größten südphilippinischen Insel in den letzten Wochen das Privileg genossen, daß ihr Leid wenigstens teilweise Aufmerksamkeit in den internationalen Medien gefunden hätte. Statt dessen blieben die Scheinwerfer auf Georgien und die Olympischen Spiele gerichtet. Dabei hätte Dienstag, der 5. August, ein großartiger Tag in Richtung Frieden sein können, von dem die Bevölkerung in einer der ältesten Konfliktregionen Südostasiens seit langem träumt. Doch es kam buchstäblich knüppeldicke.

Düpierte Diplomaten

Bereits am 27. Juli war unter der Schirmherrschaft Malaysias von Vertretern der philippinischen Regierung und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), der gegenwärtig bedeutendsten und größten Organisation des muslimischen Widerstands, das sogenannte MoA-AD (Memorandum of Agreement on Ancestral Domain, Memorandum zur Vereinbarung über eine Heimstätte, siehe Kasten) ausgehandelt worden. An jenem 5. August, so jedenfalls sah es die Etikette vor, sollte es in einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet werden. Die Vertragspartner und hohe geladene ausländische Gäste, unter ihnen die in Manila akkreditierten Botschafter der USA, Australiens und Japans sowie der Sonderemissär der Organisation der Islamischen Konferenz, waren bereits in der malaysischen Metropole Kuala Lumpur, als der Oberste Gerichtshof der Philippinen im letzten Moment mittels einer einstweiligen Verfügung die offizielle Vertragsunterzeichnung torpedierte. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang in der Geschichte internationaler Diplomatie. Das Gericht in Manila begründete seinen Last-Minute-Akt damit, es müsse prüfen, ob kurzfristig eingereichten Petitionen philippinischer Regionalpolitiker und Geschäftsleute stattzugeben sei, die meinen, das MoA-AD verstoße gegen geltendes Recht und die Verfassung.

Unverzüglich machten sich allseits Wut und Enttäuschung breit. In Kuala Lumpur mußten sich hochrangige Diplomaten nolens volens wie düpierte Deppen vorkommen. Die Verhandlungsführer Manilas schlichen sich kleinlaut vom Parkett. Und der ansonsten stets um Contenance bemühte Chefunterhändler der MILF, Mohagher Iqbal, hatte sichtlich Mühe, nicht aus der Haut zu fahren. »Die philippinische Regierung«, so Iqbals erster Kommentar, »muß sich schämen, sich vor Vertretern der internationalen Gemeinschaft dermaßen blamiert zu haben. Selbst der Gastgeber, die Regierung Malaysias, hat dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt.«

Wenngleich das MoA-AD lediglich Konsenspunkte zwischen den Vertragspartnern und eine Art Roadmap in Richtung Frieden entwirft, bedeutet es längst keinen abschließenden und rechtsverbindlichen Friedensvertrag. Selbst wenn ein solcher Vertrag unterzeichnet worden wäre und in Kraft träte, müßten immer noch Nichtmuslime und Angehörige der indigenen Völker (lumad) im Rahmen der neuen Regierung der Bangsamoro, wie sich die Urbevölkerung selbst nennt, per Plebiszit darüber entscheiden, ob sie einer solchen Verwaltung zustimmen oder sie ablehnen. Schließlich wäre in einer gesonderten Abstimmung möglicherweise eine Verfassungsänderung nötig, die das bestehende präsidiale Regierungssystem zugunsten eines parlamentarischen und föderalen Systems änderte. Danach besäße die Bangsamoro-Regierung auch nicht automatisch die Oberhoheit über jenes Land der Ahnen, auf dem beispielsweise heute internationale Bergwerksgesellschaften agieren oder Bodenschätze aufgrund bestehender Gesetze und Abkommen mit ausländischen Firmen und lokalen (nichtmuslimischen) Großgrundbesitzern abgebaut werden. Der Zentralregierung bliebe theoretisch immer noch die Möglichkeit, im »nationalen Interesse« den »Notstand« auszurufen, um nicht die Kontrolle über Energiequellen wie Erdgas oder Öl zu verlieren. Ob die MILF-Führung ihrem Anliegen nähergekommen ist, wenigstens einen Teil des Grund und Bodens ihrer Ahnen, die bis zu Beginn der US-amerikanischen Kolonialherrschaft (1898–1946) nahezu ganz Mindanao, Sulu und Palawan besiedelt und kontrolliert hatten, ist gegenwärtig nicht eindeutig auszumachen. Gegenüber jW hatte einst der (2003 verstorbene) MILF-Vorsitzende Hashim Salamat kategorisch erklärt: »Ein unabhängiges Bangsamoro ist nicht verhandelbar. Reden und verhandeln läßt sich einzig über dessen genaues Territorium.«

Die Gewalt eskaliert

Doch es gibt in Manila und auf Mindanao gewichtige Akteure, die partout nicht reden wollen. Erst recht dann nicht, wenn sie befürchten, im Rahmen von Verhandlungen mit Moros auch nur einen Bruchteil ihrer Macht und Pfründe zu verlieren. Für sie ist der »Moro«1 das geblieben, was er für die spanischen Kolonialherren (1521–1898) von Anbeginn war – ein Abschaum in Gestalt von Piraten, Banditen und unzivilisierten Stämmen. Noch immer sitzen vor allem in der Bevölkerung im Norden und zentralen Teil der Philippinen die Ressentiments gegenüber Moros dermaßen tief, daß solche Feindbilder bevorzugt bemüht werden, um von höchst kontroversen innenpolitischen Themen – einschließlich Korruption und Vetternwirtschaft – abzulenken. Von den größeren Städten auf Mindanao hat sich vor allem Zamboanga City, im Südwestzipfel der Insel gelegen, stets als Hochburg antimuslimischer Stimmungen hervorgetan. Zamboanga war stets eine Frontstadt christlicher Siedlerkolonialisten im Kampf gegen die Moros, die die Spanier nie in die Knie zwingen konnten. Doch wo sie ein mächtiges Fort errichteten und wo als einzige Stadt in den Philippinen die spätere US-Kolonialmacht eine Plaza eigens General John Joseph Pershing widmete. Wegen mehrerer von Pershing mitverantworteter Massaker in Min­danao und vor allem auf der weiter südlich gelegenen Insel Jolo gilt der General in diesem Teil des Archipels als »Schlächter der Moros«. Sein Andenken ehrt mit Verve der in Zamboanga mächtige Lobregat-Clan, dessen Tentakeln in einflußreiche Kreise von Politik und Wirtschaft reichen. Kein Wunder, daß die konservativen Kräfte und extrem reaktionären Hardliner auf Mindanao im hiesigen Bürgermeister Celso Lobregat ihren ideellen Gesamtfundamentalisten gefunden haben. Offen ruft Lobregat mit Gleichgesinnten dazu auf, notfalls mit bereits bestehenden oder neuen bewaffneten Bürgerwehren gegen eine wie auch immer geartete Bangsamoro-Selbstverwaltung vorzugehen.

Gleichzeitig haben der Inhalt des MoA-AD und dessen einstweilige Aussetzung durch den Obersten Gerichtshof jenen Kräften inner- wie außerhalb der MILF Oberwasser verschafft, denen langwierige Verhandlungen eh suspekt waren und die nunmehr bitter enttäuscht darüber sind, daß trotzdem keine greifbaren Ergebnisse vorliegen. Es gibt Feldkommandeure der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte (BIAF), des bewaffneten Arms der MILF, die lieber heute als morgen klare Resultate auf dem Schlachtfeld erzwingen würden. Mehr noch: Viele Moro-Jugendliche sind in einem von Massenarmut und Perspektivlosigkeit gekennzeichneten Umfeld aufgewachsen, in dem sie von Kindesbeinen an nur mit Militarisierung, massiver Präsenz von Schußwaffen und der Kultur von bewaffneten Familienfehden (rido) sozialisiert wurden. Allein das Tragen eines Gewehrs gilt als notwendiger Bestandteil des Machismo und als Respekt einflößend. Wird sich für diese Generation absehbar nichts wesentlich ändern, rekrutiert sich aus ihr eine radikalisierte Gruppe neuer Moro-Kämpferinnen und -Kämpfer.

Bereits wenige Tage nach dem diplomatischen Debakel in Kuala Lumpur lieferten sich Verbände der BIAF und Einheiten der regulären phi­lippinischen Streitkräfte (AFP) zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte in den Provinzen Nordcotabato und Lanao del Norte. Während in der Hauptstadt Manila die Nationalpolizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurde, da man Anschläge der MILF gegen öffentliche Einrichtungen befürchtete, weiteten sich derweil die Kampfhandlungen auf Mindanaos Provinzen Lanao del Sur, Maguindanao, Shariff Kabunsuan und Sarangani weiter aus. Am 17. August erklärte der Sprecher des Nationalen Desaster-Koordinierungsrats der Philippinen, Anthony Golez, daß nach vorläufigen und unvollständigen Berichten aus den betroffenen Provinzen bislang neun Tote, 22 Verletzte und 165000 interne Flüchtlinge zu beklagen seien – Tendenz der Opferzahlen rasch steigend. Am 21. August sprach das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen bereits von über 220000 Menschen, die angesichts der Kampfhandlungen in Mindanao auf der Flucht seien. Wenngleich die Sicherheitsvorkehrungen für das eigene Personal erhöht worden seien, erklärte Stephen Anderson, der Philippinen-Beauftragte und Repräsentant des WFP im Lande, sei seine Organisation imstande, die Opfer mit knapp 900 Tonnen Reis zu versorgen. Im übrigen hoffe er sehr, daß sich die Lage alsbald verbessere.

Harsche Kritik an der Präsidentin

Ein frommer Wunsch, da beide Seiten ihren Waffengang verstärkten und ihre Propaganda von Tag zu Tag schriller wurde. Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats kündigte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als Oberkommandierende der Streitkräfte an, »jeden Zoll philippinischen Territoriums« zu verteidigen. Man könne prüfen, so ließ sie durch ihren Pressesprecher Jesus Dureza im Präsidentenpalast Malacañang verlauten, ob man Unklarheiten im MoA-AD bereinige und darüber mit der MILF in neue Verhandlungen trete. »Man sollte nicht von Krieg sprechen, was keine Option ist«, so Dureza, »sondern über Frieden, was stets unsere Option ist und bleiben wird.« In der vorliegenden Form jedenfalls könne das MoA-AD aufgrund anhaltend starker Proteste nicht unterzeichnet werden. »Wir stellen uns keinen Krieg vor«, konterte MILF-Chefunterhändler Mohagher Iqbal, »doch wir sind dazu bereit«. Das MoA-AD ist von beiden Seiten einvernehmlich ausgehandelt und vereinbart worden. Diese Absprache sei, so Iqbal, unabhängig von dem Fiasko in Kuala Lumpur bindend. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press am 20.August fügte Iqbal kategorisch hinzu, Neuverhandlungen werde es keineswegs geben; »das wäre so, als öffnete man eine Büchse voller Würmer«.

Noch härter gehen kritische Journalisten, Menschenrechtsanwälte und Angehörige unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen mit der Regierung – erst recht mit Präsidentin Arroyo – ins Gericht. Am 6. August, einen Tag nach der gescheiterten Unterzeichnung des MoA-AD, schrieb der Kolumnist Neal Cruz in der landesweit auflagenstärksten Tageszeitung Philippine Daily Inquirer, Manilas Motive seien »hinterhältig und niederträchtig«. »Wenn das MoA-AD nicht implementiert wird«, so Cruz, »kann die MILF mit gutem Recht sagen, daß die Regierung in schlechter Absicht handelte, und sie kann notfalls sogar die Unabhängigkeit erklären, da sie über sämtliche Elemente verfügt, die einen Staat auszeichnen: Regierung, Volk, Territorium und internationale Anerkennung.« »Was soll denn das«, schreibt Cruz weiter, »erst nach einem ausgehandelten Abkommen wolle man Konsultationen abhalten? Solche werden normalerweise vor einem Abkommen durchgeführt. (...) Nach so langwierigen Verhandlungen konnte es der Arroyo-Administration auf einmal nicht schnell genug gehen, obgleich der Text des MoA-AD bis zum Schluß geheim blieb und nur wenige Eingeweihte ihn kannten.«

Tatsächlich hatte Hermogenes Esperon, bis vor kurzem noch Generalstabschef der Streitkräfte und von der Präsidentin nach heftigen Protesten zu ihrem Friedensberater ernannt, erst Anfang August Kopien des MoA-AD nur ausgewählten Generälen seines Vertrauens, nicht aber Senatoren oder Kongreßabgeordneten überreicht. Am 28. Juli hatte Frau Arroyo in ihrer jährlichen Rede an die Nation angedeutet, daß endlich ein Frieden in Mindanao zum Greifen nahe sei. Außerdem hatte die malaysische Regierung, unter deren Schirmherrschaft die Gesprächsrunden zwischen Manila und der MILF über all die Jahre stattgefunden hatten, signalisiert, daß sie ihr Kontingent des außer von Malaysia noch von Libyen, Brunei und Japan gestellten Internationalen Monitoring-Teams (IMT) in Mindanao abziehen würde, wenn der Friedensprozeß nicht bald konkrete Gestalt annehme.

Es mehren sich die Stimmen derer, die der Präsidentin ein waghalsiges Spiel mit dem Feuer vorwerfen – einzig und allein des Machterhalts willen. Sie selbst hatte ihrem Verhandlungsteam grünes Licht gegeben, das am 27.Juli ausgehandelte MoA-AD mit den Initialen zu unterschreiben. Da die feierliche Unterzeichnung des Memorandums am 5. August nicht stattfand, versucht sie nunmehr, Nachbesserungen zu erreichen bzw. den Schwarzen Peter für die augenblicklich düstere Lage in Mindanao der MILF zuzuschieben. Gerate dort die Situation gänzlich außer Kontrolle, könne sie laut Verfassung und mit dem Verweis auf die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung sowie die Wahrung der nationalen Souveränität und territorialen Integrität der Republik der Philippinen das Kriegsrecht ausrufen. Eine andere, weniger martialische Variante, den eigenen Machterhalt zu sichern, könnte darin bestehen, qua Verfassungsänderung anstelle eines präsidialen ein föderales System im Lande zu verankern. Demnach wäre die Beschränkung aufgehoben, daß ein Präsident lediglich eine einmalige Amtsperiode von sechs Jahren wahrnehmen kann. Zahlreiche Juristen im Lande, darunter auch der Generalsekretär der National Union of People’s Lawyers, Neri Colmenares, haben darauf hingewiesen, was bei alledem das Hauptkalkül von Frau Arroyo sei. Sobald sie nicht mehr im Amt ist, dürfte sie mit einem Rattenschwanz von Korruptionsvorwürfen und wegen mehrfachen Amtsmißbrauchs konfrontiert werden. Zwei Amtsenthebungsverfahren hat die Lady zwar abwehren können. Was nichts daran änderte, daß sie laut mehreren Umfrageergebnissen die seit dem Sturz des Diktators Ferdinand E. Marcos im Februar 1986 die mit Abstand unbeliebteste Präsidentin ist – aber notfalls gern als Premierministerin über ihre Ende Juni 2010 endende Amtszeit hinaus weiterregieren möchte.

Interessant für US-Geostrategie

Schließlich verfolgen ausländische Mächte ihre eigenen Interessen auf der ressourcenreichen Insel Mindanao. Australien und Japan beispielsweise sind dort unter anderem stark im Bergbausektor und in Minengesellschaften engagiert, während sich die USA – die bereits mit Spezialeinheiten im Rahmen der mit Manila orchestrierten »Terrorismusbekämpfung« präsent sind – politische und geostrategische Vorteile erhoffen. Ihre Militärpräsenz vor Ort wäre ein geeignetes Sprungbrett nahe der Straße von Malakka (zwischen Malaysia, Singapur und Indonesien), der bedeutsamsten Seeroute in der Region, über die der Löwenanteil der Öl- und Gasversorgung aus dem Nahen und Mittleren Osten für die Boomökonomien Ost- und Südostasiens erfolgt und durch die in umgekehrter Richtung der Löwenanteil der Exporte dieser Länder abgewickelt wird. Für US-Militärstrategen und in US-amerikanischen Think-tanks wie der Asia Foundation in Washington stellten beispielsweise das Kapern und die anschließende Sprengung eines mit Öl- oder Flüßiggas beladenen Großtankers am engsten Punkt der Malakka-Straße eine wirtschaftliche sowie ökologische Katastrophe größten Ausmaßes dar. Auf diese Weise bräche nicht nur der Regionalhandel zusammen; dies hätte unweigerlich auch weitreichende Konsequenzen für die Weltwirtschaft.

Kritiker aus linken Gruppierungen und Parteien haben wiederholt auf die US-Karte im Min­danao-Poker hingewiesen. Neben der Präsenz von GIs dort hat US-Botschafterin Kristie Kenney – ungewöhnlich für Diplomaten ihres Kalibers – gleich mehrfach die Region besucht und dabei auch mit dem MILF-Vorsitzenden Al Haj Murad Ebrahim und anderen hochrangigen Kadern der Organisation konferiert. Außerdem war das vom US-Kongreß finanzierte und US-außenpolitische Interessen verfolgende Friedensinstitut (USIP) von 2003 bis 2007 überaus stark in der Region engagiert und führende USIP-Mitarbeiter über den Stand der Regierungsverhandlungen mit der MILF genauestens informiert. Kein Wunder, daß Frau Kenney ebenfalls am 5. August in Kuala Lumpur zugegen war, als das MoA-AD zeremoniell unterzeichnet werden sollte.

Zwar erklärte Frau Kenney öffentlich, die USA verfolgten in Mindanao keine eigenen Interessen. Doch das würden ihr nicht einmal die Marines abnehmen. Beide Akteure – MILF wie USA – sind seit Jahren bemüht, die jeweils andere Seite zu instrumentalisieren und sehr wohl eigene Kalküle durchzusetzen. Der MILF ging es zunächst darum, nicht auf die Liste der »ausländischen terroristischen Organisationen« des State Department gesetzt zu werden. Andererseits versuchte die MILF, mittels der mächtigen USA Druck auf Manila auszuüben, um ihre Ziele zu erreichen. Hauptanliegen Washingtons ist es indes, von einer friedensvertraglichen Regelung im Süden des Archipels zu profitieren. Mindanao ist – wie schon ausgeführt – nicht nur eine an Ressourcen überaus reiche Region, sondern bietet aufgrund ihrer Lage dem US-Militär ideale Möglichkeiten, an der Südflanke ihres mittelfristig bedeutendsten strategischen Rivalen, der Volksrepublik China, Flagge zu zeigen und nahe der Straße von Malakka mit eigenen Truppenkontingenten präsent zu sein. Im Zuge des »Kampfes gegen den Terror« ist bereits seit Anfang 2002 eine nicht genaue Zahl von GIs (schätzungsweise 1 200 Mann) in den Südphilippinen stationiert. Sollte es schließlich der MILF gelingen, eine Bangsamoro Republik zu gründen, so könnte deren souveräne Regierung auch über eine mögliche permanente Stationierung von US-Truppen auf ihrem Territorium verhandeln und dies erwägen – sozusagen als Gegengewicht zu Manila und als eine Art Sicherheitsgarantie. Ob ein solch riskantes Spiel mit dem Feuer erfolgversprechend wäre, muß bezweifelt werden. Auch innerhalb einer radikalen Moro-Jugend ist man nicht geneigt, ein US-imperiales Kalkül gegen ein Manila-imperiales Kalkül auszutauschen.

Anmerkung:
  1. Als »Moros« – in Anlehnung an die »Mohren«, »Mauren« Nordafrikas – nannten die spanischen Kolonialherren abschätzig die muslimische Bevölkerung im Süden der später von ihnen »Philippinen« getauften Inseln.
* Rainer Werning ist Mitherausgeber des im Horlemann Verlag erschienenen
»Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur« (384 Seiten, 14,90 Euro)



Heftiger Streitpunkt – das »Memorandum zur Vereinbarung über eine Heimstätte« (MoA-AD)

Kernpunkte des MoA-AD sind: Der muslimischen Bevölkerung in Mindanao, Sulu und Palawan wird das Recht zugestanden, als »Bangsamoro« (wörtlich: Moro-Nation) ihre eigene Identität zu wahren und ihre eigenen Rechte auszuüben, indem sie eine ihren Vorstellungen entsprechende Selbstregierung schafft, die innerhalb ihres Gebiets die dort vorhandenen Ressourcen schützt und nutzt. Diese Selbstregierung trägt den vorläufigen Namen »Bangsamoro Rechtseinheit« (Bangsamoro Juridical Entity – kurz: BJE) und soll mit größerer Autonomie und mehr Befugnissen ausgestattet sein und über ein größeres Territorium verfügen als die bislang lediglich aus fünf Provinzen und einer Stadt bestehenden »Autonomen Region in Muslim Mindanao« (ARMM). Diese entstand Ende der 1980er Jahre und ist wesentlich eine Domäne der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), von der sich die MILF 1977 abgespalten hatte und der sie vorwarf, mit ihrem am 2. September 1996 unterzeichneten »Endgültigen Friedensabkommen« mit Manila das Selbstbestimmungsrecht der Moros preisgegeben zu haben.

Das MoA-AD enthält in zwei zusätzlichen Anhängen Listen derjenigen Dörfer, die Bestandteil der BJE werden sollen. Außerdem benennt es insgesamt 151 Gemeinden, die außerhalb des avisierten BJE-Territoriums als »Besondere Interventionsgebiete« klassifiziert sind. Gemeint sind damit konfliktträchtige Gebiete, um deren Anliegen sich die Zentralregierung künftig kümmern soll. Die genauen exekutiven, legislativen und judikativen Befugnisse der BJE sowie die Nutzung der territorialen und maritimen Ressourcen dieser Region sind im Detail erst nach Unterzeichnung des MoA-AD im Rahmen sich daran anschließender Verhandlungen festzulegen. Ein Prozeß, an dessen Ende ein (ursprünglich für November 2009 vorgesehener) rechtsverbindlicher Friedensvertrag (Comprehensive Compact) stünde.



* Aus: junge Welt, 3. September 2008


Zurück zur Philippinen-Seite

Zurück zur Homepage