"Wir brauchen einen Systemwechsel"
Im philippinischen Militär regen sich oppositionelle Kräfte gegen das Arroyo-Regime. Ein Gespräch mit Major Jason Aquino
Major Jason Aquino ist zusammen mit 28 anderen Offizieren der philippinischen Streitkräfte wegen seines Widerstandes gegen die Regierung Arroyo seit dem 22.Februar 2006 interniert
Sie stehen seit drei Jahren wegen eines angeblichen Putschversuches gegen die amtierende Präsidentin Gloria Arroyo unter Arrest. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Die primäre Rolle des Militärs ist der Schutz des Volkes. Wenn das Volk durch ein Regime, das es gewählt und auf das es vertraut hat, unterdrückt, mißbraucht und entrechtet wird, besteht für das Militär nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht, zusammen mit dem Volk oder in seinem Namen zu intervenieren, um eine repressive und tyrannische Regierung zu stürzen und sie durch eine massenfreundliche Regierung zu ersetzen. Im gegenwärtigen politischen Kontext der Philippinen besteht die Lösung für unser gesamtes Problem allerdings nicht in einem bloßen Regimewechsel -- sei es nun durch einen demokratischen Prozeß oder ohne -- sondern in einem Systemwechsel.
Das war nicht immer Ihre Ansicht. Was hat Sie zu Ihrem Gesinnungswandel veranlaßt?
Ich wurde ausgebildet, um Guerilleros zu jagen und zur Strecke zu bringen. Ich wurde an die meisten Brennpunkte und in die entferntesten Ecken des Landes geschickt. In den Kampfgebieten habe ich dann allerdings den größten Teil meiner Zeit damit zugebracht, Streitigkeiten um Landbesitz und illegale Holzfällerei zu schlichten und mich mit Kleinkriminalität zu befassen, mit denen die örtlichen Beamten nicht umgehen konnten oder wollten. Ich tat mein Bestes, aber viel konnte ich nicht ausrichten. Es war sehr frustrierend, die Realität vor Ort und den traurigen Zustand der Menschen zu sehen, nur weil die Regierung ihrer Verantwortung nicht nachkam.
Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Guerilleros, die sie bekämpfen sollten?
Ich hatte mein Wissen über den echten oder vermeintlichen Feind in den Klassenräumen der Offizierschule erworben. Im Feld setzte ich das Studium fort und analysierte die Geschichte, Psyche, Motivation, Organisation und die Operationen der so genannten >Staatsfeinde< von Angesicht zu Angesicht. Das, was ich im Feld erlebte, änderte meine Sichtweise auf diesen Feind gründlich. Die New Peoples Army (NPA) zum Beispiel war von der Regierung mit dem Etikett >kommunistische Terroristen< versehen worden. Als jemand, der an den Bodenoperationen im Kampfgebiet beteiligt war, hatte ich sehr eng mit dieser Gruppe zu tun und nahm einige ihrer Mitglieder gefangen. Ich sprach mit ihnen und fand heraus, daß die meisten von ihnen Opfer sozialer Ungerechtigkeit, Entbehrung und Landraub waren.
Wie sehen Sie die Unabhängigkeits- bzw. Autonomiebewegungen der islamischen Moro-Bevölkerung auf der Insel Mindanao?
Ich war in Mindanao; die Mißstände dort waren dieselben wie im Rest des Landes. Die sezessionistischen Moro-Bewegungen konnten dank des Vertrauensverlustes der Regierung gedeihen, weil die nicht in der Lage war, die einfachsten kommunalen Probleme zu lösen. Die Entwicklung verschiedener bewaffneter Gruppen war die Folge einer allgemeinen Mißwirtschaft vergangener wie gegenwärtiger Regime und nicht des Auftauchens einer parallelen oder konkurrierenden Ideologie.
Auf den Philippinen stehen allerdings auch Gewerkschaften und andere Organisationen im Visier der Repression.
Ich betrachte die linken und zivilen gesellschaftlichen Organisationen als legitime sachorientierte Gruppen. Ich respektiere die ideologischen, politischen und religiösen Ansichten der einzelnen Menschen. Ich glaube an eine verantwortungsbewußte Demokratie. Die Probleme, die von diesen Gruppen angesprochen werden, sind dieselben Probleme, die wir im Militär haben, nur daß wir sie nicht offen artikulieren können.
Ende Januar hat sich eine neue linke Massenpartei gebildet, die auch viele Arbeiter-, Armen-, Frauen- und Studentenverbände umfaßt: der Partido Lakas ng Masa (Partei des Massenkampfes -- PLM). Was halten Sie davon?
Sehr viel. Ich bin kein Reformist; ich denke, daß der PLM das seit Jahrzehnten in der philippinischen Politik bestehende Problem richtig erkannt und beantwortet hat, nämlich das Fehlen einer echten revolutionären Partei, die imstande ist, die alltäglichen Ziele der Massen zu vereinen und sich den Sturz der herrschenden Elite sowie die Errichtung einer humanen und egalitären Gesellschaft zum Ziel setzt.
Interview: Peter Boyle
* Aus: junge Welt, 2. März 2009
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