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Schreck der Mitte

In Peru geben sich die Präsidentschaftskandidaten der Stichwahl als ­lupenreine Demokraten

Von Benjamin Beutler *

Die zweite Runde ist eingeläutet«, titelte am ersten Arbeitstag nach Ostern (26. April) La República, eine der größten Tageszeitungen Perus. Knapp sechs Wochen fehlen bis zur entscheidenden Stichwahl am 5. Juni, doch Peru befindet sich schon mitten im Wahlkampf. Im Wettstreit um das peruanische Präsidentenamt sind die Rollen entlang der politischen Kräfteverhältnisse vergeben. Rund zwei Wochen nach dem ersten Wahlgang am 10. April sieht eine überregionale Sonntagsumfrage den Linksnationalisten Ollanta Humala deutlich vor der zweitplatzierten Keiko Fujimori. 42 Prozent der Befragten würden für den Gewinner der ersten Runde seines Parteienbündnisses »Gana Perú« (GP) stimmen, die Tochter des Exdiktators Alberto Fujimori, die mit der Allianz »Fuerza 2011« antritt, kommt auf 36 Prozent.

Auch wenn das Meinungsbild des Umfrageinstituts »Ipsos Apoyo« nur eine Momentaufnahme ist, so neigt sich die Stimmung derzeit zugunsten des in den Medien manisch verteufelten GP-Kandidaten. »Humala hat in den kommenden Wochen eindeutig mehr Chancen auf Stimmenzuwachs«, erklärt der Soziologe Nelson Manrique die gestiegenen Wahlchancen von Humala. Habe der 48jährige Exoberstleutnant bisher traditionell in den unteren Einkommensschichten hohe Zustimmungsraten zwischen 47 bis 43 Prozent, so scheinen in der Stichwahl nun auch Akademiker, Angestellte und Unternehmer die Scheu vor dem »linken Schreckgespenst« abzulegen, stellt Manrique fest. Die Stimmen in der Ober- und Mittelschicht haben sich im Gegensatz zum 10. April verdoppelt.

Beiden Kandidaten steht die Vergangenheit im Weg, ihr Bild als demokratiefeindliche Autokraten gilt es weichzuwaschen. Keiko Fujimori wird mit der Diktatur ihres Vaters identifiziert, der wegen gravierender Verstöße gegen die Menschenrechte im VIP-Knast einsitzt und als »heimlicher Lenker« der Keiko-Kampagne gilt. Humala hängen seine Armee-Revolte im Oktober 2000 gegen das Fujimori-Regime sowie seine links-nationalistische Rhetorik und ideologische Nähe zu Venezuela, Kuba und Bolivien vom Wahlkampf 2006 an. Doch auch wenn der Exmilitär von den Profiteuren der neoliberalen Politik vergangener Jahre besonders für seine sozialkritischen Töne mißtrauisch beäugt wird, so gilt der GP-Chef im bürgerlichen Spektrum zunehmend als das bevorzugtes »geringere Übel«.

Nichtsdestotrotz sei das Rennen weiter offen, sagt Politikanalyst Enrique Bernales und warnt vor Schnellschüssen. Er verweist auf die große Zahl der Unentschiedenen und Nichtwähler. 22 Prozent der Befragten, und zwar quer durch alle Schichten, würden noch schwanken oder aber ungültig wählen wollen. »Hier wird die Wahl entschieden, und es hängt nun davon ab, wer den besseren Wahlkampf macht, um diese Unentschiedenen für sich zu gewinnen«, erklärt Bernales die wahlkampftaktische Stoßrichtung, was auch bei den politischen Kontrahenten auf offene Ohren stößt.

Der Endspurt ist ein Kampf um die Mitte. »Ich bin nicht Alberto Fujimori«, tönte die Diktatoren-Tochter zu Wochenbeginn. Sie bat um Verzeihung für die »Fehler« der »autoritären« Fujimori-Herrschaft (1990–2000), ohne von ihrem Urteil abzuweichen, ihr Vater habe »die beste Regierung der Geschichte« geführt. Menschenrechte würde sie respektieren, Gerüchte über eine Freilassung ihres Vaters versucht sie zu zerstreuen. Auch Humala gibt sich moderat. »Wenn es ein Modell gibt, dem es zu folgen gilt, dann dem von Lula«, distanzierte er sich in der Talkshow »Día D« mit Blick auf den ehemaligen Präsidenten Brasiliens öffentlich von Venezuelas Staatschef Hugo Chávez. Derweil bereitet sich die ökonomische Elite Perus auf eine Einhegung Humalas vor. Sogar Chávez-Hasser und Nationalliterat Mario Vargas Llosa kündigte an, im zweiten Wahlgang für Humala zu votieren, auch wenn dieser kein »überzeugter Liberaler« sei.

* Aus: junge Welt, 27. April 2011


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