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Die Bleikinder von La Oroya

US-amerikanische Firma vergiftet eine ganze Stadt in Peru

Von Anne Grit Bernhardt, Cajamarca *

Die in den Zentralanden gelegene Stadt La Oroya gehört laut dem New Yorker Blacksmith Institute zu den zehn schmutzigsten Städten der Welt. Die 70000 Einwohner der Stadt leben in einer toten, schwermetallverseuchten Umgebung. Die Berge, die sie umgeben, sind vom sauren Regen kahl und grau. Die Stadt wird von einem großen, schwarzen Schornstein überragt. Seit drei Jahren kommt hier allerdings kein Rauch mehr raus. Da die US-amerikanische Firma Doe Run die peruanischen Umweltauflagen nicht erfüllte, wurde die Anlage vorrübergehend geschlossen. Seitdem gehen die Bleiwerte im Blut der Bewohner langsam zurück. Eine Studie des örtlichen Gesundheitszentrums aus dem Jahr 2011, die 803 Kinder und Schwangere untersuchte, ergab dennoch Grund zur Sorge.

Gemäß dieser Studie weisen 53 Prozent der Kinder zehn Milligramm Blei pro Deziliter Blut auf. Ein Wert, der laut Weltgesundheitsorganisation als besorgniserregend gilt. 44 Prozent der Kinder erreichen zwischen zehn und 19,9 Milligramm Blei pro Deziliter Blut und drei Prozent sogar einen Wert bis zu 45 Milligramm. Doch im Vergleich zu einer Studie aus dem Jahr 2003 sind diese Werte niedrig. Im besagtem Jahr vergiftete schwermetallhaltiger Rauch tagtäglich die Stadt, und 90 Prozent der Kinder erreichen Werte zwischen 20 und 44 Milligramm Blei auf.

Die Luft ist also sauberer geworden. Auch der Gehalt an Schwefeldioxid in der Luft liegt in diesem Jahr laut der Gesundheitsbehörde DIGESA nur bei durchschnittlich zwei Milligramm pro Kubikmeter Luft. Im Jahr 2007 wurden noch 452 Milligramm gemessen. Am 28. August 2008 wurden sogar 27000 Milligramm registriert, der höchste Wert, den die DIGESA jemals gemessen hatte. Das Gas bedeckte die gesamte Stadt und nahm den Bewohnern den Atem.

Doe Run will offenbar zu diesen alten Zeiten zurückkehren. Mit einem neuen Abkommen mit der peruanischen Regierung versucht die Firma, sich gegenüber Schadensersatzforderungen abzusichern. Denn im US-Bundesstaat Missouri wurde sie wegen der Vergiftung von 16 Kindern mit Blei zu 358,5 Millionen US-Dollar Schadensersatz verurteilt. In La Oroya gibt es 1300 offiziell dokumentierte Fälle vergifteter Kinder. Deren Anwälte haben den Prozeß in Missouri genau beobachtet und bereiten nun ein Verfahren gegen Doe Run in den Vereinigten Staaten vor. Sollte dieses erfolgreich sein, so wäre die Firma diesen Kindern rund 29 Milliarden US-Dollar Schadenersatz schuldig. Ihr Besitzer, Ira Rennert, steht zwar auf Platz 189 der reichsten Männer der Welt, aber diese Summe würde selbst ihn überfordern. Sein Privatvermögen wird laut der Zeitschrift Forbes auf knapp fünfeinhalb Milliarden US-Dollar geschätzt.

Geht es nach Doe Run, soll künftig der peruanische Staat für Schadenersatzforderungen aufkommen. Gleichzeitig versucht der Konzern, bei in dieser Woche stattfindenden Verhandlungen mit Perus Regierung zu erreichen, daß er die Umweltauflagen erst in zehn Jahren erfüllen muß. Es wird erwartet, daß diese Forderungen zurückgewiesen werden. Der Minister für Energie und Bergbau, Jorge Merino, bezeichnete sie bereits als »inakzeptabel«.

Trotz der unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken gehen gegenwärtig in La Oroya rund 3000 Arbeiter auf die Straße, um für die Wiedereröffnung der Metallhütte zu demonstrieren. Ein Drittel der Bevölkerung der Stadt ist unmittelbar von der Arbeit in der Metallhütte abhängig. Es gibt kaum wirtschaftliche Alternativen. Die Landwirtschaft ist tot, es gibt keine andere Industrie oder Handwerksbetriebe. Die Mehrheit der Familien lebt in Armut. Personen, die offiziell für die Schließung der Metallhütte kämpfen, werden nicht selten von verzweifelten Arbeitern angegriffen. So zum Beispiel am 23. März, als zwei Mitarbeiter der Umweltorganisation El Mantaro Revive aus der Provinzhauptstadt Huancayo von zwei Gewerkschaftern der Arbeiter der Metallhütte angegriffen wurden. Zahlreiche Aktivisten wie der Bischof von Huancayo, Pedro Barreto, erhalten Todesdrohungen. Die Lage ist angespannt. Am morgigen Donnerstag soll entschieden werden, ob Doe Run die Metallhütte vorerst wiedereröffnen darf oder nicht.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. April 2012


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