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Die Mine frisst sich in die Stadt

Der Bergbau untergräbt die Zukunft der Bewohner von Cerro de Pasco in Peru. Eine tragfähige Lösung steht weiter aus

Von Knut Henkel, Cerro de Pasco *

Cerro de Pasco heißt die höchstgelegene Provinzhauptstadt Perus. 4338 Meter über dem Meeresspiegel liegt die »königliche Stadt des Bergbaus«. Doch die Tage von Cerro de Pasco sind gezählt, denn peu à peu frisst sich der Tagebau in den Stadtkern vor. Nicht nur in Cerro de Pasco hat der Bergbau Vorrang vor den Menschen. Dagegen regt sich zunehmend Widerstand.

Der solide Maschendrahtzaun rund um die Grube ist mit Werbeplakaten verziert. Das nationale Gesundheitssystem wirbt mit dem Slogan »Es Salud« (Das ist Gesundheit) ebenso wie private Schulen für die Vorbereitung auf die Universität oder das Internat »Albert Einstein«. Doch zwischen den Plakaten kann sich jedermann ungehindert einen Eindruck davon verschaffen, wie riesig die Grube ist und wie sie sich immer weiter in den alten Stadtkern von Cerro de Pasco hineinfrisst.

Erbaut auf gewinnträchtigem Erz

»11,4 Hektar städtische Flächen werden bis 2013 verschwinden. Der Minenbetreiber hat die Fläche längst von der Stadt erworben und nur einige wenige historisch wertvolle Gebäude werden vor dem Bagger bewahrt«, erklärt Jaime Luis Silva Ponce. Der Enddreißiger wohnt im Stadtteil Pucara, arbeitet für die Kultur- und Umweltorganisation Labor und hat die Mine, die sich sowohl vertikal als auch horizontal immer weiter ausdehnt, stetig im Blick. »Cerro de Pasco ist als Bergbausiedlung im Jahr 1578 gegründet worden, und bis heute prägt der Bergbau die Wirtschaft wie auch die Zukunft unserer Stadt«, erklärt der Familienvater.

Die Stadt ist auf Edel- und Industriemetallen gebaut. Jedes Haus steht faktisch auf silber-, blei- und zinkhaltigen Erzen, und die werden vom Bergbauunternehmen Volcán ausgebeutet, dem weltweit viertgrößten Zink- und Silberproduzenten. Das Unternehmen mit Sitz in Peru, aber in internationalem Aktienbesitz, hat gerade verkündet, dass es 250 Millionen US-Dollar in den Ausbau und die Exploration der Mine, die acht Fahrstunden von Lima entfernt liegt, investieren will. Kein Wunder angesichts der steigenden Rohstoffpreise und der lukrativen Abbaubedingungen in Peru. »Wir Bewohner haben allerdings die Folgen des Bergbaubooms zu tragen. Ich habe 22 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut im Leib«, erklärt Jaime Luis Silva Ponce und legt missbilligend die Stirn in Falten. Dann deutet er auf den Maschendrahtzaun, hinter dem die gelben Schwertransporter zu sehen sind, die Gestein aus der terrassenartig angelegten Mine transportieren. »Unablässig geht das so, zweimal täglich erschüttern Sprengungen große Teile des Stadtgebiets«, erklärt er. Die Gesundheitsexperten machen die ständige Staubentwicklung durch den offenen Tagebau und die schlechte Wasserqualität für die alarmierenden Blutwerte verantwortlich.

Alarmierende Bleiwerte im Blut der Einwohner

»Aber auch die Abraumhalden da hinten sind ein Risiko«, erklärt Selsa Ledersa und deutet auf die Berge, die sich einige Steinwürfe entfernt hinter den letzten Häusern des Stadtteils Champamarca zeigen. Einige der Abraumhalden sind mit großen grünen Planen abgedeckt, andere nicht. »Aus den Schuttbergen quillt rötlich-braunes Wasser, das stinkt«, erklärt die kleinwüchsige Mutter zweier Kinder, die liebend gerne ihren Wohnort wechseln würde. »Dafür haben wir leider kein Geld, denn mein Mann arbeitet zwar bei Volcán, aber er verdient als Zeitarbeiter nicht gerade viel.« Die Bleiwerte im Blut ihrer Kinder liegen bei 28 Mikrogramm pro Deziliter. Das ist fast dreimal so hoch wie die von der Weltgesundheitsorganisation ausgegebenen Grenzwerte. Einer der Gründe, weshalb das Institut für Zivile Verteidigung (IDL), eine renommierte peruanische Menschenrechtsorganisation, bereits 2006 erklärte, dass 85 Prozent der Stadt »unbewohnbar« seien.

Diese Einschätzung teilt auch Gloria Ramos. Die peruanische Abgeordnete stammt aus Cerro de Pasco, ihr Vater war selbst Bergmann, doch für ihre Heimatstadt sieht sie keine Perspektive mehr. »Schauen Sie sich um, die Häuser rund um den zentralen Platz sind geräumt, in ein paar Monaten wird die Mine auch diesen ältesten Teil der Stadt geholt haben«, klagt die engagierte Frau. Das Leben mit der Mine ist schlicht nicht mehr möglich, denn der Bergbau dringt in immer größeren Schritten vor. Moderne Technik macht es möglich. Und parallel zum rasanten Vordringen der Mine steigen die Gewinne. 60 Millionen US-Dollar waren es in den ersten drei Monaten des Jahres, und die Wachstumspläne sind nur ein Beleg mehr dafür, dass die Bevölkerung kaum noch eine Chance hat, weiterhin in der Hauptstadt der Provinz Pasco zu leben. Knapp 80 000 Einwohner hat die Stadt in den Bergen, in denen es abends empfindlich kalt wird. Im Dezember 2008 hatten auch die Parlamentarier ein Einsehen und stimmten mehrheitlich für den Umzug der Stadt, erklärt Gloria Ramos. »Offen blieb allerdings, wer das bezahlt«, ergänzt die Abgeordnete, die seit Jahren für eine tragfähige Lösung kämpft.

Eine Lösung, für die auch die Regierung in Lima tief in die Tasche greifen muss. Bevor Volcán das Bergwerk Ende der 90er Jahre übernahm, war es die staatliche Centromín, die das Areal ausbeutete, und davor ein USA-Unternehmen, die Cerro de Pasco Copper Corporation. Wer ist nun für die immensen Altlasten verantwortlich, die vier Jahrhunderte Bergbau hinterlassen haben?

Die Antwort der Bewohner ist eindeutig: »Die Regierung ist genauso verantwortlich wie Volcán, aber wir erhoffen auch Unterstützung von internationaler Seite«, sagt Dimas Peñas Armas. Er ist einer der Kleinhändler aus dem alten, dem Abriss geweihten Zentrum der Stadt und fordert mehr Verantwortung vom Unternehmen. »Es kann nicht sein, dass das Unternehmen versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen«, schimpft der Kleinhändler.

Doch genau das ist in Peru nicht gerade selten. Jüngstes Beispiel ist Doe Run Perú. Die peruanische Tochter des größten Bleiproduzenten der westlichen Welt hat die Politik in den vergangenen Monaten nach Kräften an der Nase herumgeführt. Erst wurden die Lieferanten geprellt, dann die Hütte in La Oroya zugemacht und dem Staat mitgeteilt, dass man die Umweltauflagen nicht fristgerecht erfüllen könne. Die Regierung knickte nach Protesten der 3500 Arbeiter ein, gewährte 36 Monate Aufschub und steht nun vor dem Nichts. Bis heute hat der Betrieb die Werkstore nicht wieder geöffnet. Kein Geld, lautet die lapidare Antwort, und längst steckt das ehemals lukrative Unternehmen in der Insolvenz.

Vom Reichtum kommt unten nichts an

Die Leidtragenden sind wie in Cerro de Pasco die Anwohner und die Umwelt, die Gewinner die Bergbaugesellschaften, die in Peru im internationalen Vergleich wenig Steuern zahlen und es mit den Umweltauflagen nicht immer so genau nehmen. Beispiele wie diese haben dafür gesorgt, dass der Bergbau in Peru immer weiter in Misskredit geraten ist. Im Süden des Landes protestierten die Anwohner im April gegen das Bergbauprojekt Tía María, im Norden starben bereits mehrere Bauern im Rahmen der Proteste gegen die Aufnahme des Kupferbergbaus nahe der Stadt Huancabamba. Doch die Liste der Bergbau- wie Umweltkonflikte ist noch weitaus länger und die Regierung hat mehr und mehr Probleme mit dem wachsenden Widerstand gegen die Ausstellung von Bergbaulizenzen und die Veräußerung der nationalen Infrastruktur.

Jüngst gingen mehr als 30 000 Menschen in Perus Touristenhochburg Cuzco auf die Straße, um gegen den Bau einer Erdgasleitung und des Wasserkraftwerks von Inambar zu protestieren. Doch die Regierung hat weitere Konzessionen gewährt. Für Autobahnen, Flughäfen, Häfen und Kläranlagen wurden in den vergangenen Wochen nicht weniger als 23 Konzessionen vergeben. In den Augen erheblicher Teile der Bevölkerung bringen die Investoren aus dem Ausland aber längst nicht immer Fortschritt und Entwicklung in die Regionen, wie es die Regierung behauptet. Cerro de Pasco gilt genauso wie La Oroya als arme und lebensunwerte Stadt. Von dem Reichtum, der dort aus dem Boden gescharrt und aus den Erzen herausgeschmolzen wird, bleibt kaum etwas in der Region. »Das ist eines der zentralen Probleme Perus«, kritisiert die Abgeordnete Gloria Ramos. »Wenn wir die Weichen nicht nachhaltiger stellen, dann werden die Konflikte zunehmen«, sagt sie voraus.

Eine Einschätzung, die viele Experten wie Jaime Luis Silva Ponce teilen. Er deutet vielsagend auf die knapp zwei Kilometer lange und mehrere hundert Meter tiefe Grube. Dort knallt es gerade wieder - es wird gesprengt und oben vibrieren die Häuser. Alltag in einer sterbenden Stadt hoch in den Anden.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juli 2010


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