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Notstand in Amazonasregion

Peru: Nach Polizeimassaker an Indigenen halten Spezialeinheiten Bagua besetzt

Von Benjamin Beutler *

Drei Tage nach dem martialischen Polizeiangriff gegen protestierende Indigene hat die Regierung von Präsident Alan García Pérez am Montag (8. Juni) über die nordperuanische Provinz Utcubamba im Departamanto Amazonas den Ausnahmezustand verhängt. In der tausend Kilometer nördlich von Lima gelegenen Provinzhauptstadt Bagua, die im Laufe des Samstag von Militärs besetzt wurde, besteht zwischen drei Uhr nachmittags bis sechs Uhr morgens Ausgangssperre, seitdem herrscht angespannte Ruhe. »Wir sammeln hier viele Indigene auf, die noch unter Schock stehen und sich in Häusern verstecken, um sie zurück in ihre Wohngebiete zu bringen«, erläutert ein Mitarbeiter der katholischen Kirche die Lage in Bagua.

Schwer bewaffnete Spezialeinheiten der Polizei hatten am Freitag (5. Juni) die seit dem 9. März von rund 5000 indigenen Amazonasbewohnern blockierte Verbindungsstraße zwischen Pazifikküste und Ostperu »befreit«. In Folge der Polizeiaktion eskalierte die Gewalt. Insgesamt starben mindestens 47 Menschen, 153 wurden verletzt. »Die Regierung hat das Abschlachten der Indigenen einer Annullierung der Gesetze vorgezogen, die den Interessen des Amazonasgebietes schaden«, kritisierte Ollanta Humala, Chef der »Peruanischen Nationalpartei« (PNP), das Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte.

Die Regierung und ihre Abgeordneten hätten »um jeden Preis« eine Debatte der Gesetze im Parlament blockieren wollen; neueste Studien, in denen eine Rücknahme der von den Indigenen kritisierten Gesetze empfohlen wird, seien zurückgehalten worden, so Oppositionsführer Ollanta weiter. Seit Wochen fordern die Amazonasbewohner eine Revision diverser Präsidialdekrete zur Ausbeutung von Wald, Fauna und Bodenschätzen (Öl, Gas) auf ihrem Territorium, das ohne Rücksicht auf bestehende internationale Indigenenschutzabkommen an ausländische Multis verschachert werden soll. Zudem lehnen sie sich gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA auf.

Das alles ficht Präsident García nicht an. Am Montag (8. Juni) ging er zur Tagesordnung über; ein Meeting mit portugiesischen Unternehmern im Präsidentenpalast stand auf dem Programm. Kurz vor dem Massaker an den Demonstranten hatte er unverblümt hartes Durchgreifen angekündigt. Es sei seine Pflicht, »in rationalem Rahmen für Ordnung und Energie« zu sorgen. Mit der Drohung, sie würden Ölpipelines besetzen, hätten die Protestierenden dem Staat »die Pistole an die Stirn« gehalten.

Über die Toten auf seiten der Indigenen wurde kein Wort verloren. Mit großem Brimborium hingegen wurden die »Opfer der Barbarei, Wildheit und Roheit« zelebriert. Die - laut Innenministerium - 24 toten Polizisten hätten »mit ihrem Leben, ihrer Haut, ihrer Existenz das Höchste gegeben, um die Straßen zu öffnen«. Peru beschuldigt nun Venezuela und Boli­vien, die Gewalt entfesselt zu haben. Indigenen-Führer Alberto Pizango von der »Interethnischen Vereinigung für die Entwicklung des Regenwaldes« (AIDESEP) wird inzwischen wegen »Sezession und Terrorismus« gesucht. Er soll nach Bolivien geflüchtet sein. Indigenen-Verbände in ganz Südamerika kündigten derweil Proteste und eine Klage vor dem Menschenrechtstribunal in Den Haag gegen García an.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2009

Rebellisch

Alberto Pizango / Der peruanische Indianerführer hat in Nicaragua Asyl erhalten

Jürgen Vogt, Buenos Aires **


Nun ist er auf sicherem Terrain: Alberto Pizango, der peruanische Anführer der Ureinwohner im dortigen Amazonasgebiet. Er »ist ein politisch Verfolgter«, begründete Nicaraguas Botschafter Tomás Borge die Entscheidung. Pizango war am Montag in die nicaraguanische Botschaft in Lima geflüchtet. Medienberichten zufolge hatte er zuvor erfolglos um eine Aufnahme in den Botschaften Boliviens, der USA und Frankreichs nachgesucht.

Segundo Alberto Pizango Chota ist Vorsitzender der indianischen Dachorganisation Interethnische Vereinigung für die Entwicklung des Regenwalds (AIDESEP). Die 1980 gegründete AIDESEP vertritt mit ihren rund 60 Verbänden 700 000 Ureinwohner der verschiedenen Ethnien im peruanischen Amazonasgebiet. Die peruanische Regierung beschuldigt Pizango der Volksverhetzung, Verschwörung und Rebellion und macht ihn für die blutigen Auseinandersetzungen am Wochenende zwischen Polizeikräften und Indígenen verantwortlich. Nachdem bekannt geworden war, dass er per Haftbefehl gesucht wird, hielt er sich zunächst versteckt.

Der seit April anhaltende friedliche Protest der Indígenen spitzte sich zu, als eine Spezialeinheit der Polizei in der Nähe des Ortes Bagua in der gleichnamigen Amazonasprovinz im Nordosten des Landes mit der Räumung einer Straßenblockade begann. Die Zahl der bei den Zusammenstößen getöteten Personen ist weiter unklar. Die Ureinwohner protestieren gegen ein Freihandelsabkommen zwischen Peru und den USA.

»Mit einem solchen Eingreifen hatten wir nicht gerechnet. Die Regierung benutzt Kriegswaffen, als wären wir Verbrecher. Wir nennen das Völkermord«, hatte Alberto Pizango das Vorgehen der Spezial- und Polizeieinheiten kommentiert.

Pizango ist der peruanischen Regierung schon lange ein Dorn im Auge. Im August 2008 organisierte er die Besetzung zweier Ölförderanlagen und einer Pipeline. Auch damals schickte die Regierung in Lima die Armee in die Amazonasregion. Damals bremste der Kongress rechtzeitig die Regierung, die seither Pizango öffentlich immer wieder einen »Terroristen« schimpft. Nicaragua sieht das aus guten Gründen anders.

** Aus: Neues Deutschland, 11. Juni 2009




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