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García rudert zurück

Peru: Indigenen-Proteste zeigen erste Erfolge. Parlament will zwei Dekrete zur Ressourcennutzung in Amazonas-Region aufheben. Premierminister tritt wegen Ausschreitungen zurück

Von Santiago Baez *

Die Protestbewegung der peruanischen Indígenas steht offenbar vor einem Erfolg. Zwei Monate nach Beginn der Kämpfe indigener Organisationen gegen Regierungspläne zur Öffnung indigener Siedlungsgebiete für transnationale Ölkonzerne lenkte die Regierung in Lima ein. Am Mittwoch (17. Juni) sollte dem Parlament ein Entwurf zur Aufhebung von zwei der umstrittenen Dekrete zur Ressourcennutzung vorgelegt werden. Zugleich kündigte Premierminister Yehude Simon seinen Rücktritt an. Damit reagierte er nach eigenem Bekunden auf die blutigen Auseinandersetzungen in der Ortschaft Bagua im Norden des Landes. Bei der gewaltsamen Auflösung einer Straßenblockade der Indígenas durch Sicherheitskräfte starben mehr als 40 Demonstranten und rund 20 Polizisten.

»Wir haben viele Witwen, viele betroffene Haushalte, sowohl unter den Eingeborenen als auch unter den Polizisten. Viele Kinder werden ihre Eltern nie wieder sehen, und das schmerzt sehr«, erklärte Simon. Die durch das Vorgehen der Polizei geschlagenen Wunden könnten erst heilen, »wenn wir denen, die nun im Himmel sind, zeigen, daß ihr Opfer nicht vergebens war. Sie vergossen ihr Blut heldenhaft bei der Verteidigung dessen, was jeder einzelne von ihnen für richtig hielt.«

Am Dienstag (16. Juni) gewährte die Regierung dem Chef der wichtigsten Indígena-Organisation Aidesep (Interethnische Vereinigung zur Entwicklung des peruanischen Regenwaldes), Alberto Pizango, freies Geleit. Pizango hatte sich am 8. Juni in die Botschaft Nicaraguas geflüchtet und politisches Asyl beantragt, das ihm die Regierung in Managua einen Tag später gewährte. Durch die Entscheidung der peruanischen Behörden kann er nun die diplomatische Vertretung verlassen und nach Nicaragua reisen. Zugleich wollte die Regierung aber nicht ausschließen, daß sie in Managua die Auslieferung Pizangos beantragen werde.

In einer Erklärung hat die Aidesep die bevorstehende Aufhebung der Dekrete begrüßt; sie sei ein Ergebnis »der Aufopferung und der Standfestigkeit der Brüder, die für die Rettung ihrer Territorien gekämpft haben«. Nach der Anerkennung ihrer Organisation als Vertretung der indigenen Gemeinden in der Amazonas-Region durch den Landwirtschaftsminister Carlos Leyton Muñoz fordert die Aidesep nun die Schaffung einer Gesprächsatmosphäre von gegenseitigem Vertrauen. Dazu sei es notwendig, den Ausnahmezustand in der betroffenen Region aufzuheben und die Sicherheitskräfte in die Kasernen zurück zu beordern.

Während innenpolitisch in Peru die Zeichen also vorsichtig auf Entspannung stehen, spitzt sich außenpolitisch der Konflikt mit Bolivien zu. Der bolivianische Präsident Evo Morales hatte das Vorgehen der peruanischen Behörden als »Genozid« an den indigenen Völkern bezeichnet. Perus Außenminister José Antonio García Belaunde nannte Morales daraufhin einen »Feind Perus«. Er warf der Regierung in La Paz vor, Bolivianer nach Peru geschickt zu haben, um dort Unruhen zu provozieren: »Es ist grotesk, wie versucht wird, in Peru das zu wiederholen, was in Bolivien passiert ist: Demonstrationen im ganzen Land, um das demokratische System zu destabilisieren«, behauptete der Minister und rief den peruanischen Botschafter in La Paz, Fernando Rojas, zu Konsultationen zurück.

Boliviens Botschafter in Lima, Franz Solano, gab sich unterdessen versöhnlich. Er sprach sich dafür aus, daß beide Regierungen selbstkritisch analysieren sollten, was zu den bilateralen Spannungen geführt habe. Man hätte sich in die inneren Angelegenheiten des jeweils anderen eingemischt. Jedoch sei die gegenwärtige Haltung Boliviens eine Reaktion auf das Verhalten Limas. Vor einigen Monaten waren peruanische Parlamentsabgeordnete nach Bolivien gereist, um eine angebliche Einmischung Venezuelas in den von der rechten Opposition regierten »Halbmond«-Provinzen Boliviens zu untersuchen. »Das war eine Einmischung, und sie ging nicht von Bolivien aus. Es gibt Aktionen und Reaktionen, doch nun braucht es Selbstkritik und die Anerkennung der Fehler, die beide Seiten begangen haben.«

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2009


Etappensieg für Indigene

Perus Parlament stoppt Ausverkauf der Amazonasregion. Präsident García muß Dekrete ­zurücknehmen. Freudenfeiern trotz Ausnahmezustand

Von Benjamin Beutler **

Nach monatelangem Dauerprotest haben sich Perus Indigene durchgesetzt und Präsident Alan García eine schwere Niederlage beigebracht. Auf Antrag des sozialdemokratischen Premierministers Simon Yahude von der Regierungspartei APRA beschloß der Nationalkongreß am Donnerstag die Rücknahme der Dekrete 1090 und 1064. Die Gesetze waren vor einem Jahr von Präsident García ohne Parlamentsbeschluß und Konsultation der betroffenen indigenen Gemeinschaften verfügt worden. Sie sollten die wirtschaftliche Nutzung, vor allem die Ausbeutung von Bodenschätzen und Holz, des Amazonasgebietes regeln. Ziel war es, ausländischen Investoren im Rahmen des Freihandelsvertrages (TLC) mit den USA den Zugang zur Region zu öffnen. Unter dem Druck der indigenen Proteste stimmten nun 82 Kongreßabgeordnete für die Annullierung der Dekrete, zwölf dagegen. Allein die rechte Partei »Nationale Einheit« (UN) votierte gegen die Rücknahme.

Im 1000 Kilometer von der Hauptstadt Lima entfernten Bagua wurde die Nachricht noch in der Nacht zum Freitag überschwenglich gefeiert, mit Feuerwerken ebenso wie Hupkonzerten – und das trotz des anhaltenden Ausnahmezustands mit nächtlicher Ausgangssperre. Deisy Zapata von der »Interethnischen Vereinigung für die Entwicklung des peruanischen Regenwaldes« (AIDESEP) rief ihre Anhänger inzwischen zur einstweiligen Einstellung der Protestaktionen auf. Vom Kongreß forderte sie zudem, er solle die Sanktionen gegen sieben Abgeordnete der »Peruanischen Nationalpartei« (PNP) aufheben. Denen war nach dem »Massaker von Bagua« vor zwei Wochen, als 40 Menschen in Folge eines brutalen Polizeieinsatzes starben, wegen »Störung des Parlaments« ein mehrwöchiges Hausverbot erteilt worden.

»Vergessen wir das Vergangene«, gab sich die Stellvertreterin des nach Nicaragua geflüchteten AIDESEP-Chefs Alberto Pizango versöhnlich. In den Massenmedien kolportierte Vorwürfe, die Indigenen seien von Nichtregierungsorganisationen sowie ausländischen Regierungen wie Bolivien und Venezuela manipuliert worden, wies die in traditioneller Kleidung und Bemalung der Amazonas-Indigenen geschmückte Zapata vehement zurück: »Wir haben im AIDESEP Prinzipien, einen Plan für das Leben, und an dem arbeiten wir«.

Bis zuletzt hatte Premier Yahude versucht, das berechtigte Anliegen der Amazonasbevölkerung zu diskreditieren und die Protestbewegung zu spalten. »Wir sind weder Falken noch Tauben, aber die eine Sache sind unsere indigenen Brüder und eine andere sind Provokateure, die Blut wollen, um unsere Demokratie und unser Land zu destabilisieren«, so der Premier.

Mit der Rücknahme der Dekrete hat Perus politische und wirtschaftliche Elite zwar eine Niederlage erlitten, doch muß diese nicht von Dauer sein. Geschickt haben es die Regierenden ebenso wie die Wirtschaftsmächtigen bisher verstanden, ihr rücksichtsloses Durchsetzen der TLC-Logik, die einen Ausverkauf von Ressourcen, Land und Natur bedeutet, als »Fortschritt für unser Peru« zu verschleiern. Bisher widerstanden sie den Protesten. Nun zeigte sich García in einer »Rede an die Na­tion« zwar reumütig; er habe »zu schnell versucht, das Land zu modernisieren« und hätte die Indigenen besser einbeziehen müssen.

Doch versuchte der Präsident zugleich, die Schuld für seine Niederlage abzuwälzen. Das sozialistisch regierte Nachbarland Bolivien als »ein direkter Konkurrent Perus« habe die Indigenen aufgehetzt, so García. Dessen Staatsoberhaupt Evo Morales mit seiner »messianischen Einstellung« sei ein »Feind Perus«, erklärte der peruanische Außenminister José García Belaunde am Donnerstag.

** Aus: junge Welt, 20. Juni 2009


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