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Perus schwierige Linkswende

Der neue Präsident Ollanta Humala sieht sich vielen konträren Interessen gegenüber

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Wenn Ollanta Humala am heutigen Donnerstag sein Amt als peruanischer Präsident antritt, richten sich viele Blicke nach Lima. Was ihm noch vor einem halben Jahr kaum jemand zutraute – er hat es geschafft: Das 30-Millionen-Land am Pazifik schließt sich dem »Linksruck« in Lateinamerika an.

Die Marschroute steht fest: Vor allem die Armen zu erreichen, denen er in erster Linie seinen Sieg in der Stichwahl im Juni zu verdanken hat – das ist das erklärte Ziel des 48-jährigen Mestizen Ollanta Humala. Doch ähnlich wie vielen seiner linken Kollegen – vom Sozialisten Hugo Chávez in Venezuela bis zum ehemaligen Bischof Fernando Lugo in Paraguay – schlägt ihm das geballte Misstrauen der einheimischen weißen Oberschicht entgegen.

Am wohl erfolgreichsten hat diese Herausforderung der Brasilianer Luiz Inácio Lula da Silva gemeistert, der von 2003 bis 2010 regierte: Während seiner zwei Amtszeiten gelang jüngsten Regierungsangaben zufolge knapp 40 Millionen Brasilianern der Sprung aus der Armut, doch zugleich wurden die Privilegien der Reichen kaum angetastet. Dank einer konservativen Wirtschaftspolitik und durchaus dubioser politischer Allianzen besänftigte Lula die Rechte und erhielt sich die Regierungsfähigkeit.

Strukturelle Umwälzungen wie etwa eine Landreform sind unter solchen Umständen kaum möglich. Doch selbst Evo Morales in Bolivien oder Rafael Correa in Ecuador agieren, all ihrer radikalen Rhetorik zum Trotz, ähnlich pragmatisch: Den Rohstoffboom der letzten Jahre haben sie genutzt, um den Staatsanteil an den Erlösen aus der Erdölförderung oder dem Bergbau zu erhöhen – »Neoextraktivismus« nennen das linke Ökonomen.

Damit wiederum finanzieren die Staatchefs, wie auch Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff oder Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien, Sozialprogramme für die Armen: Zuschüsse für den Schulbesuch, Projekte im sozialen Wohnungsbau oder spürbare Erhöhungen der Mindestlöhne. Es sind südamerikanische Varianten der Sozialdemokratie – und das in einer Zeit, in der in Europa immer noch neoliberale Rezepte dominieren.

Ollanta Humala begreift sich als Teil dieser heterogenen Linken. In den vergangenen Wochen besuchte er seine neuen Kollegen reihenweise – vom rechtsliberalen Juan Manuel Santos in Kolumbien bis zu Raúl Castro in Kuba. Seinen Sieg aber hat er auch der Strategie zu verdanken, dass er – ähnlich wie Lula da Silva vor neun Jahren – nicht auf Polarisierung setzt, sondern auf eine behutsame Politik der kleinen Schritte. Im Mai gelobte Humala feierlich, keine Verfassungsreform anzustreben, die ihm den Weg zu einer Wiederwahl ebnen könnte. Auch darin folgt er Lula und setzt sich von Chávez, Morales oder Correa ab. Mit der Nominierung des Unternehmers Salomón Lerner Ghitis zu seinem Premierminister beruhigte er einheimische und ausländische Investoren gleichermaßen. Im Parlament muss seine Fraktion mit der Partei des liberalen Altpräsidenten Alejandro Toledo (2001-2006) paktieren, die auch vier Minister in Humalas Kabinett stellt.

»Peru hat sich nach links bewegt«, stellt der Meinungsforscher Fernando Tuesta fest. Doch er sieht immer noch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu den südamerikanischen Nachbarn. So kommt eine große Herausforderung für Humala von der eigenen Basis. In der Region Puno etwa, wo er in der Stichwahl mit 78 Prozent siegte, gab es zuletzt monatelange Proteste gegen Bergbau- und Staudammprojekte.

An gut 200 Orten im ganzen Land wehren sich die Menschen gegen ähnliche Großprojekte, die zwar das Wirtschaftswachstum beflügeln und damit Sozialprogramme mitfinanzieren könnten, aber auch vielfach die Umwelt verwüsten und damit die Lebensgrundlage der Bevölkerung zerstören.

In vielen Fällen profitieren davon brasilianische Konzerne, die Verkehrswegen an den Pazifik bauen, peruanische Mineralien fördern oder Wasserkraft für Brasilien produzieren wollen. Auch Dilma Rousseff unterstützt diese Strategie. Ollanta Humala muss diese gegensätzlichen Interessen – und noch manche mehr – unter einen Hut bringen. Mit einem »Linksruck« ist daher in Peru kaum zu rechnen, bestenfalls mit vorsichtigen Kursänderungen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2011


Alte Bekannte

Ollanta Humala ab heute Präsident Perus. Linke Bündnispartner ­bemängeln Postenvergabe im Kabinett

Von Johannes Schulten **


Es ist mehr als ein einfacher Regierungswechsel. Wenn sich Ollanta Humala am heutigen Donnerstag morgen in Lima die Präsidentenschärpe überstreift, wird zum ersten Mal in der jüngeren Vergangenheit Perus ein Präsident regieren, der sich den Anliegen der seit jeher marginalisierten Bevölkerungsteile verpflichtet fühlt. Das zumindest ist die Hoffnung der Millionen Menschen in den verarmten ländlichen Regionen Perus, die im Wahlkampf seine Basis stellten.

Diese Erwartungen dürften nach den jüngsten Personalentscheidungen einen Dämpfer erhalten haben. Bereits die Ernennung der ersten Minister in Humalas »Kabinett der nationalen Einheit« deutete eher auf wirtschaftspolitische Kontinuität denn auf den von vielen erhofften Neuanfang hin. Mit der Bekanntgabe des gesamten Kabinetts zu Beginn der Woche hat sich dieser Trend in eine klare Linie verwandelt: Die wichtigsten Posten gehen durchweg an neoliberale Ökonomen, schwerreiche Unternehmer, Technokraten und Exministers, meistens ohne jegliche Verbindungen zu Humalas Parteienallianz »Gana Perú« (Peru gewinnt). Deren linker Flügel blieb komplett außen vor. Luis Mi­guel Castilla, der das Finanzministerium leiten wird, ist nicht nur ein stramm konservativer Wirtschaftswissenschaftler mit Weltbankerfahrung. Unter der von Humala stark kritisierten rechten Vorgängerregierung von Alan García war er bereits als Vize in diesem Ressort tätig. Gleiches gilt für Carlos Herrera Descalzi, der das in Peru wichtige Amt des Bergbauministers übernehmen wird, das er schon unter der kurzen Regierung von Valentín Paniagua (2000 – 2001) innehatte. Für die zukünftige Bündnispolitik im Parlament wird als Ministerpräsident der millionenschwere Unternehmer Salmón Lerner zuständig sein. Und an der Spitze der Zentralbank steht für die nächsten fünf Jahre mit Julio Velarde ein Verfechter von investorenfreundlicher Niedrigzinspolitik.

Für die Sozialistische Partei Perus (PSP), die einen Teil des Bündnisses »Gana Perú« bildet, bleibt als Trostpflaster nur das Frauen- und Entwicklungsministerium. Der PSP-Vorsitzende Javier Diez Canseco kritisierte die Besetzungen als »klares Signal an Investoren und das Unternehmerlager für eine Weiterführung des ökonomischen Modelles«. Gleichwohl warnte er vor einer Überbewertung der Personaldebatte, es komme letztendlich auf die Politik der Regierung, nicht auf deren Köpfe an.

Humala weist die Bedenken zurück: Links-rechts-Zuschreibungen würden nicht weiterführen, ließ er zu Beginn der Woche verlauten. Alle berufenen Minister seien »Führungskräfte« und der Sozialpolitik verpflichtet.

Der Gewerkschaftsdachverband CGTP, im Wahlkampf eine Stütze von »Gana Perú«, forderte den Präsidenten auf, an seinen Versprechen festzuhalten. »Am Donnerstag erwarten wir eine Anhebung des monatlichen Mindestlohns auf 750 Sol (etwa 220 Euro)«, die Wiederherstellung des von der alten Regierung ›liberalisierten‹ Arbeitsrechtes sowie die Einführung der versprochenen höheren Besteuerung des Bergbausektors«, sagte Generalsekretär Mario Huamán.

Es spricht vieles dafür, daß Humala versucht, so wenig wie möglich in die Wirtschaft einzugreifen. Offenbar hofft er, so die aktuell hohen Wachstumsraten, die vierthöchsten in Lateinamerika, nicht zu gefährden. Allein im ersten Quartal dieses Jahres ist das BIP um acht Prozent angestiegen.

Für den Historiker Carlos Monge fiel die Entscheidung zur Regierungsausrichtung vor der Stichwahl gegen die erzkonservative Keiko Fujimori am 6.Juni. »Um die zweite Runde zu gewinnen, vollzog Humala eine programmatischen Wendung von der Linken zum Zentrum«, sagte der Wirtschaftler vom in Lima ansässigen Forschungszentrum Desco der argentinischen Tageszeitung Pagina 12. Tatsächlich verzichtet Humala nach der ersten Wahlrunde im April fast komplett auf Themen wie staatliche Intervention und Freihandelskritik. Nicht zuletzt als Reaktion auf die aggressive Angstkampagne in den großen Meiden versuchte er statt dessen, seine wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit in das Zentrum der Kampagne zu rücken.

Auch die Allianz mit dem ehemaligen Präsidenten Alejandro Toledo (2001 bis 2006), der ihm in der ersten Runde unterlegen war, kam während dieser Zeit zustande. Humalas Fraktion hat im Parlament lediglich 47 von 130 Mandaten, gemeinsam mit den 21 Abgeordneten von Toledos »Perú Posible« (Peru ist möglich) kommt er auf eine absolute Mehrheit. Doch Toledo fordert Tribut. Neben dem Arbeits- und dem Innenressort wird auch das Produktionsministerium von Leuten aus seiner Partei besetzt. Damit wird gerade Toledo, dem es während seiner Regierungszeit trotz stetigen Wachstums nicht gelang, in der Armutsbekämpfung voranzukommen, für die Umsetzung der von Humala versprochenen Sozialprogramme verantwortlich sein.

** Aus: junge Welt, 28. Juli 2011


Personalien: Grande Dame

Von Gerhard Dilger ***

Den Freunden Lateinamerikas ist sie schon lange ein Begriff: Susana Baca, die Grande Dame der afroperuanischen Musik. Nun hat Ollanta Humala, der neue, linke Präsident Perus, die 67-Jährige zur Kulturministerin des Andenlandes gekürt. Damit wird Susana Baca als erste Schwarze in der Geschichte Perus ein hohes Regierungsamt bekleiden.

»Ich werde dafür arbeiten, dass die Kultur nicht nur etwas für das Vergnügen Wohlhabender ist, sondern dass sie demokratisch ist und alle erreicht«, sagte Baca in einem Radiointerview. »Wir Afroperuanerinnen müssen in der Politik mitmachen.« Immerhin ein Zehntel der 30 Millionen Peruaner hat afrikanische Wurzeln.

Geboren wurde Susana Esther Baca de la Colina in eine Musikerfamilie aus Chorrillos, einem südlichen Küstenbezirk der Hauptstadt Lima. Ihr Vater war Gitarrist, ihre Mutter Tänzerin. Das Idol ihrer Tanten war Aretha Franklin, ihre Cousins gründeten 1969 das Folkloreensemble Perú Negro. Sie selbst nahm ihre erste Platte 1987 auf.

Zum internationalen Durchbruch verhalf ihr 1995 der US-amerikanische Musiker David Byrne, und im letzten Jahrzehnt ist sie eine feste Größe in den großen Konzerthallen der Welt geworden. In ihrer Musik kombiniert sie karibische oder Tangorhythmen mit zeitgenössischen Stilelementen, etwa in ihren jüngsten Koproduktionen mit der puertoricanischen Polit-Rap-Gruppe Calle 13.

Das Vorbild ihres brasilianischen Kollegen Gilberto Gil, der fünf Jahre lang als Kulturminister und singender Botschafter zugleich wirkte, habe sie inspiriert, erzählt Susana Baca. So wie Gil sei sie »glücklich« und »geehrt«, für ihr Land arbeiten zu können, »Dinge zu tun, die sich lohnen«. Auch wenn ihr Konzertkalender für 2011 schon ziemlich voll sei.

Wie sein Vorbild Lula da Silva setzt Ollanta Humala mit der Nominierung Bacas einen eindrücklichen Akzent für ein weltoffenes, multiethnisches Peru. In ihrem eigenen Land ist Baca über alle Klassengrenzen hinweg ein Idol. Wegen ihrer »Glaubwürdigkeit und der einhelligen Unterstützung des gesamten peruanischen Volkes« hatte sie der Starkoch Gastón Acurio bereits 2005 als Ministerin vorgeschlagen. Nun ist es soweit.

*** Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2011


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