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Peru: Schüsse auf Demonstranten

Polizei feuert auf Menschen, die ihre Lebensgrundlagen verteidigen. Kein Geld für Behandlung der Verletzten

Von Anne Grit Bernhardt *

Am 29. November hatte die peruanische Polizei im Hochland von Cajamarca auf friedliche Demonstranten geschossen, die an den vom Bergbauprojekt »Minas Congas« gefährdeten Bergseen gegen die Bedrohung ihrer Lebensgrundlagen durch die geplante Goldmine protestierten (jW berichtete). Dutzende Verletzte wurden in die Krankenhäuser von Cajamarca und Celendín gebracht. Die schwersten Fälle mußten nach Lima transportiert werden, weil in Cajamarca keine Fachärzte zur Verfügung stehen.

Laut Zeugenaussagen attackierte die Polizei die Demonstranten an jenem Tag im November an drei verschiedenen Orten. Alberto Izquierdo Vargas, der wegen einer Kugel in der linken Niere ins Krankenhaus von Cajamarca eingeliefert wurde, berichtete, die Polizisten hätten ihn und andere Personen angegriffen, als sie mit ihren Familien im Protestcamp frühstückten. Auf Carlos Chavez Rodrigo wurde an einem anderen Ort zur Mittagszeit von hinten geschossen. Auch an der Laguna Perol gab es Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei. Zwei Dutzend Verletzte wurden nach Cajamarca gebracht, weitere Dutzende in das Krankenhaus von Celendín. Die Krankenhäuser, beide in sehr schlechtem Zustand, konnten wegen Mangels an medizinischem Personal und Material die Verletzten nur unzureichend behandeln.

Die Schwerverletzten befinden sich noch immer in einem sehr kritischen Zustand. Elmer Campos Álvarez, ein Bauern aus dem Distrikt Huasmín, wurde von einer Kugel in der Lendenwirbelsäule getroffen. Er wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müssen. Er wurde nach Lima transportiert, wo er operiert werden soll. Marino Rodríguez Castañeda, ebenfalls ein Bauer aus Huasmín, erlitt eine Schußverletzung am Wangenbein. Sein Gesicht ist entstellt, und auch er wurde nach Lima gebracht, um eine dringende Operation am Auge durchführen zu können. Ein weiterer schwerer Fall ist der von Carlos Chavez Rodrigo, der eine Schußwunde kurz unter der Hüfte erlitt und auf finanzielle Hilfe hofft, um seine dritte Operation bezahlen zu können, die im März in Lima durchgeführt werden soll. »Sie haben uns gesagt, daß ein Spezialist ihn operieren muß, in Lima. Doch das ist sehr teuer, allein die Operation kostet uns 25000 Soles (ca. 7800 Euro), dazu kommt der Krankenhausaufenthalt, die Medizin, das Essen …«, berichtet verzweifelt Sonia Ojal Cortés, die Ehefrau des Verletzten und bricht in Tränen aus.

Ein Komitee aus Familienangehörigen, Freunden und solidarischen Cajamarquinos hat es sich zur Aufgabe gemacht, Geld für die Behandlung der am schwersten Verletzten zu sammeln. Tag für Tag stehen sie vor dem Krankenhaus und sammeln Spenden. Hunderte Soles sind damit zusammengekommen, um die dringendsten Kosten decken zu können. »Für Carlos haben wir so inzwischen 1000 Soles sammeln können«, berichtet die Lehrerin Ana Bueno, die das Komitee unterstützt. Doch dies ist bei weitem nicht genug. Es reichte gerade so für den Transport von Carlos nach Lima.

»Aber das ist nicht unsere einzige Sorge«, sagt Ana Bueno. »Der Polizeichef hat die Demonstranten angeklagt, er behauptet, sie hätten die Polizei bewaffnet angegriffen. Aber das ist falsch. Wie sonst wäre es zu erklären, daß von den 19 Verletzten im Krankenhaus von Cajamarca nur einer ein Polizist ist?« fragt Ana Bueno und fügt hinzu: »Die Verletzten wollen sich zusammentun und einen Anwalt suchen, der ihre Sache vertritt. Sie wollen die Polizei verklagen und Schadenersatz verlangen. Aber um einen Prozeß zu beginnen, brauchen wir mindestens 500 Soles.«

* Die Autorin ist diplomierte Geoökologin der Universität Potsdam. Seit Oktober 2010 lebt sie in Cajamarca und arbeitet in einem Andendorf als Umweltlehrerin.

Deutsches Spendenkonto: Kontoinhaberin: Anne Bernhardt, Betreff: Spende Cajamarca, Kontonummer: 4503432821, BLZ: 160 500 00 (Sparkasse Potsdam)

Aus: junge Welt, 27. Dezember 2011


"Das Volk erhebt sich, um sein Wasser zu verteidigen"

Bürger in der peruanischen Provinz Cajamarca kämpfen gegen gigantisches Bergbauprojekt. Ein Gespräch mit Wilfredo Saavedra Marreras **

Wilfredo Saavedra Marreras ist Anwalt und Präsident des Umweltverteidigungskomitees von Cajamarca. Er ist einer der wichtigsten Führer der Bewegung gegen eine neue Gold- und Kupfermine in der nordperuanischen Provinz.


Warum hat das Umweltverteidigungskomitee zum Protest gegen das neue Bergbauprojekt »Minas Conga« aufgerufen?

19 Jahre Bergbau in Cajamarca sind 19 Jahre Erfahrung mit Menschenrechtsverletzungen. Der Bergbau findet hier in offenem Tagebau statt und Gold wird per Zyanidverfahren gewonnen. Nie wurde genau untersucht, inwieweit Böden, Luft und Wasser verschmutzt und Menschen chronisch vergiftet wurden. Doch sicher ist, daß Zyanid und andere Schwermetalle in die Grundwasserreservoirs sickern, und das hat selbstverständlich negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.

Bei den »öffentlichen« Anhörungen, die die Firma Minera Yanacocha im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfungen durchführte, machte sie Gebrauch von ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht: Hunderte Polizisten kontrollierten den Zugang und ließen nur vorher registrierte, von der Firma vorher ausgewählte Personen ein. Vertreter des Komitees, in dem Gewerkschaften, universitäre Gruppen, Kirchenvertreter und viele andere Basisinitiativen wie die Bauernwehren aktiv sind, wurden nicht durchgelassen. Diese Vorgänge haben dazu geführt, daß der Bevölkerung die Gefahr, die von diesem Projekt ausgeht, sehr bewußt geworden ist. Sechs große Seen sind gefährdet. Außerdem würden fünf Wassereinzugsgebiete mehrerer Provinzen zerstört werden. Ein Vorstandsmitglied von Minera Yanacocha war übrigens Direktor für Umweltfragen im Ministerium für Bergbau und Energie und verantwortlich für die Genehmigung von »Minas Conga«.

Wie beurteilen Sie das Verhalten der Zentralregierung unter Präsident Ollanta Humala in bezug auf das Projekt?

Sie hat sich komplett von Minera Yanacocha kaufen lassen. Wir, die Führer der Umweltbewegung, erhalten Todesdrohungen, es findet eine schlimme Schmutzkampagne gegen uns statt, insbesondere gegen mich und gegen Regionalpräsident Gregorio Santos. Man versucht, uns auch ökonomisch zu erpressen, doch wir lassen uns nicht einschüchtern.

Die Zentralregierung verteidigt das Projekt, ohne genau Kenntnisse darüber zu besitzen. Sie ist der Meinung, daß von seiner Verwirklichung die Entwicklung des Landes abhänge. Aber nach 19 Jahren Bergbau in Cajamarca fragen wir uns, wo denn diese Entwicklung ist, die sie uns immer wieder versprechen. Außerdem wird »Minas Conga« bis 2015 oder 2016 keinerlei Steuergelder einbringen. Selbst Umweltminister Ricardo Giesecke bestätigte, daß dieses Projekt höchst destruktiv sei. Präsident Humala hatte im Wahlkampf versprochen, das Wasser in Cajamarca verteidigen zu wollen. Viele von uns hatten deshalb bei der Wahl im Juli für ihn gestimmt und sind nun sehr enttäuscht.

Welche Aktionen plant das Komitee aktuell?

Bereits am 24. November haben wir den Generalstreik ausgerufen, bis uns der von Präsident Humala verhängte Ausnahmezustand dazu zwang, ihn aufzuheben. Dennoch protestiert die Bevölkerung weiter gegen »Minas Conga«. Mit für den Januar geplanten Aktionen wollen wir zeigen, daß »Minas Conga« ökologisch, sozial und wirtschaftlich nicht hinnehmbar ist.

Was wurde bisher mit dem Generalstreik erreicht?

»Minas Conga« ist nun im Bewußtsein aller Bürger. Wenn wir von der Verteidigung des Wassers reden, dann erhebt sich das ganze Volk in Cajamarca. Und trotz des Ausnahmezustandes protestierte die Bevölkerung friedlich weiter. Die Regierung weigert sich, mit den Führern der Umweltbewegung zu sprechen. Daher haben zahlreiche Provinzbürgermeister, die Regionalregierung, das Komitee und andere soziale Organisationen beschlossen, nicht zur Versammlung zum Thema zu gehen, die für den 27. Dezember in Lima anberaumt worden ist. Denn am 19. Dezember, als Premierminister Oscar Valdés nach Cajamarca kam, wollte er, daß Regionalpräsident Santos ein vorgefertigtes Protokoll unterschreibt. Er erlaubte nicht, daß Santos seine Meinung kundgibt oder daß andere Führer der Umweltbewegung an der Versammlung teilnehmen. Basisgruppen, die Regionalregierung von Cajamarca und Bürgermeister aus verschiedenen Distrikten und Provinzen haben deshalb um einen Vermittler gebeten und verlangt, daß die Zentralregierung die Vertreter der Bürger respektiert.

Interview: Anne Grit Bernhardt

** Aus: junge Welt, 27. Dezember 2011


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