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Drama in Peru

Präsident Ollanta Humala verhängt Ausnahmezustand. Keine Einigung im Streit um Goldmine

Von Anne Grit Bernhardt, Cajamarca *

Perus Präsident Ollanta Humala hat am späten Sonntag abend (Ortszeit) in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache den Ausnahmezustand über die Provinzen Cajamarca, Bambamarca, Hualgayoc, Contumaza und Celendín im Norden der peruanischen Anden verhängt. In dieser Region protestieren die Einwohner seit dem 24. November gegen ein Goldminenprojekt, das die Lebensgrundlage Tausender Menschen bedroht (siehe auch jW vom 5.12.).

Vor der Verhängung des Ausnahmezustands war am Wochenende der Versuch gescheitert, durch Verhandlungen einer Lösung des Konflikts näherzukommen. Dazu waren Ministerpräsident Salomon Lerner und Innenminister Oscar Valdés am Sonntag in die Provinzhauptstadt Cajamarca gereist, wo sie mit Vertretern der regionalen Behörden zusammentrafen, während zeitgleich Tausende Menschen unter den Augen Hunderter Polizisten und Soldaten friedlich gegen das Bergbauprojekt protestierten. Mit Musik und politisch umgetexteten Karnevalsliedern harrten die Demonstranten bis in die Nacht auf dem Hauptplatz der Stadt aus. Führenden Mitgliedern der Protestbewegung, wie dem Präsidenten des örtlichen Umweltverteidigungskomitees, Wilfredo Saavedra, wurde der Zutritt zu den Verhandlungen verweigert.

Die Vertreter der betroffenen Regionen forderten in den Gesprächen, die Unantastbarkeit der Bergseen zu garantieren. Das Unternehmen Minera Yanacocha müsse alle dort bereits aufgebauten Maschinen aus der Umgebung der Gewässer entfernen. Zudem wurden die Rücknahme der Strafanzeigen gegen die Führungspersönlichkeiten der Protestbewegung sowie eine Entmilitarisierung Cajamarcas gefordert. Die Regierungsvertreter waren dazu nicht bereit. Statt dessen beschimpften sie die Aktivisten der Protestbewegung. Der Regionalpräsident von Cajamarca, Gregorio Santos, wurde erpresserisch aufgefordert, ein vorbereitetes Abkommen zu unterschreiben, sonst werde der Notstand verhängt. Santos erbat daraufhin eine Frist von 24 Stunden, um die Bevölkerung befragen zu können. Nach zehn Stunden wurden die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen, woraufhin der Staatschef um 22.10 Uhr Ortszeit den Ausnahmezustand erklärte, durch den alle Bürgerrechte für 60 Tage außer Kraft gesetzt werden. Verboten ist auch, zu protestieren, sich zu versammeln, Plakate mit politischen Botschaften zu tragen oder irgendwo auszuhängen.

Obwohl die Proteste in Cajamarca bislang weitgehend friedlich verlaufen, gelten die Demonstranten in den meisten Kommentaren als »Radikale«, »Terroristen« und »Extremisten«, die gegen die Entwicklung des Landes seien. Von »dummen Hochlandindianern«, die nicht wüßten, was sie da eigentlich machen, ist die Rede. Die Berichte der Hauptstadtpresse und die Äußerungen zahlreicher Politiker und einiger Minister sind von Intoleranz und Rassismus geprägt. Anstatt Bilder der friedlichen Protestaktionen zu zeigen, sieht man in nationalen Fernsehsendern Aufnahmen von brennenden Reifen und angeblich gewaltbereiten Demonstranten. Interviewt werden fast ausschließlich Politiker der extremen Rechten. So wolllte Martha Chávez, eine Kongreßabgeordnete von Fuerza 2011 (der Partei von Keiko Fujimori und deren Vater, dem früheren Diktator Alberto Fujimori) hinter den Aktionen in Cajamarca »marxistische Extremisten« sehen, darunter ehemalige Mitglieder der MRTA-Guerilla. Rafael Rey, früherer Verteidigungsminister in der Regierung von Alan Garcia (2006 bis 2011) und Mitglied des reaktionären katholischen Ordens Opus Dei, nannte Cajamarcas Regionalpräsidenten Gregorio Santos wegen dessen führender Rolle in der Widerstandsbewegung einen »Kriminellen«.

»Wir werden weiterkämpfen«, zeigte sich dieser ungebrochen und kündigte an, in einen Hungerstreik treten zu wollen. Die Menge auf dem Hauptplatz rief wütend »Wir wollen Demokratie, keine Diktatur!« und »Wir verteidigen das Wasser mit unserem Leben!« Kurzzeitig brach das Mobilfunknetz zusammen, als Tausende Cajamarquinos besorgt ihre Familien anriefen. Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs haben die Stadt besetzt, niemand weiß, wie es weitergehen wird.

* Aus: junge Welt, 6. Dezember 2011


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