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"Wasser, kein Gold"

Seit fast zwei Wochen streiken Bewohner einer ganzen Region in peruanischen Anden gegen Bergbauprojekt Minas Conga

Von Anne Grit Bernhardt, Cajamarca *

Das Bergwerk Yanacocha im peruanischen Departement Cajamarca ist die größte Goldmine Lateinamerikas und die zweitgrößte der Welt. Obwohl Cajamarca im Norden Perus reich an Bodenschätzen ist, gehört die Region zu den ärmsten des Landes. Angespornt durch den hohen Goldpreis, will das Betreiberunternehmen Minera Yanacocha nun in dieser Region sieben weitere Goldminen eröffnen. Dazu gehört auch das Projekt »Minas Conga« auf über 3000 Meter Höhe. Es gefährdet vier große Bergseen und Feuchtgebiete, die für Tausende Menschen die wichtigste Trinkwasserquelle sind.

Als am 25. August im Dorf Agua Blanca die Forellen starben, wurde den Bewohnern schlagartig bewußt, welche Auswirkungen »Minas Conga« für sie haben wird. Die Bohrungsarbeiten, die bereits in vollem Gange sind, haben die Wasserquellen der Gemeinde zerstört. Milciades Atalaya aus Agua Blanca erzählt: »Es gab immer viele Fische und Kröten, nie ist eine Forelle gestorben. Auch unsere Tiere tranken das Wasser.« Mit ihrer Forellenzucht hatten die Dorfbewohner ihr mageres Einkommen aufgebessert. Alle betreiben zudem Landwirtschaft und leben von dem, was auf den Feldern wächst. Im Dorf wohnen rund 350 Menschen in kleinen, selbstgebauten Lehmhäuschen. Neben jedem Haus sieht man nun seit September neue blaue Wasserkanister. »Am 19. September wurde durch Bohrarbeiten erneut der Fluß Río Chirimayo vergiftet. Das Wasser färbte sich milchig. Eine Kuh trank das Wasser aus dem Auffangbehälter des Trinkwassers und starb. Ingenieure kamen und untersuchten das Wasser und die toten Fische, aber die Ergebnisse wurden nicht bekanntgegeben. Bei einer Dorfversammlung teilte das Unternehmen den Bewohnern mit, daß sie ihr Wasser nicht mehr benutzen dürfen. »Mehr wissen wir nicht«, klagt Atalaya.

Seit dem 24. November demonstrieren deshalb Tausende Menschen in der Provinzhauptstadt Cajamarca gegen das Bergbauprojekt. Ein Generalstreik legt seither die gesamte Stadt lahm. Die Straßen sind für den Verkehr gesperrt, die Geschäfte und öffentliche Institutionen geschlossen. Überlandstraßen und Flughafen wurden von Demonstranten blockiert. Keiner kommt mehr rein oder raus aus der Stadt. Obwohl sie von der Regierung in Lima als »Radikale« und »Terroristen« beschimpft und provoziert werden, blieben die Protestierenden in der Stadt friedlich. Lediglich in der nahegelegenen Ortschaft Celendín gab es Ausschreitungen, als Demonstranten die Büros von Minera Yanacocha stürmten und Firmenunterlagen verbrannten, sowie an Barrikaden, als die Polizei gewaltsam einige blockierte Straßen räumte.

Während es bereits an Gas und Benzin mangelt und das Bergwerk Yanacocha deshalb schon seine Arbeit einstellen mußte, herrscht an Nahrungsmitteln kein Mangel. Es werden Volksküchen und provisorische Unterkünfte für die Bäuerinnen und Bauern organisiert, die aus allen umliegenden Dörfern in die Stadt kommen, um sich den Aktionen anzuschließen.

Jeden Abend fährt ein Lastwagen mit gespendeten Lebensmitteln und Decken ins Hochland zu den bedrohten Bergseen, wo ebenfalls Hunderte Demonstranten ausharren, damit Minera Yanacocha die Gewässer nicht antastet. »Minas Conga« soll 36000 Hektar groß werden, die Seen Laguna Azúl und Laguna Chica würden den Planungen zufolge als Abfallhalden benutzt werden, in die Abraum und zyanidhaltiger Abfall geschüttet werden sollen. Die Laguna Perol und die Laguna Mala sollen in einen offenen Tagebau verwandelt werden. Auch etliche kleinere Seen und Tümpel sind vom Bergbau bedroht.

»Minera Yanacocha behauptet, diese Seen könnte man einfach von einem Ort zu einem anderen umsiedeln. Wie soll das gehen? Sind sie jetzt etwa Gott? Diese Seen sind unterirdisch miteinander verbunden, speisen etliche Feuchtgebiete und Flüsse, die Dutzende Bauerngemeinden und einige Städte mit Wasser versorgen. Es sind wichtige Ökosysteme, die dringend geschützt werden müssen. Sie müssen unantastbar sein«, erklärt der Präsident des Umweltschutzvereins Pulla Purishun aus Cajamarca, Jorge Abanto. »Der Bergbau hat in Cajamarca Böden, Flüsse, Seen, ganze Berge zerstört. Denn das Gold bauen sie mit dem hochtoxischen Zyanid im offenen Tagebau ab. Das Geld nehmen sie mit ins Ausland, die Gifte und zerstörten Ökosysteme bleiben in Cajamarca.«

Am vergangenen Mittwoch (30. Nov.) besetzten mehr als 50000 Demonstranten die historische Plaza de Armas von Cajamarca. Es kamen mehr und mehr Menschen, die nicht mehr auf den Platz paßten. Stundenlang ertönten in der gesamten Stadt die Rufe »Agua Sí, Oro No« (Wasser ja, Gold nein!) und »¡Conga no va!« (Conga geht nicht!).

Und der Präsident? Ollanta Humala schien mehrere Tage verschwunden zu sein; er versteckte sich, hat seine Wahlversprechen offenbar vergessen. Die Menschen fühlen sich von ihm verraten, hatte ihnen doch gerade Humala versprochen, die Wasserquellen zu schützen und nicht dem Bergbau zu überlassen. Trotzdem verteidigt Perus Ministerpräsident Salomon Lerner das Projekt. Es müsse auf jeden Fall durchgeführt werden, es gehe um die Entwicklung des Landes. Dazu schlossen führende Regierungsvertreter auch die Verhängung des Ausnahmezustands über die Region nicht aus.

Die Cajamarquinos fragen sich hingegen, welche Entwicklung der Kabinettschef meint. Nach 18 Jahren Bergbau in der Region ist diese lediglich ärmer geworden, die Menschen kränker. »Wir wollen keinen Dialog. Wir wollen, daß der Präsident persönlich sagt: Conga kommt nicht«, unterstreicht der Präsident des Umweltverteidigungskomitees, Wilfredo Saavedra. Deshalb reicht den Protestierenden auch nicht, daß Minera Yanacocha auf Bitten der Regierung das Projekt vorläufig ausgesetzt hat. »Minas Conga« soll für immer per Gesetz verhindert werden.

* Die Autorin ist diplomierte Geoökologin der Universität Potsdam. Seit Oktober 2010 wohnt sie in Cajamarca und arbeitet in einem Andendorf als Umweltlehrerin.

Aus: junge Welt, 05. Dezember 2011



Cajamarca und die Folgen

Der Bergbaukonflikt spiegelt die neue Lage in Peru wieder

Von Gustavo Espinoza, Lima **


Noch ist der soziale Konflikt nicht beendet, der in Cajamarca aus dem vom Yanacocha-Konzern betriebenen Bergbauprojekt »La Conga« entstanden ist, aber er beinhaltet einige Lehren, über die es sich nachzudenken lohnt.

Erstens ist festzuhalten, daß sich die sozialen Konflikte in Peru heute unter anderen Rahmenbedingungen vollziehen. Unter der Fujimori-Herrschaft (1990–2000, Anm. d. Red.) wurden sie wegen des von den damaligen Behörden verbreiteten Klimas der Einschüchterung nur im Geheimen ausgetragen. Unter Alejandro Toledo (2001–2006) wurden Proteste öffentlich, waren aber noch zersplittert und konfus. Unter Alan García (2006–2011) führten soziale Auseinandersetzungen zu harten Spannungen, die Blutvergießen und Todesopfer forderten. Heute erscheinen sie reifer und organisierter und führen vor allem zu bedeutenden Fortschritten für das Land und die Bürger.

Wie in allen solchen Fällen spekulierten die traditionelle Rechte und die Mafia auf zwei klassische Formeln: Bergbauinvestitionen sind jedes Opfer wert, und der Widerstand der Bürger muß um jeden Preis unterdrückt werden. Den Willen der ausländischen Konzerne durchzusetzen und die Opposition der Bevölkerung gegen die schädlichen Aktivitäten der Unternehmen zu brechen, das war für sie die erste Verantwortung des Staates, wenn nicht sogar seine erste Pflicht.

Heute, unter der Regierung von Präsident Ollanta Humala (seit 28. Juli 2011) hat sich, auch unabhängig vom Willen der Behörden, der Gemeinsinn durchgesetzt: Nichts kann gegen den Willen eines Volkes realisiert werden.

Die Volksmassen besetzen nun die Bühne, zum Erschrecken des Hofstaats des Kapitals. Rückwärtsgewandt ist nicht, die Umweltverschmutzung und Überausbeutung anzuprangern, sondern der Glaube, daß das aus diesem Bergwerk geförderte Gold Fortschritt schaffen wird. Wenn dem so wäre, wäre das Andenhochland die wohlhabendste Region Perus.

Ollanta Humala ist objektiv der Anführer des sich heute in Peru vollziehenden sozialen Fortschritts. Er übt diese Führungsrolle in einem extrem komplizierten Umfeld aus, um das Land aus der Krise zu holen, in der es lange Jahrzehnte gefangen war.

Der schlimmste Fehler, den die peruanische Linke begehen könnte, und den einige bereits begehen, ist, diese Führungsrolle zu untergraben. Ihn zu beschimpfen, um ihn auf die andere Seite zu drängen, »damit er endlich seine Maske fallen läßt«, wäre kein Verbrechen, sondern eine Dummheit.

** Der Autor ist Redakteur der peruanischen marxistischen Zeitschrift Nuestra Bandera. Übersetzung: André Scheer

Aus: junge Welt, 5. Dezember 2011



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