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Gespaltene Linke

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Paraguay. Alles deutet auf einen Sieg der rechten Colorado-Partei, die zwischen 1947 und 2008 immer dominierend war

Von Johannes Wilm, Asunción *

Am Sonntag werden in Paraguay ein neues Parlament und ein neues Staatsoberhaupt gewählt. 2008 hatte das Land weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als ein mit dem damaligen venezolanischen Staatschef Hugo Chávez verbündeter Bischoff es schaffte, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Bis dahin galt die rechte Colorado-Partei in Paraguay als unbesiegbar und hatte sowohl in Zeiten der Diktatur (1947–1989) wie auch der bürgerlichen Demokratie (1989–2008) alle Wahlen gewonnen. Nach dem Ende der Diktatur war unter ihrer Herrschaft eine neue Verfassung ausgehandelt worden, die dem Präsidenten eine schwache und dem Parlament eine starke Rolle verlieh.

Auch Präsident Fernando Lugo war stark vom Parlament abhängig, das das eigentliche Machtzentrum des Landes darstellt. Während seiner Amtszeit wurde er permanent von den Liberalen herausgefordert, die ihn zunächst bei seiner Wahl unterstützt hatten. Dennoch gelang es Lugo, einige Sozialprogramme für die ärmsten Schichten der Bevölkerung durchzusetzen. Als größter Erfolg dürfte dabei die Gesundheitsreform zu werten sein: Die gesamte medizinische Betreuung wurde kostenlos.

Schließlich verbündeten sich jedoch Liberale und Colorados und warfen Lugo eine schlechte Amtsführung vor. Sie stürzten ihn im Juni 2012 über ein Amtsenthebungsverfahren und setzten kraft ihrer absoluten Mehrheit im Parlament seinen bisherigen Stellvertreter und Liberalen-Chef, Federico Franco, als neuen Präsidenten ein.

Die internationalen Reaktionen auf diesen kalten Staatsstreich hatten die Putschisten offenbar falsch eingeschätzt. So hatte die Colorado-Partei durch ihre Stärke im Parlament bis zum Putsch verhindern können, daß Venezuela in das Handelsabkommen ­MERCOSUR aufgenommen wird. Neben Paraguay waren bis dahin Argentinien, Brasilien und Uruguay Mitglieder. Da die Regierungen dieser Länder die Putschregierung nicht anerkannten und Paraguays Mitgliedschaft suspendierten, konnte Venezuela schon im August 2012 aufgenommen werden. Anstatt die Linke Lateinamerikas zu schwächen, rückten so die fortschrittlichen Regierungen der mit Venezuela befreundeten Staaten und die sozialdemokratischen Kabinette von Brasilien und Argentinien näher zusammen.

In Paraguay fiel der Protest gegen den Putsch jedoch schwach aus. Es gab einige Demonstrationen in den größeren Städten und von linken Bauernorganisationen in der Provinz. Insgesamt jedoch ist die Linke zerstritten und gespalten. Auch der kalte Putsch gegen Lugo hat sie nicht dazu bewegen können, gemeinsam dagegen vorzugehen und bei den bevorstehenden Wahlen einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen.

So tritt am Sonntag aus den Reihen der linken Putschgegner u.a. der Fernsehtalkmaster Mario Ferreiro an, der erst 2012 Politiker wurde. Er wird von der Aktivistenorganisation »Partei der Bewegung für den Sozialismus« (P-MAS) unterstützt. Ferreiro hat nicht ausgeschlossen, nach den Wahlen unter Umständen mit den Liberalen zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Kandidat ist der Arzt Aníbal Carrillo der Frente Guasu, für die sich auch Lugo um einen Sitz im Senat bewirbt. Die Frente Guasu ist eine Koalition verschiedener linker Gruppen, zu der anfangs auch Mario Ferreiro und die ­P-MAS gehörten. Eine dritte Kandidatin ist Lilian Soto von der feministischen Gruppe Kuña Pyrenda. Sie war bis März 2012 Ministerin für Öffentliche Anstellungen gewesen, hatte sich dann jedoch zurückgezogen, um sich als Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen vorzubereiten.

Alle drei Bewerber geben vor, eine einzige linke Kandidatur zu präferieren. Aber auf eine Person dafür konnten sie sich nicht einigen. Zusammengerechnet liegen die drei in Umfragen bei 13 Prozent. Demgegenüber darf der Kandidat der Liberalen, Efrain Alegre, mit 31 bis 32 Prozent der Stimmen rechnen.

Während Linke und Liberale schwächeln, scheint die Colorado-Partei erneut die Macht ergreifen zu können. Ihr Kandidat, Horacio Cartes hat im Wahlkampf damit geworben, wieder mehr Militärmärsche zu veranstalten und öfter die Nationalhymne zu singen. Nach einem von Wikileaks veröffentlichten Dokument der US-amerikanischen Botschaft in Argentinien vom Januar 2010 geht diese davon aus, daß Cartes ein Netzwerk leitet, das große Mengen unter anderem aus dem Drogenhandel stammendes Geld wäscht. Cartes liegt in Umfragen bei 37 bis 45 Prozent.

* Aus: junge Welt, Freitag, 19. April 2013


Der große Putsch findet am 21. April statt

Der Befreiungstheologe Pa’í Oliva zu den Wahlen in Paraguay knapp ein Jahr nach dem Sturz des Präsidenten Lugo **

Francisco de Paula Oliva, genannt P’aí (Guaraní für Vater), gilt als wichtigster paraguayischer Befreiungstheologe. Der 84-jährige Jesuit ist Journalist, Initiator von Bildungsprojekten für sozial Benachteiligte und politischer Analytiker. Wegen seiner sozialpolitischen Arbeit verwies ihn die Stroessner- Diktatur 1969 des Landes. 1996 kehrte er nach Paraguay zurück. Mit ihm sprach für »nd« in Asunción Gerhard Dilger.

Pa’í Oliva, ist der Wahlsieg der Colorado-Partei in Paraguay überhaupt noch zu verhindern?

Die Wahl ist praktisch verloren. Die Rückkehr der Colorados an die Macht steht unmittelbar bevor. Sie werden sich festklammern, sie sind sehr gut organisiert. Wir wissen nicht, ob sie zehn oder 20 Jahre dranbleiben werden, mit allen möglichen Tricks. Mit ihnen wird Paraguay im weltweiten Vergleich noch weiter zurückfallen. Die Regierung dieser Herren wird vollkommen vertikal, von oben nach unten, vollkommen rechts sein, mit viel Vetternwirtschaft. Sie verkaufen und kaufen alles, sie versorgen ihre Leute mit staatlichen Posten, dabei gibt es ja schon jetzt zu viele Staatsangestellte, das wird nun weiter gefestigt.

Das Massaker von Curuguaty (bei dem elf Bauern und sechs Polizisten starben, d. Red.) war ein einziger Vorwand für den Putsch. Jeden Tag gibt es neue Entdeckungen, zum Beispiel ein Video mit einem kreisenden Hubschrauber und Stimmen von Bauern und Polizisten, die bitten, dass nicht auf sie geschossen wird. Dann kamen der Putsch, der Schnellprozess im Parlament, die Spaltung.

Warum konnte sich die Linke vor den Wahlen nicht einigen?

Wegen der Schwäche Fernando Lugos und des Geldes des Colorado- Kandidaten Horacio Cartes. Nach ein, zwei Monaten haben wir gemerkt, dass er eine linke Gruppe gekauft hat. Die haben alles ausgeheckt und versaut, vier Monate lang haben sie um vier vordere Plätze auf der Senatsliste gestritten – völlig absurd. Monatelang haben wir die Beteiligten auf beiden Seiten beschworen, sich zu einigen, aber die Einheit kam nicht, nur gegenseitige Schuldzuweisungen.

War das Scheitern absehbar?

Nein. An einem Punkt hätten wir es fast geschafft, da kamen Lugo und der Journalist Mario Ferreiro, der linke Präsidentschaftskandidat mit den größten Wahlchancen, mit jeweils zwei Leuten, und wir sagten: Entweder ihr einigt euch oder wir erzählen alles, was wir wissen. Am folgenden Tag wurde Aníbal Carrillo, der Vorsitzende seiner Gruppe, von Lugo zum Präsidentschaftskandidaten ernannt. Damit hat Fernando Lugo die Lücke geschlossen, die es noch zum Verhandeln gab. Nun wird der große Putsch am 21. April stattfinden.

Wird sich die Linke denn nach der Wahl zusammenraufen?

Kaum. Die meisten Politiker haben sich ja bereits innerhalb des Colorado- Systems positioniert. Sie klammern sich an ihre Machtpositionen, sie lassen einfach nicht los.

Was war der größte Erfolg der fast vierjährigen Amtszeit Lugos?

Es gibt einen ganz generellen Fortschritt: Lugo hatte Angst vor der Rechten, doch in dem Maße, wie er den Ärmsten half, wurden ihnen die Augen geöffnet. Zum ersten Mal bekamen sie kostenlose Gesundheitsversorgung, Zugang zu ein bisschen Bildung und zu Sozialprogrammen wie in Brasilien. Es waren viele kleine Dinge, aber das Wichtigste war: Er hat das Tor aufgestoßen. Wenn sie ihn gelassen hätten, hätte er die kommende Wahl wahrscheinlich gewonnen. Das war die große Furcht der Sojapflanzer. Viele Leute haben jetzt ein größeres Bewusstsein, auch wegen des Putsches.

Aber das reicht nicht, um den Sieg der Colorados zu verhindern?

Ich kann mir eigentlich nur eine Lösung wie in der griechischen Tragödie vorstellen, mit einem Deus ex Machina. Oder es gäbe noch die Lösung, dass die Leute an der Wahlurne ganz bewusst all diese Herren bestrafen und zum Beispiel für Mario Ferreiro stimmen. In den Fernsehdebatten war er der einzige, der die Dinge beim Namen genannt hat.

Wie ist denn die Rolle der Staatengemeinschaft angesichts der Wahlen? Alles deutet ja darauf hin, dass Paraguay anschließend wieder in die subkontinentalen Staatenbündnisse MERCOSUR und UNASUR aufgenommen wird.

Ja. Die Rolle der Wahlbeobachter aus diesen Reihen ist dubios. Einige sind jetzt schon da, doch für sie sind die Wahlen nur eine technische Frage, ob mit den Listen, den Wahllokalen, den Fernsehinterviews alles stimmt. Um Stimmenkauf kümmern die sich nicht, das sei eine politische Frage, sagen sie.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 20. April 2013


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