"Die Guerilla ist eine Erfindung"
Gerónimo Arevalos über Landkonflikte rund um den Sojaanbau und Paraguays Putschisten *
Gerónimo Arevalos ist Mitte 50. In
den 80er Jahren begann er mit anderen
Landlosen, Besetzungen in
Alto Paraná im Osten Paraguays zu
organisieren. Daraus entstand die
Organisation ASAGRAPA, in der
sich Kleinbauern politisch und genossenschaftlich
organisieren.
Arevalos informiert auf einer
Rundreise in Europa über die
Folgen des Sojaanbaus in Paraguay.
Mit ihm sprach für »nd«
Thilo F. Papacek.
Im nächsten Jahr werden im
April in Paraguay Präsidentschaftswahlen
stattfinden. Was
erwarten Sie nach dem parlamentarischen
Putsch gegen den
linken Präsidenten Fernando Lugo
im Juni für die Linke?
Oh, das ist ein Drama, das ist traurig.
Dadurch, dass Lugo abgesetzt
wurde, hat er ein schlechtes Bild
hinterlassen. Der demokratische
Wandel ist unterbrochen worden.
Ich sehe keine Chance für Lugos
linkes Parteienbündnis mehr. Ich
bin mir sicher, dass bei den
nächsten Wahlen die rechten Colorados
wieder gewinnen werden.
Was halten Sie von den Ereignissen
vom 21. bis zum 22. Juni
dieses Jahres, als das Parlament
Präsident Fernando Lugo im Eilverfahren
des Amtes enthob?
Wir, das heißt die Mitglieder von
ASAGRAPA, sehen in diesen Ereignissen
einen Staatsstreich. Der
wurde angezettelt von den Abgeordneten
der beiden legislativen
Kammern, im Interesse der Großgrundbesitzer
und der Sojaindustrie.
Sie haben in Curuguaty eine
Falle aufgestellt. Dort gab es am
15. Juni einen gewaltsamen Zusammenstoß.
Dabei wurden einige
Kleinbauern umgebracht und auch
Polizisten kamen ums Leben. Dies
wurde von den Parlamentariern
ausgenutzt, um das zu tun, was sie
ohnehin wollten: Fernando Lugo
absetzen.
Lugo wurde beschuldigt, für die
Gewalteskalation verantwortlich
zu sein. Bis heute gab es keine umfassende
Untersuchung des ganzen
Vorfalls. Was ist in Curuguaty
passiert?
Das war ein abgekartetes Spiel.
Kleinbäuerinnen und -bauern haben
Land besetzt, das sich der
Großgrundbesitzer und ehemalige
Funktionär der konservativen Colorado-
Partei Blas Riquelme illegal
angeeignet hatte. Die Besetzer haben
dann bei der Agrarbehörde
INDERT eine Enteignung beantragt,
und das wollten die Großgrundbesitzer
nicht. Ich bin mir
sicher, dass da Leute infiltriert
wurden, um die Gewalt anzuheizen.
Augenzeugen berichteten von
Scharfschützen, die aus dem Hinterhalt
das Gefecht begannen, bei
den Besetzern fand man aber nur
einige rostige Flinten. Die Region
ist ein Zentrum des Marihuana-
Anbaus. Es gibt da viele Verbindungen
zu den Großgrundbesitzern,
dem organisierten Verbrechen
und den traditionellen Parteien,
die gegen Lugo waren. Die
haben sich zusammengetan, um
diese Gewalteskalation herbeizuführen,
mit dem Ziel, Lugo abzusetzen!
Das war ganz klar eine
Falle!
Eine der Hauptanschuldigungen
gegen die Regierung Lugos war,
dass er die Guerilla Volksheer Paraguays
(EPP) unterstützt hätte.
Was können Sie dazu sagen?
Das hängt eng mit dem Vorfall von
Curuguaty zusammen. Ich halte
die EPP nur für eine weitere Erfindung,
um die Bewegung der
Kleinbäuerinnen und -bauern anzugreifen.
Die Leute, die als EPP
auftreten, sind eine Mafia, gestützt
von den Marihuanapflanzern in
der Region.
Aber Alcides Oviedo, der inhaftierte
selbst ernannte Führer der
EPP, erklärt, die Rechte der Armen
in Paraguay verteidigen zu
wollen ...
Das sagt er nur. Die EPP ist eine
Erfindung, nicht mehr! Wenn es
die EPP gäbe, würde ich dazugehören,
nur weil ich mich gegen die
Interessen der Großgrundbesitzer
stelle! Die EPP wird nur von der
Regierung benutzt, um die sozialen
Bewegungen zu bekämpfen.
In Canindeyú gibt es derzeit einen
sehr ähnlichen Konflikt wie
den in Curuguaty, auch dort haben
Kleinbäuerinnen und Kleinbauern
angekündigt, Ländereien besetzen
zu wollen, die illegal an Großgrundbesitzer
verteilt wurden. Glauben Sie, dass dieser Konflikt
auch so eskalieren könnte wie der
in Curuguaty?
Nein, das glaube ich nicht. Denn
die Großgrundbesitzer brauchen
nicht mehr auf die Gewalt zurückzugreifen,
um die Besetzung zu
verhindern. Die Sojapflanzer haben
ja nun die Unterstützung der
Regierung und müssen nicht befürchten,
dass der Staat sich das
gestohlene Land zurückholt. Sie
sind Lugo schon losgeworden, es
gibt keinen Grund mehr für sie,
solche Gewaltausbrüche zu provozieren.
Haben Sie eine konkrete Botschaft
an die Menschen hier in
Deutschland?
Auf jeden Fall. Ich möchte die
Deutschen darum bitten, genau zu
schauen, was sie essen. Ob das
Fleisch, das sie essen, aus Massentierhaltung
stammt, in der genetisch
verändertes Futter aus Paraguay
verfüttert wurde. Die meisten
wissen hier ja nicht, wie das
Soja in Paraguay hergestellt wird.
Die schlechte Ernährung in Europa
und die Vergiftung und Zerstörung
der Natur in Paraguay hängen
unmittelbar zusammen.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 20. November 2012
Raising Resistance
Film über den Widerstand gegen Sojaanbau
Der Film »Raising Resistance«
(Wachsender Widerstand) zeigt
die weltweiten Zusammenhänge
des Sojaanbaus und seine Folgen
für die Menschen und die
Umwelt in Paraguay sowie den
Widerstand der Kleinbauern dagegen.
Der Film hat bereits zahlreiche
Preise erhalten, unter anderem
2011 den Preis der
schweizerischen Radio- und
Fernsehgesellschaft SRG-SSR für
den besten schweizerischen Film
und den Deutschen Umwelt- und
Nachhaltigkeitsfilmpreis 2012
des Naturvision Festival. Der
Film erscheint demnächst auf
DVD.
Lesen Sie auch:
Der Fluch der Soja
Paraguay: Landfluchten, Besetzungsaktionen und die Macht von Großkonzernen. Wie eine Bohne ein ganzes Land veränderte (15. Juni 2009)
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