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Tödliche Samen

Paraguay: Widerstand gegen Agrarchemie – Experten warnen vor Zunahme von Vergiftungsfällen

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel, der auf die Lage von Kleinbauern und landlosen Arbeitern in Paraguay hinweist.


Von Alejandro Sciscioli

In Paraguay wächst der Widerstand gegen den unkontrollierten Einsatz gefährlicher Giftstoffe in der Landwirtschaft. Insbesondere Kleinfarmer und landlose Arbeiter wehren sich gegen die Erschließung neuer Felder durch große Agrarunternehmen und das Vordringen chemieintensiver Anbaumethoden in immer neue Regionen des südamerikanischen Landes.

Die Wurzel des Problems liegt nach Ansicht von Experten in der fortschreitenden Ausbreitung der Anbaufläche für genmanipulierte Sojapflanzen. Seit der Einführung transgener Sorten in Argentinien 1996 haben sich diese auch in Paraguay rasend schnell ausgebreitet.

Inzwischen sind nach offiziellen Schätzungen etwa 80 Prozent der insgesamt eineinhalb Millionen Hektar Sojaanbaufläche mit transgenen Varianten bepflanzt, obwohl diese in Paraguay nach wie vor illegal sind. Betroffen sind inzwischen 14 der 17 Verwaltungsbezirke des Landes. Während sich die agroindustrielle Erschließung unaufhaltsam nach Westen voranschiebt, steigt die Zahl der Vergiftungsfälle durch den unkontrollierten Einsatz von Herbiziden, Pestiziden und chemischen Düngemitteln. Insbesondere die großen Agrarfirmen seien skrupellos im Einsatz gesundheitsschädlicher Chemieprodukte, kritisiert Nicasio González, ein Landwirt aus dem Departement San Pedro. Dort hatten Anfang Dezember Kleinbauern und andere Bewohner des Dorfes Cororó gewaltsam das Versprühen von Unkrautvernichtungsmitteln auf einem Feld mit genmanipulierter Soja verhindert, das dem ehemaligen Präsidenten des Landes, Juan Carlos Wasmosy (1993–1997) gehört. »Wir sind schließlich keine Insekten, die man so einfach vergasen kann«, protestieren die betroffenen Anwohner.

»Ursprünglich wurde behauptet, durch die Aussaat genmanipulierter Pflanzen werde sich der Gebrauch von chemischen Produkten verringern. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus«, kritisiert der Agrarökologe Robert Rolón. Er ist Mitarbeiter der Umweltgruppe »Alter Vida«, die überall im Lande Schulungen für Farmer, Ärzte und lokale Beamte über die Gefahren der Agrarchemie und transgener Produkte durchführt. Das Nachbarland Argentinien habe seit der Einführung von transgenem Soja seine Herbizidimporte um 330 Prozent gesteigert, unterstreicht Rolón. In Paraguay seien die Importe dieser Produkte seit 1996 sogar um 820 Prozent gestiegen.

Einige Experten widersprechen der Kritik der Umweltschützer. Es sei zwar durchaus korrekt, daß stellenweise Ansiedlungen oder kleine private Felder durch eine unkontrollierte Ausbreitung von Herbiziden, wie sie auf den Feldern mit transgenem Soja eingesetzt werden, in Mitleidenschaft gezogen werden können, bestätigt der Agraringenieur Carlos Tallone. Für die meisten Agrarfirmen, die im Anbau von transgener Soja tätig sind, träfe das jedoch nicht zu, erläutert der Experte, der als Berater für verschiedene Agrarkonzerne tätig ist. Diese Produkte seien genehmigt und würden gezielt und in geringen Mengen eingesetzt. Darüber hinaus seien diese Produkte erheblich weniger giftig als noch vor einigen Jahren, fügt er hinzu.

Viele Farmer und ihre Familien erlitten Vergiftungen aus Unwissenheit über den sachgemäßen Einsatz der Produkte oder deren Gefahren für die Gesundheit, erläutert Tallone. Hier trage mitunter auch die Regierung Paraguays eine Mitschuld, die die Landwirte unzureichend berate. Für die wachsende Zahl von Vergiftungsfällen wird auch die Baumwollindustrie verantwortlich gemacht, die ebenfalls giftige Pestizide und Düngemittel einsetzt. Die Regierung fördert den Anbau von Baumwolle unter Kleinbauern, denen sie gratis Baumwollsamen und Agrarchemieprodukte zur Verfügung stellt. An der letzten staatlichen Baumwollkampagne hatten sich ungefähr 85.000 Farmer und ihre Familien beteiligt. »Die Frauen der Baumwollfarmer erlitten infolge des Kontaktes mit der Agrarchemie viermal mehr Fehlgeburten als im Landesdurchschnitt«, bestätigt Rolón. Ein weiteres Problem sei die medizinische Versorgung auf dem Lande, fügt er hinzu. Häufig verfügten die Sanitätsstationen nicht einmal über die notwendige Ausstattung, um Giftstoffe im Blut der Betroffenen nachzuweisen.

Der bislang schwerste Vergiftungsfall durch Agrarchemie in Paraguay ereignete sich 1998. Damals waren über 700 Tonnen unbrauchbarer Baumwollsamen, die zuvor mit chemischen Produkten behandelt worden waren, auf einem 2,5 Hektar großen Gelände im Bezirk Ybycui im zentralen Departement Paraguarí abgeladen worden. Die illegal entsorgten Samen verursachten den Tod von Agustín Ruíz, einem Bewohner der Zone, und verursachten Vergiftungserscheinungen bei 600 anderen Anwohnern. Die Staatsanwaltschaft von Paraguarí forderte damals Gefängnisstrafen von fünf bis sieben Jahren wegen vorsätzlicher Tötung. Auf der Anklagebank saß neben dem Besitzer des Geländes auch ein leitender Angestellter der US-amerikanischen Agrarfirma »Delta Pine« in Paraguay, Nery Guzmán Rivas. Der Direktor der Firma in den USA, Eric Lorenz, wurde in Abwesenheit verurteilt.

Ein weiterer Todesfall durch Agrarchemie ereignete sich im Januar dieses Jahres, als der elfjährige Silvino Talavera an den Folgen eines direkten Kontakts mit den Giftstoffen starb. Auch der Rest seiner Familie, deren Haus an ein mehr als 200 Hektar großes Sojafeld grenzt, litt unter Vergiftungserscheinungen. Die Betreiber der Sojafarm stehen inzwischen wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Aus: junge Welt, 6. Januar 2004


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