Staatsstreich 2.0
Seit dem Putsch in Paraguay ist ein Monat vergangen. Ein Gespräch mit dem rechtmäßigen Präsidenten Fernando Lugo
Von Johannes Wilm, Asunción *
Der linksgerichtete Bischof Fernando Lugo wurde 2008 zum Präsidenten Paraguays gewählt. Er löste die Vertreter der konservativen Colorado-Partei ab, die diesen Posten 61 Jahre lang innehatten. Lugos Regierung legte ähnlich denen mehrerer anderer lateinamerikanischer Länder soziale Programme auf und ersetzte die langjährigen festen Beziehungen zu den USA durch Allianzen mit den Nachbarländern.
Der Staatschef hatte seit Beginn seiner Amtszeit eine große Mehrheit im Parlament gegen sich, auch sein Vizepräsident Federico Franco von der Partido Radical Liberal Auténtico stellte sich in den letzten Jahren offen gegen ihn. Am 21./22. Juni wurde Lugo schließlich durch ein Amtsenthebungsverfahren des Parlaments abgesetzt, seitdem bezeichnet sich Franco als Präsident. Eine besondere Festlegung in Paraguays Verfassung ermöglicht dieses Vorgehen. Danach kann die eine Parlamentskammer auf politischer Grundlage eine entsprechende Prozedur gegen den Präsidenten einleiten, die zweite Kammer urteilt später.
Der Anwalt Adolfo Ferreiro, der Lugo in dem gegen ihn angestrengten Verfahren verteidigt, erklärt die Logik von dessen Initiatoren so: »Sie glauben, ein Verfahren völlig grundlos anstrengen zu können. Die Anklagepunkte befaßten sich nicht mit Gesetzesbrüchen, sondern nur mit Dingen, die ihnen nicht gefielen. Sie gingen davon aus, Lugo sei dafür verantwortlich gewesen. Sie versuchen, das Ganze als ein Mißtrauensvotum hinzustellen, wie es in parlamentarischen Systemen üblich ist. Nach ihrer Auffassung muß der Präsident stets von mindestens 35 Prozent der Parlamentarier unterstützt werden. Die Wahrheit ist aber, daß wir in Paraguay ein Präsidialsystem haben, in dem es keinen formellen Zusammenhang zwischen der Mehrheit im Parlament und dem Präsidenten gibt. Es handelt sich in Wirklichkeit um ein Verfahren, das wie jedes andere Gerichtsverfahren gehandhabt werden muß.«
Expreßcoup
Im Wahlkampf 2008 hatte sich Ferreiro noch äußerst ablehnend zu Lugos Kandidatur geäußert. Er gilt auch weiterhin als Kritiker von dessen engen Verbündeten wie z. B. der Regierung Venezuelas. Die Übernahme der Verteidigung im Amtsenthebungsverfahren wird deshalb in der Öffentlichkeit Paraguays auf seine unparteiische Interpretation der Verfassung zurückgeführt.
Lugo selbst betrachtet das ganze Verfahren als Staatsstreich: »Man kann das einen Staatsstreich 2.0, einen parlamentarischen Putsch, einen Expreßcoup nennen – es gibt viele Namen für diesen Staatstreich neuen Typs, der anders ist als die Staatsstreiche der 1970er Jahre. Es gibt keine Panzer und Tote in den Straßen, und sie strengen sich sehr an, dem Ganzen eine Art juristische Legitimität zu geben. Aber all das ändert nichts daran, daß es hier einen Bruch mit demokratischen Prinzipien gegeben hat und daß das, was passiert ist, ein Putsch war.«
Geopolitik
Lugo sieht in seiner Absetzung einige Ähnlichkeiten mit dem Putsch in Honduras im Jahr 2009, durch den Präsident Manuel Zelaya aus dem Amt entfernt wurde: »Für beide Fälle gilt, daß eine Verletzung demokratischer Grundsätze stattgefunden hat und daß dabei die Regierungsperiode des Präsidenten frühzeitig beendet wurde.« Aber er sieht auch große Unterschiede: »In Honduras können wir von einem Putsch eher vom Typ der 1970er Jahre sprechen, da das Militär für seine Durchführung eingesetzt wurde. Es gibt auch einen Unterschied in den geopolitischen Umständen: In Südamerika gibt es einige wichtige Resultate bei Versuchen einer regionalen Integration, z. B. das Handelsabkommen Mercosur. In letzter Zeit ist vor allem die Versammlung Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) in den Vordergrund getreten. Das alles war im Fall von Honduras nicht in gleicher Weise wichtig. Ich denke, daß diese Organisationen eine regionale Alternative zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) darstellen. Deren Bedeutung nimmt rapide ab. Ich will nicht leugnen, daß die OAS in den vergangenen 50 Jahren einiges erreicht hat. Die jetzige Polarisierung, mit Kanada, USA und Mexiko auf der einen Seite und den südamerikanischen Staaten auf der anderen, zeigt aber, daß versucht wird, regionale Alternativen zu finden. Der Putsch ist ein Angriff auf diese regionalen Integrationsanläufe.«
Keiner der drei Nachbarstaaten Paraguays – Bolivien, Brasilien und Argentinien – erkannte bisher das neue Regime oder das Verfahren, durch das es an die Macht kam, an. Im Gegenteil, die Regierungen dieser Länder gehören zu den stärksten Kritikern der Vorgänge. Unter den Befürwortern des Putsches ist deshalb oft zu hören, Paraguay könne statt mit diesen mit anderen Staaten zusammenarbeiten. Lugo hält dies für utopisch: »Geographisch und politisch ist es möglich, daß einige Länder, wie Chile, Peru und Kolumbien bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA abschließen. Aber für Paraguay wird das schwierig werden. Wir haben keine eigene Küste und die Flüsse gehören uns nur teilweise. Wir sind von Brasilien und Argentinien abhängig, um sie für den Güterverkehr nutzen zu können. Darüber hinaus verlor Paraguay in den Zeiten des Neoliberalismus der 1990er Jahre die Kontrolle über eine eigene Fluglinie. All dies macht es sehr schwer, ohne Kooperation mit den Nachbarländern auszukommen.«
Weiterhin Präsident
Lugo vertritt die Auffassung, daß der Putsch in seinem Land als Kampf zwischen Staat und multinationalen Unternehmen gesehen werden sollte: »Wenn wir uns einige der Dinge ansehen, die die Putschisten als erste in Angriff nahmen, wird klar, um was es geht: So wurden genetisch veränderte Lebensmittel freigegeben, es wurde festgelegt, daß die Produktion von Soja steuerfrei sein soll, und es wurde der Firma Rio Tinto Alcan (Aluminiumsparte des multinationalen Bergbaukonzerns Rio Tinto – d. Red.) gestattet, sich in Paraguay niederzulassen. Dies sind drei wichtige Entscheidungen, die wir zuvor zwei Jahre lang diskutiert hatten, auch um die möglichen Folgen genau zu studieren. Jetzt wurde das alles im Schnellverfahren durchgepeitscht. Das zeigt, wie wichtig die Frage der nationalen Souveränität in der ganzen Sache ist.«
Frage des Autors: »In bezug auf Rio Tinto Alcan geht es um einen Vertrag, der 30 Jahre gültig sein soll. In dieser Zeit darf die Firma einen erheblichen Anteil der Elektrizitätsproduktion Paraguays zu einem niedrigen Preis kaufen. Glauben Sie, daß die Regierung, die nach den Putschisten kommt, solche Verträge respektieren wird?« Antwort Lugo: »Ich zweifle stark daran, daß das paraguayische Volk gewillt sein wird, einer einzigen Firma für einen so niedrigen Preis wie dem, von dem hier die Rede ist, Elektrizität zu liefern. Das ist alles sehr fraglich.«
Obwohl Lugo nun zunächst keine Kontrolle über den Staat hat, betrachtet er sich weiterhin als Präsident: »Die Sache ist, daß die Bevölkerung mich als Präsidenten sieht. Der Putschist Franco hat vielleicht formal Kontrolle über Armee und Polizei, aber das heißt noch lange nicht, daß er die Bevölkerung kontrollieren kann. Und grundsätzlich glauben wir, daß das Volk souverän ist zu entscheiden, wer Präsident sein soll. Und regiert Franco wirklich das Land? Ich bezweifle das. Neben der Bevölkerung sieht auch die internationale Gemeinschaft mich weiterhin als den rechtmäßigen Präsidenten Paraguays. Und das ist in der jetzigen Zeit sehr wichtig; es ist fast ein entscheidender Faktor.« Putschpräsident Franco hatte kurz nach dem 22. Juni verkündet, er werde Lugo um Hilfe bitten, um zu verhindern, daß Sanktionen gegen Paraguay erlassen werden. Lugo erklärt dazu: »Ich denke, die meisten Menschen werden verstehen, daß wir nicht mit den Organisatoren des Putsches zusammenarbeiten werden.«
Sein Rat für Beobachter im Ausland lautet: »Wenn man hier die demokratischen Prozesse unterstützen will, dann macht man das am besten, indem man beginnt zu verfolgen, was hier in Paraguay passiert. Wenn die Medien über das berichten, was hier geschieht, dann, denke ich, hilft das der paraguayischen Demokratie am meisten.«
Für 2013 steht die nächste turnusmäßige Präsidentschaftswahl an. Die OAS konzentriert sich darauf herauszufinden, ob sie stattfinden kann. Lugo ist der Auffassung, dies sei nicht genug und nicht der richtige Weg: »Es ist problematisch, immer nur auf die Zukunft zu schielen, und nie das Hier und Jetzt anzusehen. Das bedeutet zu vergessen, daß die jetzigen Machthaber nicht legitimiert sind zu regieren, und daß die jetzige Situation nicht in Ordnung ist. Deshalb werden wir uns auch weiterhin genau darauf konzentrieren.«
* Aus: junge Welt, Montag, 23. Juli 2012
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