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Paraguayer wollen Lugo zurück

Die Bevölkerung des südamerikanischen Staates wehrt sich gegen den "Express-Putsch"

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Paraguays geschasster Präsident Fernando Lugo steht nicht allein. An über 30 Orten des Landes demonstrierten Bewohner für die Wiedereinsetzung des Staatschefs.

Eine knappe Woche nach der blitzschnellen Absetzung des paraguayischen Präsidenten Fernando Lugo durch das Parlament herrscht in der Hauptsstadt Asunción angespannte Ruhe. Die Nationalpolizei bewacht jene Plätze, die für Proteste infrage kommen, zwischen dem Kongressplatz und dem Präsidentenpalast sind drei Wasserwerfer stationiert.

Wichtigste Anlaufstelle der Oppositionellen ist noch immer der öffentliche Fernsehsender »TV Pública«, am »offenen Mikrofon« dominieren junge »Indignados« (Empörte). Kleinbauern, die wichtigste soziale Basis Lugos, sind jedoch kaum zu sehen. »Unter der Oberfläche brodelt es«, berichtet Robert Grosse, Regionalbeauftragter des katholischen Hilfswerks Misereor, »die sozialen Bewegungen mobilisieren vor allem im Hinterland.«

Alle warten gespannt auf den Gipfel der Union südamerikanischer Nationen (UNASUR) im argentinischen Mendoza, wo die Staatschefs der Region am heutigen Freitag über einen Ausschluss Paraguays aus der UNASUR und dem Wirtschaftsbündnis MERCOSUR beraten.

»Wenn es nicht gelingt, den Putsch scheitern zu lassen, droht der ganzen Volksbewegung die Enthauptung«, befürchtet der Bauernaktivist Jorge Galeano. »Die Großgrundbesitzer und Multis haben dafür viele Mittel, etwa die Justiz, die ihnen willfährig ist.« Die neue Regierung ist auf dem Doppelgipfel nicht erwünscht, auch Lugo fährt nun doch nicht nach Mendoza. »Die Außenminister haben sich ja vorige Woche aus erster Hand informiert, sie sollen frei und unabhängig entscheiden«, erklärte er. Stattdessen will er durch das ganze Land zu reisen, um der Bevölkerung »die Lage zu erklären«.

Im Landesinneren fanden in den vergangenen Tagen viele friedliche Pro-Lugo-Kundgebungen statt. Am Dienstag wurde in 30 Orten und neun der 17 Provinzen gegen die neuen Machthaber unter Lugos ehemaligem Vizepräsidenten Federico Franco von der Authentischen Radikalliberalen Partei demonstriert. 2000 Kleinbauern zogen am Mittwoch durch Ciudad del Este an der Grenze zu Brasilien. Straßenblockaden werden zu einer beliebten Protestform. Die Angaben stammen von der Nationalen Front zur Verteidigung der Demokratie, in der sich Kleinbauern, Indigene, Hausfrauen, Intellektuelle und junge Aktivisten aus den Städten zusammengeschlossen haben. Eine Massenbewegung ist das noch nicht. »Viele Leute haben Angst«, sagt Raquel Peralta von der Indígena-Seelsorge dem »nd«.

»Offenbar ist die Regierung schwächer als erwartet und schon jetzt völlig diskreditiert«, meint der Agrarexperte Alberto Alderete, »die Colorados haben den Putsch mitgetragen und sie dann im Regen stehen lassen.« Vor allem das demokratische Bewusstsein sei in der knapp vierjährigen Regierungszeit Lugos gewachsen. Ob das Kalkül von Colorados und Liberalen aufgeht, sich durch den kalten Putsch gegen Lugo eine bessere Ausgangsposition für die Wahlen im April 2013 zu sichern, sei offen.

»Auf dem Land ist der Rückhalt für Lugo groß«, weiß Alderete, »zwar ist die Agrarreform in den knapp vier Jahren Lugo-Regierung so gut wie nicht vorangekommen, doch über 150 000 Kleinbauernfamilien in 300 Siedlungen haben technische Beratung, Gesundheitsposten, Schulen und Verkehrswege bekommen.«

Doch für das Establishment, das der »rote Bischof« im April 2008 besiegt hatte, für die reaktionäre Amtskirche, für die Agrar-, Schmuggler- und Drogenmafia, die im Sechs-Millionen-Staat seit Jahrzehnten den Ton angeben, bleibt Lugo ein Ärgernis. So betrachten die 400 000 »Brasiguayos« Franco als einen der Ihren. Die teilweise seit mehreren Generationen in Paraguay ansässigen, meist aus Südbrasilien stammenden Farmer sind die treibende Kraft hinter dem Gensojaboom, der Paraguay zum viergrößten Sojaexporteur gemacht hat.

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, deren Diplomaten von Lugos Sturz auf dem falschen Fuß erwischt wurden, steht unter Druck der Rechten.

Eine paraguayische Parlamentarierkommission wurde in Brasília von Agrariern, die zu Rousseffs Regierungskoalition gehören, mit offenen Armen empfangen. Brasiliens große Medien machen seit Tagen Stimmung für den Status quo.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. Juni 2012


Putschisten ausgeschlossen

Paraguay: Wachsende Proteste gegen Sturz von Präsident Lugo. UNASUR berät Lage nach dem Staatsstreich

Von Johannes Wilm, Asunción **


Im argentinischen Mendoza kommen am heutigen Freitag die Staats- und Regierungschefs der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) zusammen, um die nach dem kalten Staatsstreich in Paraguay entstandene Situation zu beraten. Ausdrücklich nicht eingeladen sind dazu die neuen Machthaber in Asunción, wie der Staatenbund am Mittwoch (Ortszeit) in einer Erklärung unterstrich. Grund dafür sei, daß das neue Regime nicht legitimiert sei, erläuterte Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño, dessen Land momentan den Vorsitz der Organisation innehat.

In Paraguay selbst haben sich am Mittwoch die Proteste gegen den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Fernando Lugo auf zehn der 17 Departamentos des Landes ausgedehnt. Höhepunkt war die zeitweilige, gemeinsam von paraguayischen und argentinischen Aktivisten durchgeführte Blockade der San-Roque-Brücke, die beide Länder verbindet. Zuvor waren am Dienstag in Asunción Deligierte mehrerer Bauernverbände zusammengekommen und hatten beschlossen, mit Aktionen im ganzen Land gegen die Entmachtung Lugos zu protestieren.

In den ersten Tagen seit der vom Parlament am Freitag vollzogenen Amtsenthebung Lugos hatten vor allem Studenten die Proteste gegen die neuen Machthaber getragen. Diese blieben gewaltfrei, aber auch ohne direkte Konsequenzen für das Regime von De-facto-Präsident Federico Franco. Ihre Hoffnung setzten die Demonstranten deshalb auf die Kleinbauern, die als soziale Basis Lugos gelten. »Die Bauern denken anders als wir. Sie sind mehr für direktes Handeln. Und wenn die dann mit 10000 Menschen hierher nach Asunción kommen, kann das zu Problemen im Verkehr führen«, sagte ein Sprecher der Studenten zu junge Welt. Es sei nicht überraschend, daß die Bauern nicht sofort am ersten Tag in der Hauptstadt auf der Straße gewesen seien, fügte Studentenvertreter Fernando Acuño hinzu. »Die Landwirte brauchen ein paar Tage, um sich zu organisieren und nach Asunción zum Protestieren kommen. Deshalb war es so wichtig für die Putschisten, Lugo so schnell, innerhalb von 30 Stunden, zu entmachten.«

Die Kleinbauern gelten als Lugos wichtigste Machtbasis. »Das ist leicht zu erklären«, kommentierte der Vorsitzende der Movimiento Agrícola Popular, Pedro Isala. »Ein demokratisches System, Sozialismus, bedeutet, daß man den Ärmsten hilft, durch Gesundheitsversorgung, Ausbildung, Arbeitsplätze. Das Land muß der sehr begrenzten Zahl von Großgrundbesitzern genommen und den landlosen Kleinbauern gegeben werden. Lugo wurde nur abgesetzt, weil er den ärmsten Teilen der Bevölkerung helfen will.« Deshalb müßten die Protestierenden einen langen Atem beweisen: »Die Parlamentarier hier helfen nicht dem Volk, sondern den Großgrundbesitzern und Drogenhändlern. Wir werden kämpfen, bis Lugo wieder Präsident ist. Wir wissen nicht, ob das heute, morgen, 2013 oder erst 2018 passiert, aber wir werden kämpfen, bis dies erreicht ist. Das Problem hier ist die Armut. Im Vergleich zu Deutschland sind wir 200 Jahre zurück.«

Unterdessen geht das Ringen um TV Pública weiter. Der erst vor sechs Monaten gegründete Kanal, der sich nicht als Staatsfernsehen, sondern als öffentlich-rechtliche Anstalt begreift, war zur wichtigsten Stimme der Putschgegner geworden, obwohl Franco unmittelbar nach seiner Machtübernahme alle leitenden Angestellten des Senders entlassen hatte. Der neuernannte Direktor ließ sich zunächst nicht an seinem Arbeitsplatz blicken, worauf die Leitung des Betriebes durch Beschäftigte übernommen wurde. Eine zeitweilige Abschaltung des Senders durch die neuen Machthaber mußte am Wochenende nach wütenden Protesten wieder aufgehoben werden. In den Mittelpunkt des Programms rückten lange Sonderausgaben der populären Sendung »Offenes Mikrofon«. Die Angestellten fordern, den Direktor des Kanals durch das Volk wählen zu lassen. Befürchtet wird jedoch, daß der von den Putschisten eingesetzte neue Direktor den Sender TV Pública durch die Polizei besetzen und die vor den Studios stattfindenden Proteste gewaltsam beenden lassen wird.

** Aus: junge Welt, Freitag, 29. Juni 2012


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