Paraguay ist in Lateinamerika isoliert
Bei Südamerika-Gipfeln in Mendoza werden Konsequenzen aus dem "sanften Putsch" gegen Präsident Lugo gezogen
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
Nach der umstrittenen Amtsenthebung
von Präsident Fernando Lugo ist
Paraguay in Südamerika weitgehend
isoliert. Wie kurz zuvor schon die
südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft
MERCOSUR setzte auch
die Union Südamerikanischer Nationen
die Mitgliedschaft Paraguays aus.
Venezuela wird unterdessen Vollmitglied
im MERCOSUR.
Es sind zielgerichtete und maßvolle
Entscheidungen: Die Mitgliedschaft
Paraguays in der südamerikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft
MERCOSUR und der Union
Südamerikanischer Nationen wird
vorübergehend ausgesetzt, doch
Wirtschaftssanktionen werden
nicht verhängt. Darauf einigten
sich die Präsidenten der MERCOSUR-
Mitgliedstaaten, Cristina
Kirchner aus Argentinien, Dilma
Rousseff aus Brasilien und José
»Pepe« Mujica aus Uruguay, bei
ihrem Gipfeltreffen am vergangenen
Freitag in der argentinischen
Stadt Mendoza. »Wirtschaftssanktionen
bezahlen immer die Völker,
niemals die Regierungen«, begründete
Argentiniens Präsidentin
Cristina Kirchner das differenzierte
Vorgehen. »Unser Ziel ist es, eine
bessere Lebensqualität der
Menschen in diesem Land zu erreichen
«, sagte die Gastgeberin.
Statt bestraft zu werden kann
Paraguay auch weiterhin die finanziellen
Mittel aus dem Strukturanpassungsfonds
FOCEM abrufen.
Aus dem Fonds werden in
erster Linie Infrastrukturmaßnahmen
wie der Ausbau von Überlandstraßen
finanziert. FOCEM
war vor einigen Jahren auf Forderung
der kleinen Mitgliedstaaten
eingerichtet worden war. Daraus
können weitere 680 Millionen
Dollar nach Asunción überwiesen
werden.
Suspendierung und keine
Sanktionen hatten sich als Beschlüsse
vor dem Gipfel abgezeichnet.
Ganz im Gegensatz zur
überraschenden Ankündigung,
dass Venezuela als Vollmitglied in
die Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen
wird. Die formale Aufnahme
wird auf einem Sondergipfel
am 31. Juli in Rio de Janeiro
vollzogen. Venezuelas Beitritt war
bereits 2006 vereinbart worden,
konnte aber bisher wegen der noch
fehlenden Zustimmung des Senats
in Paraguay nicht vollzogen werden.
Die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten
muss von den nationalen
Parlamenten bestätigt werden.
Mit der vorübergehenden
Suspendierung Paraguays ist dessen
Zustimmung hinfällig.
Grund für den vorläufigen Ausschluss
Paraguays ist die Amtsenthebung
des früheren Präsidenten
Fernando Lugo, die einen »Bruch
der demokratischen Ordnung«
darstelle und gegen die Statuten
des MERCOSUR verstoße. Mindestens
bis zur demokratischen Wahl
eines neuen Präsidenten im April
2013 hat Paraguay kein Stimmund
Vetorecht in allen Gremien des
MERCOSUR.
Venezuelas Präsident Hugo
Chávez freute sich von Caracas
aus. Markig wie gewohnt sprach er
von »einer Niederlage des Imperiums
und seiner Lakaienbourgeoisie
« in der Region. Mit dem Beitritt
Venezuelas werde der MERCOSUR
eine Energiemacht, denn »der
südamerikanische Markt umfasst
die größten Ölreserven der Welt«,
sagte Chávez.
Lugo begrüßte die Gipfelbeschlüsse.
Der MERCOSUR habe die
»paraguayische politische Klasse
verurteilt«, achte zugleich aber
darauf, die Bevölkerung vor wirtschaftlichem
Schaden zu bewahren,
erklärte er in Asunción.
Ganz anders fielen die Reaktionen
der politischen Rechten in der
Region aus, die eine Woche zuvor
den »sanften Putsch« gegen Lugo
überschwänglich oder klammheimlich
gefeiert hatte. Nun
schäumt sie vor Wut. Paraguays
neuer Präsident Federico Franco
versuchte jedoch, den vorübergehenden
Rauswurf herunterzuspielen.
Sein Land sei nun freier als
zuvor, ließ er aus der Hauptstadt
Asunción verlauten. »Die Vormundschaft
Argentiniens und
Brasiliens ist jetzt zu Ende«, sagte
Franco, der von den Treffen in
Mendoza ausgeschlossen war.
Die Dominanz Brasiliens und
Argentiniens treibt auch Uruguays
Präsidenten Mujica um. Eben deswegen
sprach er sich für den Beitritt
Venezuelas aus. »Wie sollen
Uruguay und Paraguay ein Gleichgewicht
zu Brasilien und Argentinien
schaffen?«, fragte er schon
vor dem Treffen. Wir brauchen den
Beitritt von großen Staaten wie
Venezuela, sonst hängen wir Kleinen
immer am Gängelband der
zwei Großen.
Derweil kommt die wirtschaftliche
Integration des MERCOSUR
nur mühsam voran. Brasilien und
Argentinien reagierten zuletzt mit
immer neuen Beschränkungen auf
Auswirkungen der internationalen
Finanz- und Wirtschaftskrise, die
sich auch gegen die Mitgliedstaaten
richten. Das sorgte unterhalb
der Präsidentenebene in Mendoza
für Zwist. Oben wurde Harmonie
demonstriert.
* Aus: neues deutschland, Montag, 2. Juli 2012
Düpierte Rechte
Von Martin Ling **
Lateinamerikas Rechte ist düpiert. Mit der Suspendierung Paraguays nach dem »sanften Putsch« gegen den dortigen Präsidenten Fernando Lugo dürfte sie gerechnet haben, doch keinesfalls mit dem Beschluss zur Vollmitgliedschaft Venezuelas in der Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR. Seit Jahren wurde eben diese ausschließlich nur noch von Paraguays Parlament blockiert, also jenen Kreisen, die vor einer Woche Lugo mit einem kurzen Amtsenthebungsprozess ohne ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten schassten. Mit diesem Verstoß gegen die MERCOSUR-Statuten machte Paraguay ungewollt den Weg frei für die übrigen drei Vollmitglieder Uruguay, Brasilien und Argentinien, in Abwesenheit des ausgeladenen Blockiererlandes Fakten zu schaffen.
Die lateinamerikanische Integration ist damit formal einen bedeutenden Schritt weitergekommen. Aus einem bisher auf den Süden Südamerikas begrenzten Wirtschaftsbündnis von Nachbarländern wird mit dem nördlichsten Staat Südamerikas ein subkontinentales. Im Prinzip ist das ein Quantensprung in Richtung einer auf alle zwölf südamerikanischen Staaten ausgedehnten Wirtschaftsgemeinschaft.
Real stößt die Integration jedoch schon jetzt immer wieder an Grenzen. Handelspolitische Streitigkeiten zwischen den Großen Brasilien und Argentinien und sich von den Großen an den Rand gedrängt fühlende Kleine wie Uruguay und Paraguay bremsten bisher eine substanzielle Vertiefung des MERCOSUR. Die Wirtschaftsinteressen sind längst nicht immer komplementär wie im Falle Venezuela. Öl ist überall willkommen.
** Aus: neues deutschland, Montag, 2. Juli 2012 (Kommentar)
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