Paraguay vor unruhigen Zeiten
Reaktion betreibt Sturz von Präsident Lugo
Von Benjamin Beutler *
Paraguays Präsident Fernando Lugo hält Wort: Seit Wochenbeginn ist das
öffentliche Gesundheitssystem des südamerikanischen Landes frei zugänglich.
Der ehemalige Befreiungstheologe Fernando Lugo - seit August 2008
Präsident Paraguays - hat ein wichtiges Wahlversprechen eingelöst. »Dank
einer ehrlichen Regierungspolitik ist Gesundheit in Paraguay jetzt
gratis«, sagte der Staatschef am vergangenen Freitag. Allen 6,6
Millionen Paraguayern unentgeltlichen Zugang zu ärztlicher Behandlung,
Diagnose, Therapie und Medikamenten zu gewähren sei »vorherigen
Regierungen in 20, 30 oder 100 Jahren nicht gelungen«, betonte
Gesundheitsministerin Esperanza Martínez.
Das Regierungsbündnis Patriotische Allianz für den Wandel (APC), das bei
den Wahlen im April 2008 die 60-jährige Herrschaft der Partido Colorado
(PC) beendet hatte, war Schritt für Schritt an die Gesundheitsreform
herangegangen. Zunächst war lediglich die erste ärztliche Untersuchung
gratis, die letzten Barrieren fielen jetzt. Für 2010 rechnet das
Gesundheitsministerium mit Mehrausgaben von 312 Milliarden Guaraníes
(rund 45 Millionen Euro). Dass die Maßnahme dringend nötig war, zeigen
die sprunghaft um 23 Prozent gestiegenen Patientenzahlen in öffentlichen
Hospitälern. »Es gibt ein Paraguay der großen Mehrheiten, die solche
Erfolge mit Optimismus und Hoffnung aufnehmen«, sagte Lugo.
Noch ist die Armut im agrarisch geprägten Paraguay groß. Offiziellen
Angaben zufolge gelten 19 Prozent der Bevölkerung als extrem arm, 37
Prozent leben an der Schwelle zur Armut. Grund dafür ist auch die
ungleiche Landverteilung: 90 Prozent des Bodens gehören fünf Prozent der
Bevölkerung.
Gerade bei dieser Minderheit aber stoßen selbst vorsichtige Reformen auf
Widerstand. Die Ausweitung der Sozialversicherung auf Hausangestellte,
Gratisbildung, ein Programm für sozialen Wohnungsbau und die noch vage
Ankündigung einer Agrarreform lassen nicht nur die traditionelle Rechte,
die abgewählte PC, vor der »Gefahr des Kommunismus« warnen. Zuletzt
betrieb auch die Radikale Authentische Liberale Partei (PLRA) die
Vertreibung Lugos aus dem Präsidentenpalast. Die PLRA ist der wichtigste
Koalitionspartner in der ideologisch bunten Allianz für den Wandel und
im Parlament das Zünglein an der Waage. In der Person von Vizepräsident
Frederico Franco stellt die neoliberal eingestellte Partei derzeit den
wohl wichtigsten Gegenspieler Lugos. So verhinderte das Parlament mit
dem »Gesetz zur Unersetzbarkeit der Demokratie« die Wahl eines
Verfassungskonvents wie im Nachbarland Bolivien.
Beobachter sehen im Vorgehen der Opposition Parallelen zum Putsch gegen
den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya. Nachdem Lugo angekündigt
hatte, sein Land werde dem von Venezuela angeführten Handelsbündnis
Bolivarianischen Alternative für die Völker unseres Amerikas (ALBA)
beitreten, beschuldigten ihn PLRA-Politiker des »Verrats«. Wie in
Tegucigalpa sucht man nach Wegen, den »Abweichler« loszuwerden.
Hinter den Kulissen in Asunción wird fieberhaft an einer
Parlamentsmehrheit geschmiedet, die Lugo durch ein Misstrauensvotum
stürzen könnte. Vizepräsident Franco erklärte, er stehe »zur Nachfolge
bereit«. Wenige Wochen zuvor hatte der chilenischstämmige
Großgrundbesitzer Eduardo Avilés zur Bildung »antikommunistischer«
Paramilitärs aufgerufen. Die »Zerstörung unseres Paraguays wie Chile
unter Allende« sei zu verhindern, indem man »alle Kommunisten verfolgt,
fasst und physisch liquidiert«. In einem Interview mit dem
argentinischen Radiosender »Radio Nacional« beschuldigte PLRA-Senator
Alfred Luís Jaeggli den 58-jährigen Staatschef jüngst der Inkompetenz.
»Wenn 30 Senatoren und 43 Parlamentarier sagen 'So geht's nicht weiter,
so funktioniert das nicht', dann muss er gehen«, warb Jaeggli für die
Abwahl Lugos. Der Senator, der auf seine Mitgliedschaft in der
»Fundación Libertad« (gesponsert von der FDP-nahen Naumann-Stiftung)
verweist, erklärte Lugo zum Hindernis für »Modernität« und
Auslandsinvestitionen. Paraguay stehen unruhige Zeiten bevor.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2009
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