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Machtwechsel in Paraguay

Fernando Lugo, der "Bischof der Armen", startet seine Präsidentschaft

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Seit Freitag (15. August) hat die Linke in Lateinamerika einen Präsidenten mehr. In Paraguay trat der katholische Befreiungstheologe Fernando Lugo das Amt des Präsidenten an. Lugo reiht sich damit in die Riege der links-progressiven Staatsoberhäupter von Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ecuador, Uruguay und Venezuela ein.

Das erste Ausrufezeichen kam schon vor Amtsantritt: »Ich brauche das Geld nicht, es gehört den Armen«, verkündete Fernando Lugo vor tausenden Jugendlichen, die sich am Donnerstag in einem Sportstadion versammelt hatten. Für die Ankündigung wurde der 57-Jährige von seinen jugendlichen Anhängern vom Mitte-links-Bündnis Patriotische Allianz für den Wandel (APC) einen Tag vor seinem offiziellen Amtsantritt als Präsident Paraguays begeistert bejubelt.

Der ehemalige Bischof hatte die Präsidentschaftswahl am 20. April klar gegen die Kandidatin der regierenden konservativen Colorado-Partei gewonnen. Mit dem Beginn seiner vierjährigen Amtsperiode endet die mehr als 61-jährige Herrschaft der Colorado-Partei in Paraguay, darunter auch die 35 Jahre andauernde Herrschaft des Diktator Alfredo Stroessner (1954 bis 1989). »Lugo fügt sich in den demokratischen Frühling ein, der die lange Zeit der Militärdiktaturen und korrupten neoliberalen Regierungen durchbrochen hat und in dem die Wahlberechtigten demokratische Volksregierungen wählen«, bewertet der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto den Amtsantritt.

»Ich werde nicht vergessen, dass ich im Dienst des Volkes stehe«, bekräftigte Fernando Lugo noch vor wenigen Tagen. Er hat bereits angekündigt, dem Kampf gegen Korruption und Armut im Land oberste Priorität einzuräumen. Paraguay gilt als eines der korruptesten Länder der Welt. Von den rund sechs Millionen Einwohnern des südamerikanischen Landes leben mehr als 40 Prozent in Armut, davon 20 Prozent in absoluter Armut.

Zur Amtseinführung wurden in der Hauptstadt Asunción zahlreiche Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter auch Evo Morales aus Bolivien und Hugo Chávez aus Venezuela. Mit ihnen wird der neue Präsident am heutigen Samstag in die nördliche Provinz San Pedro reisen, um an einer lokalen Feier teilzunehmen. In der Diözese San Pedro, einer der ärmsten Regionen des Landes, hatte Lugo einst das Bischofsamt inne.

Chávez hatte schon von Caracas aus dem neuen Amtskollegen seine Unterstützung zugesagt, sollten die alten »Oligarchen« die neue Regierung mit einer Unterversorgung von Treibstoff zu destabilisieren versuchen. »Wir versprechen, dass wir den Treibstoff schicken werden, der dem paraguayischen Volk fehlt und bei der Beseitigung der Armut und Unterentwicklung helfen werden.« Er kündigte für den Besuch in San Pedro die Unterzeichnung erster Kooperationsabkommen an.

Indirekt hat der neue Präsident sogar den päpstlichen Segen. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche hat der Vatikan das Rücktrittsgesuch eines Bischofs angenommen. Damit endete ein lang anhaltender Streit zwischen Lugo und dem Vatikan. Lugo trat Ende 2004 von seinem Amt zurück und bat den Vatikan, ihn in den Status eines Laien zu versetzen. Als kirchlicher Würdenträger durfte er laut der Verfassung von Paraguay nicht für ein politisches Amt kandidieren. Der Papst befreite Lugo Anfang 2007 jedoch nur »a divinis«, das hieß, dass Lugo zwar weiterhin Geistlicher blieb, das Priesteramt aber nicht mehr ausüben durfte. Rechtsgelehrte der römisch-katholischen Kirche betonten, dass Lugo damit weiter formell im Bischofs-amt blieb und somit kein politisches Amt übernehmen dürfte. Die Suspendierung »a divinis« genügte allerdings der Verfassung Paraguays und ermöglichte Lugos Kandidatur. Nun hat der Präsident einen weiten Weg im Kampf gegen Armut und Korruption vor sich.

* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2008


Große Träume, schweres Spiel

Fernando Lugo wurde als neuer Präsident Paraguays vereidigt

Von Gerold Schmidt (npl), Mexiko-Stadt **


Es sei das Ende eines Landes, in dem Ausgrenzung und Spaltung herrsche, sagte der neue Präsident Paraguays in seiner Antrittsrede am Freitag abend (15. August) in der Hauptstadt Asunción: »Heute beginnt die Geschichte eines Paraguays, dessen Behörden unerbittlich gegenüber denen sein werden, die das Volk bestehlen«, rief Fernando Lugo der Menschenmenge auf dem überfüllten Platz vor dem Kongreßgebäude zu. Der Jubel für den 57jährigen ist groß, der bis vor zwei Jahren noch Bischof in dem südamerikanischen Land war und sich zu den Vertretern der progressiven Befreiungstheologie zählt. Mit Lugos Amtseinführung endeten 61 Jahre ununterbrochener Vorherrschaft der rechten Colorado-Partei, 35 Jahre Diktatur unter Alfredo Stroessner eingeschlossen.

Den Weg ins höchste Staatsamt hatten Lugo im April die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beschert, bei denen den »Colorados« auch die oft geübte Wahlmanipulation nichts mehr nützte. Als Hoffnungsträger für die 6,5 Millionen Einwohner erreicht Lugo inzwischen den geradezu unglaublichen Zuspruch von gut 90 Prozent. Etwa drei Viertel der Paraguayer erwarten laut Umfragen eine »gute bis sehr gute Regierungsführung«. 40 Prozent der Bevölkerung sind arm, der Grundbesitz ist extrem ungerecht verteilt. Die indigene Bevölkerung, die Guaraní, hatte unter der Colorado-Herrschaft nie politische Mitspracherechte. Der neue Präsident aber wechselte in seiner Inaugurationsrede mehrmals auf Guaraní.

Dennoch wird es der politische Senkrechtstarter in den kommenden fünf Regierungsjahren schwer haben. Zum einen hat das Patriotische Bündnis für den Wechsel (APC), das Lugo als Präsidentschaftskandidaten aufstellte, keine ausreichende Mehrheit im Parlament. Zum anderen ist diese Mitte-Links-Allianz keinesfalls homogen. Schwer wiegt auch, daß die Regierung eine Verwaltung übernimmt, die jahrzehntelang von Vetternwirtschaft geprägt wurde. Nach den Wahlen im April haben die Colorado-Mitglieder sich anscheinend noch einmal kräftig bedient. Lugo jedenfalls macht seinen Vorgänger Nicanor Duarte dafür verantwortlich, einen ausgebluteten Staat hinterlassen zu haben.

Paraguay ist weitgehend abhängig vom Soja- und Fleischexport. Will der neue Präsident sein Versprechen einer umfassenden Land- und Agrarreform einlösen, wird er auch entschlossen gegen die Oligarchie auf dem Land vorgehen müssen. Andernfalls werden die Hoffnungen der landlosen Campesinos schnell enttäuscht werden. Der nationale Kleinbauernverband erklärte indes, in den ersten 100 Tagen von Lugos Amtsperiode keine Landbesetzungen vorzunehmen. Eine lange Schonfrist ist das nicht. Im Bezirk San Pedro, wo der neue Präsident als Bischof wirkte, okkupierte eine Landarbeiterorganisation noch wenige Stunden vor dem Regierungswechsel eine 1200 Quadratmeter große Finca. Arbeitsplätze außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors zu schaffen, ist eine weitere Herausforderung. Paraguay wird die Hilfe und Solidarität vor allem seiner Nachbarn Argentinien und Brasilien sowie von Uruguay brauchen, mit denen gemeinsam es das Wirtschaftsbündnis Mercosur bildet.

Zumindest die Menschen vor dem Kongressgebäude wollten am vergangenen Freitag aber erst einmal feiern. »Lugo, Präsident! Das Volk, an der Macht«, skandierte die Menge immer wieder.

** Aus: junge Welt, 18. August 2008


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