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Rolle rückwärts in Paraguay

Schlechte Aussichten - leider

Von Thilo Hoppe *

Am Sonntag wird in Paraguay gewählt und obwohl alle Meinungsumfragen mit Vorsicht zu genießen sind, sieht es ganz nach einer Rolle rückwärts aus. Horacio Cartes, der Präsidentschaftskandidat der Colorado-Partei (ANR), hat allem Anschein nach die besten Chancen, neuer Staatschef zu werden.

Colorados, ja das sind die national-konservativen Kräfte, die bis zum überraschenden Wahlsieg 2008 von Fernando Lugo, dem „Bischof der Armen“, mehr als 60 Jahre an der Macht waren, Paraguay auf der Hitliste der korruptesten Staaten der Welt ganz nach oben brachten und in deren Ära auch das schwärzeste Kapitel des Landes fiel: die Terrorherrschaft des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner. Der regierte von 1954 bis 1989 mit eiserner Faust und sorgte dafür, dass in keinem Land der Welt Landbesitz ungleicher verteilt war (und leider immer noch ist) als in Paraguay.

Deshalb war 2008 das Aufatmen groß, als der offiziell auf der Liste der kleinen christdemokratischen Partei eingetragene ehemalige katholische Bischof von San Pedro, Fernando Lugo, die Präsidentschaftswahl gewann – unterstützt von einem breiten, heterogenen Mitte-Links-Bündnis, das von sozialistischen Bewegungen bis hin zur Radikal-Liberalen Partei (PLRA) reichte, einer Traditionspartei, die es satt hatte, jahrzehntelang immer die Nummer 2 hinter den Colorados zu sein, weil ihr ein charismatischer Präsidentschaftskandidat fehlte.

Die Breite dieses Bündnisses war Lugos Stärke und Schwäche zugleich. Ohne diese Allianz hätte er 2008 nicht das Wunder vollbringen können, die allmächtig erscheinende Colorado-Partei trotz all ihrer Stimmenkäufe und gegen die geballte Macht der von ihr behrrschten Medien aus dem Präsidentenpalast zu verdrängen. Doch die Liberale Partei sah von Anfang an die „Allianz für den Wechsel“ nur als Zweckbündnis an, um die Colorados endlich mal zu schlagen und selber an viele Kabinettsposten zu kommen. Inhaltlich verband die Liberalen mit den anderen Parteien und Bewegungen in der „Allianz für den Wechsel“ wenig.

Dennoch war 2008 die Aufbruchstimmung im Land groß. Ich war der erste deutsche Politiker, der Fernando Lugo nach seinem Wahlerfolg besuchte, und ließ mich von dieser Aufbruchstimmung anstecken. Lugos Agenda klang wie Musik in meinen Ohren: Endlich sollte die Politik nicht mehr an den Interessen der kleinen reichen Oberschicht und der transnationalen Unternehmen des Agro-Business ausgerichtet werden. Endlich sollte die Armutsbekämpfung ernstgenommen und auch der großen Bevölkerungsmehrheit Zugang zur Gesundheitsversorgung und zumindest zu Ansätzen eines sozialen Sicherungssystems verschafft werden. Endlich sollte der Vormarsch der Soja-Front mit ihren katastrophalen Folgen wie der Vertreibung von Kleinbauern und Indigenen gestoppt und einer wirklich nachhaltigen ländlichen Entwicklung die Tür geöffnet werden.

Doch was Lugo von Anfang an fehlte, war eine parlamentarische Mehrheit seiner Allianz und die loyale Unterstützung durch seinen zahlenmäßig stärksten Bündnispartner, die Liberale Partei.

Vor allem daran aber auch an der Unerfahrenheit Lugos und einigen Fehltritten, mit denen er den rechten Medien Munition für Kampagnen lieferte, lag es, dass es im Land statt der versprochenen großen Reformen nur zu Reförmchen kam. Besonders die in Paraguay so dringend erforderliche Landreform kam nur schleppend voran.

Doch als Lugo in dieser Hinsicht im letzten Jahr ehrgeiziger wurde – die nächsten Wahlen vor Augen und die Unzufriedenheit seiner Anhänger im Ohr – und sich auch zusammen mit seinem „grünen“ Umweltminister Oscar Rivas gegen die Zulassung weiterer gentechnisch veränderter Pflanzen sperrte, kam es zum Knall. Ein blutiger Zwischenfall in der Konfliktregion Curugaty, bei dem elf Kleinbauern und zehn Polizisten ums Leben kamen, wurden zum Vorwand genommen, Lugo in einem hoch umstrittenen Amtsenthebungsverfahren innerhalb von 24 Stunden abzusetzen. Colorados und Liberale, die sich inhaltlich eh recht nahe stehen und in den letzten Jahren gemeinsam viele von Lugo angestrebte Reformen verhindert hatten, zogen dabei an einem Strang.

Ihr Vorgehen gegen den direkt vom Volk gewählten Präsidenten wurde von den meisten Nachbarstaaten Paraguays als „parlamentarischer Putsch“ gewertet. Paraguay flog aus dem südamerikanischen Staatenbund UNASUR und dem Wirtschaftsbündnis MERCOSUR und auch die meisten europäischen Staaten gingen auf große Distanz zu dem zumindest auf sehr zweifelhafte Weise an die Macht gekommenen neuen de-facto-Präsidenten Federico Franco von der Liberalen Partei. Nicht so Bundesentwicklungsminister Niebel, der der erste europäische Politiker war, der Franco die Hand schüttelte.

Was und wer hinter dem umstrittenen Machtwechsel stand, wurde schon innerhalb der ersten Wochen der neuen de-facto-Regierung Franco mehr als deutlich: Manager von Monsanto bekamen Regierungsämter und mehrere gentechnisch veränderte Pflanzen wurden im Eilverfahren zugelassen. Das Agrobusiness kann wieder schalten und walten wie zu den besten Colorado-Zeiten.

Deshalb ist es fast egal, ob Colorado-Kandidat Horacio Cartes oder der sich momentan in den Umfragen auf Platz 2 befindende Liberale Efrain Alegre die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Mag sein, dass Cartes, dem Verbindungen zu den Drogen-Kartellen nachgesagt werden, noch schlimmer ist, aber beide stehen für eine Politik, die an den Interessen der Oligarchie und der transnationalen Unternehmen ausgerichtet ist.

Ein Trauerspiel ist jedoch, dass sich all die „anti-golpistas“, also die politischen Kräfte, die Lugo – zumindest noch zu Beginn seiner Amtszeit – als Hoffnungsträger angesehen hatten und seine Amtsenthebung im letzten Jahr als widerrechtlich einstuften, nicht zu einem echten Mitte-Links-Bündnis zusammenschließen konnten. Machtpoker und Eitelkeiten sollen dazu geführt haben, dass nun verschiedene linkere Kandidaten gegeneinander antreten und sich gegenseitig das Wasser abgraben. Die besten Aussichten, den Kandidaten der Colorados und Liberalen Paroli zu bieten, hätte der ehemalige Fernseh- und Radiomoderator Mario Ferreiro und sein Bündnis „Avanza Pais“ gehabt, wenn sich wirklich alle „anti-golpistas“ dahinter versammelt hätten. Doch alle Versuche, die Opposition zu einen und ein breites Bündnis für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung des Landes auf die Beine zu stellen, scheiterten – leider wohl auch wegen Lugos Unentschlossenheit, die verschiedenen Kräfte zusammenbringen. Nun räumen die Demoskopen Mario Ferreiro nur rund zehn Prozent ein und dem Kandidaten der Bewegung „Paraguay Resiste“, Aníbal Carrillo, knapp drei. Die Frente Guasu, ein breites Bündnis linkerer Parteien, indigener Gruppen, Kleinbauernvereinigungen und sozialer Bewegungen, ist bezogen auf die Präsidentschaftswahlen zerbrochen, könnte aber wenigstens ein zweistelliges Ergebnis bei den Parlamentswahlen bekommen. Mehr als Platz 3 hinter Colorados und Liberalen scheint aber auch dort nicht drin zu sein. Allerdings sind Umfragen in Paraguay – wie so vieles – käuflich und angeblich sollen 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler noch unentschlossen sein.

Dennoch: In einem Land, in dem die Großgrundbesitzer und Unternehmer die Medien beherrschen und riesige Summen in den Wahlkampf der beiden großen Traditionsparteien, Colorados und Liberale, stecken, können Wahlerfolge, die zu sozialen Reformen führen, nur durch ein breites Mitte-Links-Bündnis mit einem belastbaren politischem Grundkonsens und einer gemeinsamen Agenda erzielt werden. Jammerschade, dass es dazu in Paraguay trotz relativ guter Voraussetzungen nicht gekommen ist!

Doch davon, dass die Kräfte links von der Mitte nicht miteinander kooperieren und gemeinsam für einen echten Wechsel streiten, können wir ja auch in Deutschland ein Lied singen.

** Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen) ist stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und hat in den letzten Jahren mehrfach Paraguay bereist.

Aus: neues deutschland (online-Ausgabe), Samstag, 20. April 2013 (Gastkolumne)



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