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Krieg auf den Sojafeldern

Paraguays Kleinbauern gegen Agrarmultis: Der Dokfilm "Raising Resistance"

Von André Weikard *

Es ist bloß ein Dorf in Paraguay, eine kleine Ansammlung von Menschen, umgeben von endlosen Sojaplantagen. Stück für Stück haben die Großgrundbesitzer das Land drumherum gekauft, gerodet und mit Pestiziden eingedeckt. Dort wächst nichts mehr. Nichts, außer der eiweißhaltigen Hülsenfrucht, die Europäer und Nordamerikaner an ihre Schweine und Hühner verfüttern.

Am Anfang, da gab es noch Jobs für die landlosen Bauern aus der Region. Als Erntehelfer wurden sie eingesetzt. Heute erledigen Maschinen die Arbeit fast alleine. Der Wind trägt die Pestizide auf die letzten Felder der Kleinbauern. Ihre Saat verkümmert. Um 40 Prozent gingen ihre Ernten zurück, teilweise müssen sie wegen der Ernteausfälle hungern. Weil die Sojaarbeiter die Pestizidbehälter im Fluß waschen, wo die Bauern baden, ihre Kleidung waschen und ihr Trinkwasser holen, sind einige von ihnen krank geworden. »Ich kann nicht mehr tun, was ich getan habe«, sagt ein gefaßter, etwas verschämter, blinder Junge in einem Dokumentarfilm, der in den kommenden Tagen durch deutsche Kinos tourt. »Sie haben mir sehr wehgetan.«

Es ist die immergleiche Geschichte von der industriellen Landwirtschaft, die Umwelt und Menschen ausbeutet, traditionelle Strukturen zerstört und Gesellschaftsverbände aushöhlt. Die Geschichte von massiven Sojaexporten, die einigen Profite bescheren und viele ruinieren. Der Film von Bettina Borgfeld und David Bernet zeigt Männer, die Saatgut mit ihren Füßen in der Erde verscharren, die mit Stößel und Mörser das Mehl für ihr Brot mahlen, während nur wenige Meter weiter riesige Erntemaschinen per Funkanweisung über die Felder dirigiert werden, weil der Staub, den sie aufwirbeln, den Fahrern die Sicht nimmt.

Den Landlosen, den Campesinos, ist die Zukunft verstellt. Eine Schulbildung können sie sich nicht leisten. Wenn die Soja-Unternehmer kommen und sie zum Verkauf ihrer winzigen Parzellen zwingen, verlieren sie ihre Existenzgrundlage. Sie wandern in die Slums der Städte ab, wo ihnen nicht viel mehr bleibt als Drogensucht und Prostitution. Sie können nicht einmal das Busticket in die Stadt bezahlen, geschweige denn einen Anwalt. Man nimmt ihnen mit den Produktionsmitteln ihre Existenzgrundlage. Das alles zeigt die Dokumentation, das alles breitet sie aus. Aber im Grunde ist dies nur der Vorspann. Daß es ihr um etwas anderes geht, verrät der Titel: »Raising Resistance«.

Der Widerstand wächst längst. Es ist ein Krieg, der auf den Sojafeldern Paraguays tobt. Wer dort auf einen Traktor steigt, muß bewaffnet sein. Die Campesinos stellen sich, unrasiert und in zerrissenen Jeans, mit verschränkten Armen den Erntehelfern entgegen, mit Macheten und zuweilen auch Pistolen. Sie blockieren die Straßen, kapern Erntemaschinen und besetzen Felder. Manchmal fallen Schüsse. Sie malen mit dem Stock die Grundrisse der Gemeinde in den Sand, die sie auf dem Land errichten würden, wenn es ihnen gehörte. Mit Parks und einem Gemeindezentrum in der Mitte. Sie errichten Zeltlager auf den besetzten Grundstücken, graben Brunnen, krallen sich in die Erde.

Das Regie-Duo hat markante Protagonisten aufgetan, um diesem Widerstand ein Gesicht zu geben. Allen voran einen, der schon dem Namen nach zum Revolutionär bestimmt scheint: Geronimo. Der leise Mann mit den falschen Zähnen, der gebändigten Wut, dem erprobten Trotz steht einem Großgrundbesitzer mit Cowboyhut gegenüber, der voller Stolz davon berichtet, daß er mit den »Leuten ohne Kultur« schon fertig werde. »Ohne Gewalt«, sagt er, »ohne Gewalt«, und später wiederholt er es noch einmal: »ohne Gewalt.« Er sagt es zu oft, als daß man es ihm noch glauben könnte. Dabei muß er nicht einmal direkt Gewalt ausüben. Das Recht ist auf seiner Seite. »Wir stehlen nicht«, sagt Geronimos Frau. Ihr stehen dabei Tränen in den Augen, denn das wirft man ihnen vor. Ihnen, denen Heimat, Lebensgrundlagen und Gesundheit gestohlen wurden.

Wenige Einblendungen verweisen während des Films zurück auf uns, auf Europa. »80 Prozent aller in den Industriestaaten verkauften Lebensmittel enthalten Soja«, ist da zu lesen. »Die Anbaufläche von Soja allein in Südamerika entspricht der Fläche der Europäischen Union.« Oder: »Biokraftstoffe und die wachsende Nachfrage nach Billigfleisch aus Asien sorgen dafür, daß die Sojanachfrage in den kommenden Jahren noch größer werden wird.« Diese Einblendungen genügen, um den verzweifelten Widerstand der Kleinbauern in Paraguay als Exempel zu deuten, als Präzedenzfall für einen globalen Mißstand. »Raisising resistance« ist keine Offenbarung, kein Film, der grundsätzliches Neues erzählt, auch keiner, der Stimmung macht und Parolen formuliert, aber einer, der an das schwelende Elend Hunderttausender erinnert.

»Raising Resistance«, Regie: Bettina Borgfeld und David Bernet, Schweiz/D 2011, 84 min, Kinostart im Mai; Tour mit Geronimo Arevalos und wechselnden Gesprächspartnern: 30.3.Berlin, 31.3. Hamburg, 1.4. Köln, 2.4. Frankfurt/M., 3.4. Saarbrücken, 4.4. Ulm, 5.4. München

* Aus: junge Welt, 29. März 2012


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