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Paraguayische Volksarmee sorgt für Wirbel

Sicherheitsmaßnahmen für Präsident Lugo verschärft

Von Jürgen Vogt *

Im Nordosten Paraguays agiert eine mysteriöse bewaffnete Gruppe. Unter dem Namen Ejército del Pueblo Paraguayo (EPP) – Paraguayische Volksarmee – macht sie seit Jahren mit Entführungen und Anschlägen Schlagzeilen. Paraguays linker Präsident Fernando Lugo hat das Militär mit der Bekämpfung der Rebellen beauftragt.

In der Umgebung des paraguayischen Präsidenten geht die Angst um. Am Mittwoch wurden die Sicherheitsmaßnahmen für Fernando Lugo und seinen Vize Federico Franco verschärft. Im Rundfunk wurde mitgeteilt, der Präsident besitze zwar zwei maßgeschneiderte, kugelsichere Westen, aber leider benutze er sie nicht.

Die Furcht um den Präsidenten verursacht eine Gruppe, die sich Ejército del Pueblo Paraguayo (EPP) – Paraguayische Volksarmee – nennt. Rechte Politiker und deren Presse sprechen und schreiben von einer linken Guerillaorganisation mit Verbindungen zur kolumbianischen FARC. Dagegen vermuten Menschenrechts- und Bauernorganisationen ein paramilitärisches Treiben, das ihre Protestaktionen und sozialen Forderungen in Verruf bringen soll.

Erst vergangene Woche machte die Volksarmee mit der Freilassung des Großgrundbesitzers und Viehzüchters Fidel Zavala wieder von sich reden. Der 45-Jährige, der einer der reichsten Familien des Landes angehört, war 94 Tage in der Gewalt der EPP und kam nach Zahlung von 550 000 Dollar Lösegeld wieder frei. Über Paraguays Grenzen hinaus hatte die Entführung Zavalas für Aufsehen gesorgt, denn Familienangehörige verteilten Mitte Januar Rindfleisch an die Armen im Stadtviertel Trinidad der Hauptstadt Asunción und erfüllten damit eine Forderung des EPP.

Auf einem Fahndungsplakat werden der EPP 13 illegale Aktionen seit 1997 vorgeworfen. Darunter die Entführung und Ermordung von Cecilia Cubas, der Tochter von Expräsident Raúl Cubas, im Jahr 2005. Ebenso drei weitere Entführungen und die Ermordung zweier Polizisten. Das Plakat zeigt 15 Männer und zwei Frauen, die gegen eine Belohnung von rund 100 000 Dollar gesucht werden.

Auf die Freilassung Zavalas reagierte Präsident Lugo mit der militärisch-polizeilichen Operation Yaguareté. »Als oberster Chef der Streitkräfte habe ich die Unterstützung der Polizei durch das Militär angeordnet«, sagte Lugo und schickte Soldaten nach Concepción. Die Polizei war jedoch schneller und nahm schon vor dem Eintreffen der Militärs in verschiedenen Ortschaften von Concepción drei Mitglieder von Kleinbauernorganisationen unter dem Verdacht der EPP-Unterstützung fest.

Konkrete Anschuldigungen wurden nicht gemacht »Wenn sie ihre Unschuld beweisen können, werden sie auch wieder freigelassen«, erklärte Kommissar Francisco Alvarenga, Leiter der Anti-Entführungseinheit in Umkehrung der Unschuldsvermutung. Landesweit waren neun Personen verhaftet worden, davon steht jedoch niemand im konkreten Verdacht, an der Entführung Zavalas beteiligt gewesen zu sein.

José Pakova Ledesma, Gouverneur der Provinz San Pedro und Unterstützer Lugos, sieht die Polizei auf der falschen Fährte: »Das (EPP) ist eine Gruppe, die ihre Privilegien verloren hat.« So wie sie agiere, müsse sie ehemalige Polizisten und Militärs in ihren Reihen haben, die an der Militärschule der Amerikas in Panama ausgebildet wurden. Zavala sei mit wissenschaftlicher Präzision und mit neuesten Waffen entführt worden. »Dazu haben die Campesinos hier weder die Voraussetzung noch die Möglichkeiten«, sagte Ledesma und forderte Lugo auf, deren sozialen Kampf nicht zu kriminalisieren.

Auch für den Menschenrechtsverteidiger Martín Almeda besteht die EPP aus Exmilitärs und Polizisten. In Paraguay träumen Wirtschaftselite und Justizapparat noch immer von der Zeit der Diktatur, sagt Almeda. »Die Regierung von Präsident Lugo soll destabilisiert werden, um ihn dann mit einem politischen Prozess legal aus dem Amt zu hebeln.« Ziel sei ein weicher Staatsstreich, vermutet Almeda, der 2002 den alternativen Nobelpreis erhielt.

Offizielle Verlautbarungen des Ejército del Pueblo Paraguayo sind nicht bekannt. Ebenso unbekannt ist dessen Stärke. Vermutet wird, dass sich die Gruppe erst im März 2008 den Namen Paraguayische Volksarmee gegeben hat, jedoch schon viel länger aktiv ist.

2003 wurde Carmen Villalba in Sanguina Cué in der Provinz San Pedro verhaftet und später wegen der Entführung María Edith Bordóns im Jahr 2001 zu 18 Jahren Haft verurteilt. Bordón war das mutmaßlich erste Entführungsopfer der EPP und wurde nach 62 Tagen freigelassen. Carmen Villalba wird in den Medien als EPP-Sprecherin bezeichnet. Ihre Brüder Osvaldo und José Villalba sind flüchtig. Ersterer soll eine der Führungsfiguren sein, letzterer wird als »rechter Arm« des EPP charakterisiert.

In einem Rundfunkinterview im März 2008 bestätigte Carmen Villalba die Existenz der EPP. Ihr zufolge setzt sich die »Armee« aus Mitgliedern der früheren marxistischen Partei freies Vaterland und Personen aus den unteren Schichten und armen Bauern zusammen. Als politische Ziele nannte sie die Schaffung einer neuen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung des Volkes. Das wird auch der Regierung von Präsident Fernando Lugo vorgeworfen.

Für Martín Almeda sind die Worte Zavalas nach seiner Freilassung viel wichtiger. Der Viehzüchter hatte einen politischen Richtungswechsel für das Land gefordert. Die Reichen müssten ihre Steuern künftig auch wirklich zahlen, so dass der Staat die nötigen Ressourcen erhält, um den Armen wirklich Land, Wohnungen, Bildung und eine Gesundheitsversorgung bereitstellen zu können. Eine für die Klasse der Viehbarone wirklich revolutionäre Auffassung, meint Almeda. Zudem bedankte sich Zavala mit einem Besuch bei den Chefs der indigenen Gemeinschaft Mbya Guaraní im Stadtviertel Trinidad. Die Mbya Guaraní hatten das Rindfleisch zurückgewiesen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2010


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