Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Oh, wie häßlich ist Panama

Geschichte. Vor 100 Jahren wurde der Panamakanal eröffnet. Die Vorgänge bei dessen Bau und die Rolle der USA sind ein Lehrstück imperialistischer Politik

Von Ingar Solty *

Panama! Welches Kind kennt dieses Land heute nicht. Es liegt vielversprechend in der Ferne. Das Paradies – so die Botschaft des berühmten Kinderbuchs von Janosch – ist doch dort, wo man lebt – egal, wie dürftig. 1978 erschienen, paßt sie allzu gut zum Neoliberalismus, der unser aller materielle und ideelle Erwartungen an das Leben abgesenkt hat. Jedoch: Beinahe wäre allen Kindern diese gräßliche Affirmation des Bestehenden erspart geblieben. Daß es nicht dazu kam, haben wir, wie so vieles andere, dem US-Imperialismus zu »verdanken«. Ohne ihn hätte es das Land der Tiger-und-Bär-Träume nie gegeben und damit wohl auch nicht den Ausruf »Oh, wie schön ist Panama«.

Aber wie entstand dieser Ministaat? Und welche Rolle spielte der vor 100 Jahren eröffnete Panamakanal, diese 83 Kilometer lange, künstliche Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, dabei? Ursprünglich von rund 1000 und heute von knapp 15000 Schiffen im Jahr genutzt, erlaubte diese Wasserstraße nach ihrer Fertigstellung die Vermeidung der Route um das gefährliche und entlegene Kap Horn am Südzipfel Südamerikas. Damit wurden auf der Strecke New York–San Francisco 20000 von insgesamt 30000 Kilometern Seeweg, d.h. rund drei Wochen Fahrzeit, eingespart. Das machte den Panamakanal neben dem Suezkanal zur bis heute bedeutendsten, von Menschen geschaffenen Wasserstraße.

Überlegungen für eine solche Verbindung durch die Landenge in Zentralamerika reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück. Das waren damals und später Träume von der Naturbeherrschung durch den Menschen, die Naturwissenschaftler wie Alexander von Humboldt, Aufklärungsliteraten wie Johann Wolfgang Goethe und antikolonialistische Befreiungskämpfer wie Simón Bolívar gleichermaßen beschäftigten und faszinierten. Nach dem kalifornischen Goldrausch von 1849 wurde – im Interesse einer schnellen und sicheren Transportmöglichkeit per Schiff von Kalifornien nach New York – vom kolumbianischen Staat, zu dem das Gebiet des heutigen Panama damals gehörte, bald eine Lizenz für den privatkapitalistischen Bau einer Eisenbahn vergeben. Diese ging also dem Kanalbau voran und wurde 1855 von einem US-Unternehmen fertiggestellt.

Kapitalistischer Boom

Der durch die Goldfunde ausgelöste Boom und die technischen Errungenschaften im Eisenbahn- und Schiffbau schufen die Bedingungen für die erste kapitalistische Globalisierungswelle ab den 1850er Jahren, die Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest antizipieren konnten. Im Zusammenhang mit dem Goldrausch erkannten die beiden kommunistischen Revolutionäre die historische Bedeutung der zentralamerikanischen Landenge und schrieben 1850 in der Neuen Rheinischen Zeitung: »Dreihundertdreißig Jahre lang ist der ganze Handel von Europa nach dem Stillen Ozean mit der rührendsten Langmut um das Kap der Guten Hoffnung oder das Kap Horn geführt worden. Alle Vorschläge zur Durchstechung des Isthmus von Panama scheiterten an der bornierten Eifersucht der handeltreibenden Völker. Achtzehn Monate lang sind die kalifornischen Goldminen entdeckt, und schon haben die Yankees eine Eisenbahn, eine große Landstraße, einen Kanal vom Mexikanischen Busen in Angriff genommen, schon sind Dampfschiffe von New York bis Chagres, von Panama bis San Francisco in regelmäßiger Fahrt, schon konzentriert sich der Handel des Stillen Meeres in Panama, und die Fahrt um Kap Horn ist veraltet (…). Zum zweiten Mal bekommt der Welthandel eine neue Richtung.« (MEW, Bd. 7, S. 220 f.)

Es war die Zeit eines gewaltigen kapitalistischen Booms, der erst mit der großen Krise von 1873 bis 1896 zum Abschluß kam. Sein Ende brachte den Übergang zum organisierten Kapitalismus der staatlichen Eingriffe und zum Zeitalter der zwischenimperialistischen Rivalitäten und begrub neben der liberalen freihandelsimperialistischen Weltordnung der Pax Britannica auch den liberalen Fortschrittsoptimismus dieser Zeit.

Daß es diesen gab, hing auch mit den zeithistorischen Errungenschaften zusammen. Waghalsige Kapitalabenteurer, »Industriekapitäne« auf der Suche nach Profit und Ehre schufen den Weltmarkt. Große profitversprechende Kapitalunternehmungen verknüpften in jener Zeit Regionen in aller Welt. Damit einher gingen idealistische Träume von einer erdumspannenden, durch Technologie zusammenwachsenden und prosperierenden menschlichen Gesellschaft. Der Erbauer des Suezkanals zum Beispiel, Ferdinand de Lesseps, war ein Anhänger des Saint-Simonismus – jener frühsozialistischen Denkrichtung also, die ihre Hoffnung auf eine gute Welt (und die Lösung der sozialen Frage) an Industrialisierung und Transnationalisierung knüpfte.

De Lesseps Suezkanal war eine technische Meisterleistung. Nach zehn Jahren Bauarbeiten verband die seinerzeit 164 Kilometer lange künstliche Wasserstraße das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean. Die Kosten für das Unternehmen waren durch Aktienemis­sion gedeckt worden. Der Suezkanal wurde 1869 fertiggestellt – im selben Jahr wie die transkontinentale Eisenbahn in den USA. Nach seinem Erfolg am Suez erhielt de Lesseps den Auftrag, jetzt auch den Panamakanal zu verwirklichen.

Am 1. Januar 1881 begannen die Arbeiten in Mittelamerika. Das Projekt jedoch scheiterte bald grandios: 287 Millionen US-Dollar waren ausgegeben worden, dann kam die Insolvenz. Die Investoren verloren ihr Geld, viele Arbeiter aber ihr Leben. Von dem Schriftsteller des Transzendentalismus, der US-Variante der Romantik, Henry David Thoreau, stammt die eindrucksvolle Metapher, daß die Eisenbahn ein Verbrechen sei: Jede Schwelle, über die sie auf ihren Schienen dahinrausche, um den Bourgeois an sein Ziel zu bringen, sei ein toter Ire; die Eisenbahn fahre über Leichen.

Diese drastische Darstellung war nicht so weit hergeholt, wie sie zunächst erscheinen mag. Schon die Errichtung der Panama-Eisenbahn 1855 war zu Lasten der billigen, da im Überschuß vorhandenen, leicht ersetzbaren und somit – aus Kapitalperspektive – stets entbehrlichen Lohnarbeiter gegangen: »Bei ihrem Bau starb«, so Thomas Schmid 1999 in der Zeit, »vermutlich knapp die Hälfte der Arbeiter an Malaria, Gelbfieber, Ruhr oder Cholera. Die genaue Zahl der Opfer – Schätzungen sprechen von 4000 bis 10000 Toten – wird man nie erfahren. Gezählt wurden damals ohnehin nur die toten Weißen, und Weiße waren unter den Kontraktarbeitern, die aus China, Indien, vor allem aber aus Afrika und von den Antillen kamen, eine kleine Minderheit. Die Panama Railroad Company verschacherte Leichen, die nicht identifiziert werden konnten, an medizinische Fakultäten in aller Welt.« Ähnlich hoch war auch der Blutzoll beim Bau des Panamakanals. Bis zum Zeitpunkt der Insolvenz kam unter schwierigsten klimatischen, geologischen und sozialen Bedingungen die unglaubliche Anzahl von geschätzt 22000 Arbeitern – durch Tropenkrankheiten, Arbeitsunfälle etc. – ums Leben.

Die USA betreten die Bühne

Mit der Zahlungsunfähigkeit drohte nicht nur ein Prestigeobjekt der Bourgeoisie zu scheitern. Zu seiner Besonderheit gehörte, daß es nicht, wie üblich, das Investorenprojekt einiger weniger Großaktionäre war. Vielmehr waren an der »Panama Canal Co.« insgesamt 800000 französische Aktieninhaber beteiligt. Die Bedingungen vor Ort waren vor ihnen weitestgehend geheimgehalten worden; die Kleinsparer wurden getäuscht. Mit der Pleite wurden so insgesamt 1700 Millionen Franc an Kapital vernichtet, unzählige Kleinak­tienbesitzer um ihr Geld gebracht.

Um die bröckelnde Finanzierung zu sichern, hatte de Lesseps sich vor Bekanntwerden der Insolvenz um die Gründung einer nationalen Lotteriegesellschaft bemüht. Zu diesem und zum Zwecke der Geheimhaltung des Panama-Fiaskos wurden systematisch Einflußpersonen geschmiert. Es kam nun zu einem der größten Korruptionsskandale in der französischen Geschichte, in den eine riesige Gruppe von Staatsmännern, Regierungsbeamten und ganze Zeitungsredaktionen verstrickt waren. Allein 104 Parlamentarier hatten sich als korrupt erwiesen und Gelder von der Panama Canal Co. empfangen. Die »Panama-Geschichte«, so seinerzeit Engels in einem Brief an August Bebel, »schlägt alles, was an Korruption sowohl unter Louis-Philippe wie unter Bonaparte III. geschehn.« Allerdings: Die Hoffnung von Engels, der sich durch sie »wieder 45 Jahre jünger« (MEW Bd. 38, S. 544) fühlte, daß die Panama-Affäre von 1892/93 »der Bourgeoisrepublik den Hals bricht«, erfüllte sich nicht.

1894 wurde für die Verwaltung der Aktien und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur ein neuer Konzern, die Compagnie Nouvelle du Canal de Panama (CNCP), gegründet. Als Kaufpreis wurden 109 Millionen US-Dollar aufgerufen. Die Pleite hatte allerdings die Grenzen privater Investitionsvorhaben diesen Ausmaßes aufgezeigt. Im Übergang zum organisierten Kapitalismus und dem Zeitalter der rivalisierenden Imperialismen hatten die USA, die der französischen Unternehmung recht feindselig gegenübergestanden hatten, angefangen, sich aktiv in das Geschäft der Kapitalexpansion einzuschalten. Im Spooner Act von 1902 erteilte der US-Kongreß dem republikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt nun das Recht, die Wertbestände der CNCP zu kaufen.

Mit der Regierung von Kolumbien handelten die USA danach den Bau des Kanals als staatliches Projekt aus. Washington bot einen einmaligen Betrag von zehn Millionen US-Dollar und die Zahlung einer jährlichen Pacht von 250000 US-Dollar. Vom US-Senat wurde dieser Vertrag am 14. März 1903 abgesegnet, im kolumbianischen Parlament, das vom Unterhändler Tomás Herrán bei diesem Preisgeschacher auf weniger als ein Zehntel der geforderten Summe übergangen worden war, stieß diese Übereinkunft jedoch auf Widerstand. Sowohl die Parlamentarier als auch die französische Baufirma forderten einen höheren Betrag. Die USA hätten, so der Tenor, 40 Millionen zahlen können oder wollen. Zudem hatte man Bedenken in bezug auf die Gebietsansprüche, die die Nordamerikaner stellten. Eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer stimmte nun entsprechend gegen den Verkauf.

Roosevelt reagierte darauf in radaurassistischer Manier. Er »glaube nicht, daß man es diesem Haufen Karnickel in Bogotá erlauben sollte, auf Dauer einen der großen künftigen Verkehrswege der Zivilisation zu versperren«. »Unsere Feinde« in der »kleinen Wildkatzenrepublik« Kolumbien hätten mit ihrer demokratischen Entscheidung im Parlament einen »kriminellen Fehler« begangen. Seinem Außenminister John Hay eröffnete er zwei Optionen: »1. Nikaragua übernehmen oder 2. sich auf die eine oder andere Weise einmischen, wenn es nötig wird, um die Route in Panama ohne weitere Verhandlung mit den törichten und mörderischen Korrupten aus Bogotá zu schützen«. Man entschied sich gegen ein alternatives Kanalprojekt in Nikaragua für die zweite Option.

Lancierter Putsch

Die USA zettelten daraufhin mit Hilfe einer kleinen Gruppe korrupter Eliten einen Putsch an. Dieser erfolgte nach dem Vorbild eines Umsturzes in Hawaii, mit dem ein Jahrzehnt zuvor die Herrschaft einer zahlenmäßig kleinen, weißen Klasse abgesichert worden war. Die winzige Gruppe von Verschwörern rund um den Kanalbau bestand im Grunde ausschließlich aus Mitgliedern einer Kompradorenbourgeoisie, der maßgeblich angehörten: der Bankier José Agustín Arango (später Außenminister), der Panama-Eisenbahnunternehmer Manuel Amador Guerrero (später erster Präsident), der Geschäftsmann Federico Boyd (später Junta-Minister), der in den USA ausgebildete Unternehmer Tomás Arias (später Arangos Sekretär und Parlamentspräsident) und der Pharmahersteller und Lotteriebetreiber Manuel Espinosa Batista. Damit konnte der Putsch vor den Augen der Weltöffentlichkeit natürlich schwerlich den Anschein einer Volksrevolte erwecken.

Finanziert worden war er von Philippe-Jean Bunau-Varilla, einem der größten Aktieninhaber der CNCP, der zugleich diplomatischer Repräsentant Frankreichs in Panama war. Nach dem Votum im kolumbianischen Kongreß fürchtete er, daß der Kanal nun gar nicht oder aber, wie ursprünglich geplant, durch Nikaragua gebaut würde. Zuvor war Bunau-Varilla bereits durch die USA gereist und hatte zusammen mit dem New Yorker Lobbyisten William Nelson Cromwell mit Lügen über eine angeblich verheerende Vulkantätigkeit in Nikaragua Stimmung gegen diese Baualternative betrieben. Er hatte es geschafft, den US-Kongreß umzustimmen und vom Nikaraguaplan abzubringen.

Von New York aus hatte Bunau-Varilla in enger Zusammenarbeit mit Roosevelt den Putsch vorbereitet. Am 3. November 1903 übernahm die Gruppe der Verschwörer mit Unterstützung einiger lokaler Militärs die regionalen Regierungsgebäude und erklärte Panama für unabhängig. Die neue – US-Kapitalexportinteressen begünstigende – Verfassung und den Plan zum Aufbau des Militärs hatte Bunau-Varilla da bereits in der Tasche.

Die US-Kriegsflotte hielt ihr Versprechen und unterstützte den Putsch, indem sie die kolumbianischen Truppen mit dem Schlachtschiff »U.S.S. Nashville« von einer Rückeroberung der Region abhielt. Der Kommandant bekam den Befehl, »die Landung jedweder bewaffneter Kräfte mit feindlicher Intention, seien es Regierungstruppen oder Aufständische, zu verhindern.« Die Einheiten, von der kolumbianischen Regierung zur Auflösung des Putsches auf ihrem Staatsgebiet entsandt, wurden von US-Militärs in eine Falle gelockt und festgenommen. Zwei Tage später landeten weitere vierhundert Marinesoldaten, und kurz danach tauchten noch acht weitere US-Kriegsschiffe vor der Küste Panamas auf, das jetzt zum souveränen Staat erklärt werden sollte.

Laut dem US-Historiker Thomas Schoonover gab das Roosevelt-Kabinett den Putschisten bereits vorab Garantien, daß man eine separatistische Staatsgründung sofort anerkennen würde. Dafür spricht, daß die US-Regierung – gänzlich ohne Debatte im Kongreß – bereits eine Stunde nach der Meldung des Putscherfolges durch ihren Konsul in Kolumbien Panama anerkannte. Nämlich als klar war, daß die Putischisten die volle Kontrolle über das Territorium besaßen. Die neue Flagge ließ Washington vom Major der US-Armee, William Murray Black, über der Präfektur in Colón hissen und lud die Putschisten bereits am 13. November zum hochoffiziellen Staatsempfang ein.

Vollkommene Kontrolle

Natürlich stritt die US-Regierung jegliche Beteiligung an den Vorgängen gegenüber der Öffentlichkeit ab. Noch in seiner Autobiographie log Roosevelt: »Niemand mit Verbindungen zur amerikanischen Regierung war Teil der Vorbereitung, Aufstachelung oder Ermutigung der Revolution.« Mit Roosevelts doppelbödiger Politik im Panama-Putsch belasteten die Vereinigten Staaten die Beziehungen zu Kolumbien auf Jahre. Erst als der US-Kongreß sich 1921 offiziell in Bogotá entschuldigte und das Land mit 25 Millionen US-Dollar entschädigte, erkannte das südamerikansiche Land schließlich die »Souveränität« des US-Protektorats an.

1903 jedenfalls wurde binnen weniger Tage der vom kolumbianischen Parlament abgelehnte Vertrag von der illegitimen Oligarchen- und Separatistenregierung verabschiedet. Der Putschpräsident Manuel Amador machte Bunau-Varilla dann sogleich zu Panamas Botschafter in den USA und stattete ihn mit allen Vollmachten aus, den weiteren Kanalbau mit US-Außenminister Hay zu vereinbaren. Alle Forderungen der USA wurden im November 1903 im Hay-Bunau-Varilla-Vertrag erfüllt. Von den Verfassern der ersten umfassenden Geschichte des Panamakanals, Noel Maurer und Carlos Yu, wurde der Inhalt des Abkommens wie folgt zusammengefaßt: Bei diesem »wurden alle Einnahmen aus dem Verkauf (…) dem Staat Panama vorenthalten. Er erlaubte es ihm auch nicht, Steuern oder ›Zuzahlungen oder Nutzungsgebühren eines persönlichen Charakters‹ auf den Kanal, seine subsidiären Unternehmen, die Panama Railroad oder ihre Beschäftigten zu erheben. Die USA erlangten ferner das Exklusivrecht auf Gesetzgebung und Rechtausübung innerhalb eines 22-Meilen-Korridors entlang des Kanals (…) sowie die unilaterale Autorität, die Zone auf alle Gebiete auszuweiten, welche die USA als ›notwendig und nützlich erachteten für den Bau, die Instandhaltung, den Betrieb, die Entsorgung und den Schutz des besagten Kanals oder aller Zusatzkanäle oder anderer Einrichtungen‹. Mit dem Vertrag verpflichtete sich Panama des weiteren zur Übernahme der gesamten Kapital- und Betriebskosten ›aller Entsorgungsarbeiten, wie des Sammelns und der Entsorgung von Abwässern und der Verteilung von Wasser in den Städten Panama und Colón‹. Mit anderen Worten: Die USA bringen moderne Abwasseranlagen nach Panama, aber anders als beim Angebot an die Kolumbianer müssen die Panamaer dafür selber zahlen. Im Gegenzug leisten die USA eine sofortige Einmalzahlung von zehn Millionen US-Dollar. Der Vertrag annullierte auch die 250000 US-Dollar an jährlicher Pachtgebühr, die sie bis dahin für die Panama Railroad zu entrichten hatten. Ab dem Jahre 1913 würden die USA eine neue Pacht von 250000 US-Dollar zahlen. Diese Bedingungen waren«, so Maurers und Yus Fazit, »dieselben Bedingungen, die 1902 [von Kolumbien] noch wütend zurückgewiesen worden waren.«

Zudem ließen die USA nach dem Vorbild des 1898 nach dem siegreichen Krieg gegen Spanien annektierten Kubas in die neue Verfassung von Panama 1904 hineinschreiben, daß »die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika einmarschieren könne (…), um die öffentliche Ruhe und die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen«. (Maurers/Yu) Zugleich wurde – ebenfalls nach kubanischem bzw. philippinischem Vorbild – die US-Dollardiplomatie wirksam. Denn eine zu vollziehende »Finanzreform« bedeutete, daß alle diese Länder auf den Goldstandard umgestellt wurden, was die Voraussetzung für den massenhaften Zufluß überakkumulierten und anlagesuchenden Kapitals aus den USA bildete. Und schließlich, so Emily S. Rosenberg in einer Monographie über eben jene US-Dollardiplomatie, »wurde der Panamakanal zum zentralen Mosaikstein von [Roosevelts] ›Großmarine‹-Strategie, da sie eine Zwei-Ozeane-Handels- und Militärmachtstellung ermöglichte. Die durch einen Kanal und angrenzende Basen erlangten Militärkapazitäten sollten dazu beitragen, die wachsenden internationalen ökonomischen Interessen der USA durchzusetzen, und eine Erweiterung der ökonomischen Verflechtungen sollte umgekehrt die strategische Position der USA verbessern.«

Tod statt Ehre

Verständlich, daß ein solcher Vertrag später den Zorn der Bevölkerung auf sich zog, als klar wurde, was dieser ausländische Kapitalagent Bunau-Varilla, der schon seit 17 Jahren nicht mehr in Panama gelebt hatte und – wohlweislich – auch nie wieder dorthin zurückkehrte, da im Sinne einer Interessenübereinstimmung zwischen lokalen Eliten und der Washingtoner Regierung »für die Ewigkeit« (so die vertragliche Formulierung) ausgehandelt hatte. Nach Bekanntwerden der Details kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den US-amerikanischen Quasibesatzern und der Bevölkerung. Der heftigste war der Volksausfstand vom 9. Januar 1964 mit dem Ziel, die Souveränität über die Panamakanalzone wiederzuerlangen. Die US-Armee warf ihn blutig nieder: 22 Panamaer und vier US-Soldaten kamen ums Leben.

Nachdem Panama sich 1903 verpflichtet hatte, sich an der Rückzahlung der Schulden Kolumbiens zu beteiligen, wurde es auch von Großbritannien und den Niederlanden international anerkannt. Zuvor hatten das bereits Frankreich, Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich und China getan.

Zu Jahresbeginn 1904 wurde wieder zu bauen begonnen. Als Roosevelt während der Bauarbeiten auf der ersten Auslandsreise eines amtierenden Präsidenten überhaupt nach Panama kam, brachte er seinen ganzen Stolz zum Ausdruck: »In Zukunft soll es ausreichen, über einen Mann zu sagen, er sei beim Bau des Panamakanals dabei gewesen, um seinen Anspruch auf Ehrenhaftigkeit zu unterstreichen«, so Roosevelt zu den Ingenieuren. Statt der Ehre blieb den Arbeitern oft der Tod. Von 21441 nichtweißen Arbeitern starben allein im Jahre 1906 1025. Auch die Todesrate unter weißen Arbeitern war hoch.

Unter diesen Bedingungen gelang schließlich staatlich, was unter de Lesseps privatkapitalistisch mißlungen war. Am 15. August 1914 wurde der Kanal als »zentraler Baustein einer neuen expansionistischen Außenpolitik« der USA, wie der Soziologe William I. Robinson schreibt, schließlich eröffnet. Roosevelts Panamapolitik verkörperte einen offen imperialistischen Akt und Verstoß gegen geltendes internationales Recht. Damit schien aber auch die These des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter widerlegt, daß Imperialismus nicht aus dem Kapitalismus erwachse, sondern bloß Folge ruhmsüchtiger feudaler »Kriegerklassen« sei. Lenin konstatierte jedenfalls 1916 in seiner Imperialismusschrift: »In den Vereinigten Staaten ging die ökonomische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten noch rascher vor sich als in Deutschland, und gerade dank diesem Umstand kamen die parasitären Züge des jüngsten amerikanischen Kapitalismus besonders kraß zum Vorschein. Andererseits zeigt ein Vergleich, sagen wir, der republikanischen amerikanischen Bourgeoisie mit der monarchistischen japanischen oder deutschen, daß auch der stärkste politische Unterschied in der Epoche des Imperialismus in hohem Grade abgeschwächt wird.« (LW, Bd. 22, S. 306)

Literatur
  • Kinzer, Stephen, Overthrow: America’s Century of Regime Change from Hawaii to Iraq, New York 2007
  • Maurer, Noel/Yu Carlos, The Big Ditch: How America Took, Built, Ran and Ultimately Gave Away the Panama Canal, Princeton 2011
  • Meding, Holger M., Panama: Staat und Nation im Wandel, 1903-1941, Köln 2002
  • Robinson, William I., Promoting Polyarchy: Globalization, US Intervention and Hegemony, Cambridge 1996
  • Rosenberg, Emily S., Financial Missionaries to the World: the politics and culture of dollar diplomacy, 1900–1930, Cambridge (Mass.) 1999
  • Schoonover, Thomas, Morality and political purpose in Theodore Roosevelt’s actions in Panama 1903, in: Ders.: The United States in Central America, Durham/London 1991, S. 97–110

* Aus: junge Welt, Donnerstag 14. August 2014


Zurück zur Panama-Seite

Zurück zur Homepage