Ohne Koordinierung und Konzept
Angesichts der palästinensischen Einheitsregierung flüchtet sich Israel in hilflose Provokationen
Von Oliver Eberhardt *
Nach der Vereidigung der neuen
palästinensischen Regierung machen
sich Hamas und Fatah daran,
die neue Einheit umzusetzen. Israel
hat im Gegenzug weitere Siedlungsbauten
angekündigt.
Selten zuvor waren die Reaktionen
deutlicher: Man sei »zutiefst enttäuscht«, sagt die Europäische Union;
»nicht hilfreich«, findet das USAußenministerium
die Ankündigung
der israelischen Regierung in israelischen
Siedlungen im palästinensischen
Westjordanland Wohnungen
für bis zu 3300 Menschen bauen zu
lassen. »Komplett sinnlos«, urteilt sogar
Justizministerin Zipi Livni, die bis
vor Kurzem die Verhandlungen mit
der palästinensischen Regierung
führte. Auch die Bundesregierung hat
am Freitag mit Kritik auf neue Pläne
für den Bau Tausender israelischer
Siedlerwohnungen in den Palästinensergebieten
reagiert.
Der Immobilienmarkt in den Siedlungen
sei am Zusammenbrechen,
heißt es bei der israelischen Maklervereinigung;
Häuser und Wohnungen
dort seien vielerorts nahezu unverkäuflich;
auch viele der Wohnungen,
deren Bau im Laufe der vergangenen
Monate angekündigt worden
war, werden nie gebaut, weil dort
kaum jemand einziehen will.
Was mit diesem Schritt beabsichtigt
war, können nicht einmal Mitarbeiter
von Regierungschef Benjamin
Netanjahu sagen. Manche glauben,
dass damit die Palästinenser provoziert
werden sollten. Andere sind der
Ansicht, dass der Premier die rechten
Koalitionspartner besänftigen wollte,
bis er sich selbst einen Plan zurecht
gelegt hat. Doch die vorherrschende
Meinung in Politik und Öffentlichkeit
ist, dass die Regierung völlig unkoordiniert
und konzeptlos handelt.
Die ausländische Zustimmung für
die neue Regierung in Palästina hat
Netanjahu überrascht. Noch am Wochenende
zuvor hatte es so ausgesehen,
als würden sich die Vereinigten
Staaten hinter die israelische Haltung
stellen.
Doch passiert ist das genaue Gegenteil.
Nicht nur erklärte Washington,
dass man mit der Einheitsregierung
zusammenarbeiten wird – man
ließ sogar Dan Shapiro, den US-Botschafter
in Tel Aviv, in einem Interview
sagen, dass Israels Regierung an
jenem Tag, an dem das Kabinett vereidigt
wurde, 500 000 US-Dollar aus
Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen
an die Palästinenser überwiesen hat.
Dort hat sich das neue Kabinett
mittlerweile an die Arbeit gemacht.
Dabei achtet man sehr genau auf
Transparenz. So hat ein Komitee damit
begonnen, die gut 20 000 Menschen,
die bisher für die Hamas-Ministerien
in Gaza gearbeitet haben, zu
durchleuchten. Nur, wer die Überprüfung
übersteht, soll auf die Gehaltsliste
der neuen Regierung gesetzt
werden. Die Polizisten der Hamas
werden indes von einem Komitee
unter ägyptischer Aufsicht gecheckt.
Mit beidem soll sichergestellt
werden, dass kein Geld an die Hamas
fließt und damit eine Bedingung
des US-Kongresses für die amerikanischen
Finanzhilfen erfüllt wird.
Eine Wahrheitskommission soll
derweil die Folgen der palästinensischen
Spaltung aufarbeiten. Ihr
Hauptaugenmerk ruht auf den bürgerkriegsähnlichen
Zuständen im Gaza-Streifen, die im Sommer 2007
zur Machtübernahme durch die Hamas
geführt haben.
Die palästinensische Öffentlichkeit
reagiert auf die Entwicklungen mit
Hoffnung, aber auch Sorgen. Im
Westjordanland befürchtet man, dass
die Hamas nun versuchen wird, dort
stärker den Lebensstil zu beeinflussen.
Und in Gaza kam es in den vergangenen
Tagen zu Tumulten, nachdem
die Angestellten der Hamas-Regierung
feststellen mussten, dass sie
nicht bezahlt worden waren. Mit der
Vereidigung der neuen Regierung
waren die Zahlungen gestoppt worden;
zunächst sollten die Überprüfungen
abgeschlossen werden.
Vor allem aber hoffen die Menschen
in Gaza auf eine Lockerung der
Blockade. Zumindest Ägypten hat bereits
eine dauerhafte Öffnung der
Grenze in Aussicht gestellt, sobald die
neue Regierung der Palästinenser voll
funktionsfähig ist.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Juni 2014
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