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Versöhnung weckt Hoffungen

Während die Palästinenser voller Optimismus sind, schlägt ihnen aus den USA Ablehnung entgegen

Von Oliver Eberhardt *

Mitten in den Bemühungen um eine Fortsetzung der Friedensverhandlungen zwischen Israel und Palästinensern haben Fatah und Hamas die Bildung einer Einheitsregierung bekannt gegeben.

Sie haben so lange darauf gewartet. »Die Stimmung hier ist viel gelöster als sonst«, berichtet ein Reporter der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa aus Gaza: »Die Menschen hoffen darauf, dass es endlich klappt und sich an ihrer Situation etwas verändert.«

Am Mittwoch hatten hochrangige Vertreter der im Gazastreifen regierenden Hamas und der PLO-Hauptorganisation Fatah, die die Palästinensische Autonomiebehörde dominiert, bekannt gegeben, man habe sich auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt. Binnen fünf Wochen wolle man ein Kabinett aus »Spezialisten« zusammenstellen; in sechs Monaten sollten dann Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Die anwesenden palästinensischen Journalisten applaudierten begeistert.

Denn überall im Gazastreifen erwartet man sehr viel davon. Bereits im Januar hatte Ägypten – eine Folge des Sturzes von Präsident Mohammed Mursi – die Grenze zu dem dicht bevölkerten Landstrich gesperrt. Nur wenige Tage war sie seitdem offen. Im Februar stufte Kairo dann die Hamas sogar als terroristische Vereinigung ein. Ihr Besitz im Nachbarland wurde eingefroren, Geldflüsse aus dem Ausland in Richtung der Organisation wurden gestoppt. Rasend schnell ist der Gaza-Regierung seitdem das Geld ausgegangen.

Mitarbeiter von dortigen Ministerien und Sicherheitskräfte berichten, sie seien bereits seit März nicht mehr bezahlt worden. Selbst wenn dies geschehen wäre, wird Bargeld, mit dem gezahlt werden kann, immer knapper. Denn die Scheine werden alt und zerfallen. Und für das Kleingeld haben die Menschen mittlerweile eine ganz neue Verwendung gefunden. Sie reparieren damit unter anderem Wasserrohre.

Nun hofft man darauf, dass der Versöhnungsdeal wenigstens eine teilweise Öffnung der Grenzen ermöglicht – eine durchaus berechtigte Hoffnung. Denn in Ägypten begrüßte die Übergangsregierung das Abkommen. Finanzverkehr mit der Palästinensischen Autonomiebehörde sei bereits jetzt jederzeit möglich, sagte ein ägyptischer Regierungssprecher; sollte die Vereinbarung tatsächlich umgesetzt werden, werde man auch den Personen- und Güterverkehr wieder ermöglichen.

In Israel und den Vereinigten Staaten hingegen stieß die Nachricht auf große Ablehnung. So sagte Israels Regierung nicht nur ein für Mittwochabend geplantes Treffen der israelischen und palästinensischen Verhandlungsdelegationen, sondern die Verhandlungen ab. Wer die Hamas wähle, lehne den Frieden ab, sagte Regierungschef Benjamin Netanjahu. Und Jen Psaki, Sprecherin des US-Außenministeriums, sagte, man sei »sicherlich enttäuscht«. Und ein hochrangiger Vertreter der US-Verwaltung meinte, die Finanzhilfen an die palästinensische Regierung stünden auf dem Prüfstand: »Jede palästinensische Regierung muss sich ohne Einschränkung zur Gewaltlosigkeit verpflichten, den Staat Israel anerkennen, und sich an alle mit Israel geschlossenen Verpflichtungen und Vereinbarungen halten.«

Westliche Diplomaten in der Region gestehen allerdings ein, dass Handlungsspielräume begrenzt sind. Kurz vor dem Abkommen hatte Präsident Mahmud Abbas offiziell die vollständige Abwicklung der palästinensischen Autonomiebehörde in Aussicht gestellt. Sollte dies geschehen, müssten andere die Kontrolle über die palästinensischen Ballungsräume im Westjordanland übernehmen – wahrscheinlich Israel. Das würde damit nicht nur wieder zur Besatzungsmacht über gut vier Millionen Menschen, sondern müsste auch irgendwie Kosten von umgerechnet zwischen 300 und 500 Millionen Euro im Jahr schultern. Ob ausländische Verbündete hier einspringen würden, ist unklar.

Doch sowohl Fatah als auch Hamas bemühten sich am Donnerstag, die westlichen Befürchtungen zu zerstreuen. Die Einheitsregierung bedeute nicht, dass die Tür für Verhandlungen geschlossen sei. Und Jibril Rajoub, ein hochrangiger Fatah-Funktionär, erklärte, es sei Teil des Deals, dass die Hamas die Grenzen von vor 1967 anerkenne und akzeptiere, dass alle israelisch-palästinensischen Vereinbarungen weiter gelten. Ein Sprecher der Hamas antwortete darauf, man fordere die Errichtung des Staates Palästina in den Grenzen von vor 1967.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. April 2014

Netanjahu zur Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu äußerte sich am Mittwoch (23.04.) zum geplanten Friedensschluss zwischen Hamas und Fatah. Er sagte:

"Ich habe heute Morgen gesagt, dass Abu Mazen sich entscheiden muss zwischen Frieden mit Israel und einer Einigung mit der Hamas, einer mörderischen Terrororganisation, die zur Vernichtung des Staates Israel aufruft, und die sowohl von den Vereinigten Staaten, als auch der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird.

Heute Abend, noch während die Gespräche über die Fortsetzung der Friedensverhandlungen geführt werden, hat sich Abu Mazen für die Hamas entschieden und nicht für den Frieden. Wer sich für die Hamas entscheidet, möchte keinen Frieden."

(Büro des Ministerpräsidenten, 23.04.14)



Einigung unerwünscht

Aussöhnung zwischen Palästinensern könnte vom Westen erdrosselt werden

Von Knut Mellenthin **


Israel und die USA haben mit scharfen Drohungen auf die Ankündigung der Fatah und der Hamas reagiert, eine gemeinsame palästinensische Regierung bilden zu wollen. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jennifer Psaki, sagte am Mittwoch, der geplante Schritt der Palästinenser könne die »Friedensgespräche« zwischen Israel und Präsident Mahmud Abbas gefährden. Zugleich bekundete sie im Voraus volles Verständnis für den Fall, daß Israel jetzt die – ohnehin schon vor mehreren Wochen zum Stillstand gekommenen – Verhandlungen auch förmlich und offiziell abbrechen sollte. Psaki deutete darüber hinaus die Möglichkeit finanzieller »Konsequenzen« an. Angeblich zahlen die USA jährlich rund eine halbe Milliarde Dollar an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die von Abbas eingesetzte Regierung. Deren Autorität ist derzeit auf die Westbank beschränkt, während die Hamas das Gaza-Gebiet beherrscht und verwaltet.

Israel hat auf Grund der Einigung zwischen den Palästinensern alle Treffen mit der PA abgesagt. Ohnehin wären die im Juli 2013 begonnenen Gespräche, die nur den USA zuliebe zustande kamen, nur noch bis zum 29. April gelaufen. Über eine Verlängerung dieser Frist hatten sich die beiden Seiten nicht verständigen können. Abbas hatte eine Fortsetzung der Verhandlungen zuletzt von zwei Voraussetzungen abhängig gemacht: Erstens müsse Israel einen mehrmonatigen Stopp des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten versprechen. Zweitens müßten die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaats erstes Gesprächsthema werden. Premier Benjamin Netanjahu und die meisten Mitglieder seines Kabinetts gehören jedoch rechtszionistischen Parteien an, die die Bildung eines palästinensischen Staates in den besetzten Gebieten kategorisch ablehnen.

Nach der gemeinsamen Ankündigung von Fatah und Hamas wiederholte Netanjahu wieder einmal seinen Standardspruch, daß die Palästinenser »keinen Frieden wollen«. Sein Wirtschaftsminister Naftali Bennet von der rechtsextremen Partei Habajit Hajehudi sagte, die PA sei durch diese Einigung »nur 20 Minuten von Tel Aviv entfernt zur größten Terrororganisation der Welt geworden«. Bennet hatte schon vor zwei Wochen erklärt, daß die »Friedensgespräche« gescheitert seien und daß Israel nun mit der direkten Annexion der sogenannten Siedlungsblöcke in den besetzten Gebieten, vor allem in der weiteren Umgebung von Jerusalem, beginnen sollte.

Die am Mittwoch nach nur einem Verhandlungstag bekanntgegebene Einigung zwischen Fatah und Hamas sieht vor, daß in spätestens fünf Wochen eine gemeinsame Regierung gebildet werden soll. Ein halbes Jahr später sollen Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden. Die Hamas und eine weitere im Gaza-Gebiet bedeutende Gruppe, der Islamische Dschihad, sollen der Dachorganisation PLO beitreten.

Zu starker Skepsis gibt jedoch Anlaß, daß es schon mehrere solcher Vereinbarungen gab, seit die Hamas im Juni 2007 die Macht in Gaza übernahm, um einem von Fatah-Führern geplanten Putsch zuvorzukommen. Ähnliche Abkommen wurden in den Jahren 2009, 2011 und 2012 geschlossen, ohne daß etwas zu ihrer Umsetzung geschah. Das vermutlich schwerwiegendste Hindernis ist die Tatsache, daß eine einheitliche palästinensische Regierung finanziell ganz schnell auf dem Trocknen säße, weil die USA und deren Verbündete ihre Zahlungen einstellen würden. Außerdem scheint die Annahme illusorisch, daß Israel freie und faire Wahlen in der von seinen Truppen besetzten Westbank zulassen würde. Jeder Hamas-Politiker müßte dort mit seiner Verhaftung oder Ermordung durch die Israelis rechnen.

Abbas hat angekündigt, daß die Einigung mit der Hamas nicht automatisch das Ende der »Friedensgespräche« mit Israel bedeuten müsse. Dabei geht es aber letztlich nur um die Frage der politischen Schuldzuweisung. Die israelische Regierung wird, sofern die Vereinbarung zwischen den Palästinenser nicht schnell wieder in die Brüche geht, nicht auf den willkommenen Vorwand verzichten, die ohnehin ungeliebten Pseudoverhandlungen mit der PA zu beenden.

** Aus: junge Welt, Freitag 25. April 2014


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