Palästinensische humanitäre Katastrophe / Palestinian Humanitarian Disaster
US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) legt beunruhigende Zahlen vor / An assessment by the U.S. Agency for International Development
10. Juli 2002: Eine vor kurzem erschienene Untersuchung der US-Agentur für
Internationale Entwicklung, die sich auf Daten der Weltbank, der
Vereinten Nationen und anderer Organisationen stützt, unterstreicht die
humanitäre Ernährungs- und Gesundheitskrise, die im Westjordanland
droht. Gleichzeitig berät der US-Kongress Vorschläge zur Begrenzung der
Hilfslieferungen an die Palästinenser und der Leistungen an das
Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen
Osten-UNRWA. Anstatt die Hilfe zu reduzieren, so heißt es in der
Untersuchung, sollte die Hilfe dringend erhöht werden, damit der
zunehmenden humanitären Krise unter den Palästinensern entgegengewirkt
werden kann. Die folgenden Punkte sollten dabei gegenüber der
Öffentlichkeit und der Presse hervorgehoben werden:
Chronische und akute Mangelernährung unter den Kindern unter fünf Jahren
ist weit verbreitet und wächst schnell an. 30 Prozent der untersuchten
Kinder leiden unter chronischer Mangelernährung und 21 Prozent unter
akutem Hunger. Diese Zahlen sind seit 2000 auffallend gestiegen; damals
waren nur 7,5 Prozent der Kinder von chronischer und 2,5 Prozent von
akuter Mangelernährung betroffen.
Mittlere bis leichte Anaemie (Blutarmut) ist ebenfalls offensichtlich.
45 Prozent der Kinder unter fün Jahren und 48 Prozent der Frauen im
gebärfähigen Alter leiden darunter.
Mehr als 30 Prozent der 3,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland
und im Gazastreifen sind abhängig von den Lebensmittellieferungen des
Welternährungsprogramms, des ICRC und anderer
Nichtregierungsorganisationen. Die Zahl der Palästinenser, die
Lebensmittelhilfe benötigen, nimmt von Tag zu Tag zu. Laut einer Analyse
der US-amerikanischen Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) benötigen fast 50 Prozent
aller Palästinenser (einschließlich Flüchtlinge) Lebensmittelhilfe von
Außen, um ihren täglichen Kalorienmindestbedarf zu decken.
50 Prozent der untersuchten 320 Haushalte gaben an, Geld leihen zu
müssen, um Grundnahrungsmittel kaufen zu können. 16 Prozent der
Haushalte verkaufen zu diesem Zweck ihren persönlichen Besitz.
Infolge der Militäreinsätze im März und April 2002 hat die Zahl der
Hauszerstörungen seit Beginn der Intifada um mindestens 50 Prozent
zugenommen.
Das palästinensische Wohnungsministerium berichtet, dass zwischen
September 2000 und Februar 2000 nahezu 720 Häuser von der israelischen
Armee (IDF) vollständig zerstört und 11.553 Häuser beschädigt wurden.
73.600 Menschen waren betroffen.
Allein im März und April 2002 wurden in Flüchtlingslagern noch einmal
881 Häuser zerstört und 2.883 beschädigt; betroffen waren davon
schätzungsweise 22.500 Bewohner.
Das Risiko, dass ansteckende Krankheiten ausbrechen, nimmt zu. Aufgrund
des erschwerten Zugangs zu Trinkwasser, Überbelegung von Wohnungen und
unzureichendem Schutz wird der Ausbruch möglicher Krankheiten wie z.B.
Cholera zu einer großen Gefahr.
Die ärztliche Behandlung von Palästinensern, die auf dem Land leben und
solchen, die unter chronischen Krankheiten leiden wie Nierenleiden,
Diabetes, Krebs oder Hypertonie (Bluthochdruck), wurde unterbrochen
aufgrund mangelnder Erreichbarkeit bzw. mangelnder Verfügbarkeit von
ärztlichen Leistungen.
Schätzungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums zufolge hat
der Anteil der unter fachlicher Aufsicht stattfindenden Geburten von
97,4 Prozent vor der Intifada auf zur Zeit 67 Prozent abgenommen.
Hausgeburten nahmen im selben Zeitraum von drei auf 30 Prozent zu.
Die Möglichkeiten des vorbeugenden Gesundheitsschutzes sind geschwunden.
Unterbrechungen der Stromversorgung verhindern, dass Medizinstationen
Impfstoffe gekühlt aufbewahren können, sodass sie verderben. Dies erhöht
die Gesundheitsrisiken. Das Kinderschutzimpfungssystem ist
zusammengebrochen.
Nach Angaben der Weltbank leben 70 Prozent der Palästinenser im
Wetsjordanland und im Gazastreifen unter der Armutsgrenze von weniger
als 2 Dollar pro Tag. Vor 90 Tagen, im April 2002, schätzte die Weltbank
diese Zahl noch auf "nur" 50 Prozent. Die Vereinten Nationen bezeichnen
62 Prozent der Palästinenser als bedürftig ("vulnerable"); sie
´benötigen Nahrung, Obdach und/oder Zugang zu Gesundheitsdiensten.
Ein Umweltgesundheits-Team von USAID fand heraus, dass von 300
untersuchten Haushalten in Nablus keiner darunter war, der über
Trinkwasser verfügte, das internationalen Standards entspricht. Häufig
sei das Wasser von Kotbakterien verunreinigt.
Fälle von Diarrhö (Durchfall) nehmen zu. Dies liegt an den schlechten
hygienischen Zuständen und an der kritischen Wasserversorgung. Von den
320 von USAID befragten Haushalten bestätigten 30 Prozent, dass in den
ersten zwei Wochen des Juni 2002 jeweils mindestens ein Mitglied der
Familie Symptome von Diarrhö aufwies.
Das palästinensische Gesundheitsministerium berichtet, dass infolge der
Abriegelungen und Ausgangssperren die medizinischen Einrichtungen nur zu
30 Prozent ihrer Kapazität arbeiten konnten. Der palästinensische Rote
Halbmond (vergleichbar unserem Roten Kreuz) berichtete, dass 25 von
insgesamt 121 Rettungsfahrzeugen von der israelischen Armee zerstört
wurden. Ausgangssperren und Abriegelungen sei auch zu verdanken, dass
die Ambulanzfahrzeuge sechs bis acht Stunden für jeden Krankentransport
bräuchten - wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichen.
USAID fand heraus, dass von den 320 Haushalten 28 Prozent jeweils
mindestens ein Familienmitglied hatten, das keinen benötigten
medizinischen Notdienst erreichte. In 67 Prozent der Haushalte waren
medizinische Dienste auch jenen versperrt, die auf dauerhafte Behandlung
angewiesen sind (z.B. Dialysepatienten, Krebspatienten, Diabetiker).
Gemäß einer Untersuchung der Bir Zeit Universität unter 764 Haushalten
sind seelische Erkrankungen weit verbreitet. Psychische Erkrankungen
oder Auffälligkeiten bei jeweils einem oder mehreren Familienmitgliedern
wurden in 87 Prozent aller Haushalte festgestellt.
Übersetzung aus d. Englischen: P. Strutynski
Palestinian Humanitarian Disaster
July 10, 2002
By U.S. Agency for International Development
A recent assessment by the U.S. Agency for International Development
incorporating data
from the World Bank, the UN, and other organizations outlines the
humanitarian crisis of
hunger and disease looming in the West Bank. At the same time, Congress
is considering
proposals to limit assistance to the Palestinians and contributions to
the U.N. Works and
Relief Agency (UNWRA). Rather than limiting assistance, the assessment
calls for urgently
increasing aid in order to respond to the emerging humanitarian crisis
among Palestinians.
The following points should be used in briefing the press on the looming
crisis.
The key findings are as follows:
Chronic and acute malnutrition is widespread among children under
five years of age
and increasing rapidly. 30% of children screened suffered from
chronic malnutrition
and 21% from acute malnutrition. These numbers have increased
significantly since
2000 when only 7.5% and 2.5% of children suffered from chronic and
acute
malnutrition respectively.
Moderate to mild anemia is also evident. 45% of children under 5
years of age and
48% of women of childbearing age suffer from moderate to mild
anemia.
More than 30% of the 3.5 million Palestinians in the West Bank and
Gaza are
dependant upon food handouts from the World Food Program and the
ICRC or
other NGOs. The number of Palestinians requiring food assistance is
increasing daily.
According to USAID analysis, approximately 50% of all Palestinians
(refugee and
non-refugee) require external food assistance to help meet their
minimum daily caloric
intake.
Of 320 households surveyed, 50% stated their need to borrow money
to purchase
basic foodstuffs, with 16% selling assets for the same purpose.
The March – April 2002 incursions brought at least a 50% increase
in the number of
Palestinian home demolitions since the beginning of the intifada.
The Palestinian Ministry of Housing reports that approximately 720
homes were
destroyed by the IDF and another 11,553 damaged from September 2000
–
February 2002. 73,600 people were affected.
The March – April 2002 incursions destroyed another 881 homes and
damaged
some 2,883 houses in refugee camps. An estimated 22,500 people were
residents of
these homes.
There is increasing risk of communicable disease outbreak. Due to
diminished access
to potable water, residence overcrowding, and inadequate shelter,
possible disease
outbreak, such as cholera, is a growing concern.
The medical treatment of Palestinians living in rural communities,
and those with
chronic diseases such as renal failure, diabetes, cancer, and
hypertension, has been
interrupted due to access, affordability, and availability-related
issues.
According to Palestinian Ministry of Health estimates, births
attended by skilled
health workers have decreased from 97.4%, pre-intifada, to 67%
currently. Home
deliveries have increased from 3% pre-intifada, to 30%, at present.
Availability of immunization has decreased. Interruptions in
electricity supply make
medical facilities unable to maintain cold storage and cause
vaccines to spoil, further
aggravating growing health concerns. The child immunization program
is breaking
down.
According to the World Bank, 70% of Palestinians in the West Bank
and Gaza live
below the poverty line of less than $2 per day. Only 90 days ago,
in April 2002, the
World Bank estimated 50% of Palestinians were below the poverty
level. The UN
defines 62% of Palestinians in the West Bank and Gaza as
“vulnerable,” or in need of
food, shelter, and/or access to health services.
A USAID environmental health assessment team found that of 300
households
surveyed in Nablus, NONE were found to have drinking water
acceptable to
international standards. Fecal bacteria often contaminated water.
The incidence of diarrhea is increasing. This is indicative of
unsanitary living
conditions and questionable water supply. USAID preliminary
findings indicate that
30% of the 320 households interviewed throughout the West Bank and
Gaza
reported diarrheal characteristics among at least one of its
members during the first
two weeks of June.
The Palestinian Ministry of Health reports that because of closures
and curfews, its
facilities operate at about 30% capacity. The Palestinian Red
Crescent Society
reported that 25 of its 121 ambulance fleet were damaged beyond
repair by the
Israeli defense forces. Curfews and closures cause ambulances to
require 6 – 8
hours on average to transport patients to hospitals, if they obtain
access at all.
In June 2002 USAID found that 28% of the 320 households interviewed
had at least
one family member who was not granted access to needed emergency
medical
services while 67% of households reported that access was not
granted to at least
one family member who required long-term treatment such as
dialysis,
chemotherapy, or diabetes management.
A Bir Ziet University study surveyed 764 households and found
widespread
psychological illness. 87% of households reported psychological
difficulties in one or
more family members.
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