"Wir weigern uns Feinde zu sein"
In New York tagte die "United Nations International Conference of Civil Society in Support of the Palestinian People"
Bericht von der "United Nations International Conference of Civil
Society in Support of the Palestinian People" am Hauptsitz der Vereinten
Nationen in New York am 23./24. September 2002
Von Claudia Haydt*
"Die Besatzung ist das Problem." und "We refuse to be enemies!" (Wir
weigern uns, Feinde zu sein.) das waren die Kernaussagen einer
niveauvollen und konstruktiven Konferenz mit mehr als 400 international
zusammengesetzte VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen
(NGOs), die zwei Tage im Hauptquartier der UN beisammen saßen. Im
Rahmen des UN-NGO-Networking wurde darüber diskutiert, wie die Situation
der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten verbessert werden
könnte, welche Auswirkungen die Besatzung auf die betroffenen Menschen
und die Arbeit der NGOs hat. Ziel sollte die Entwicklung gemeinsamer
Strategien sein, mit denen die Besatzung beendet werden könnte.
Der Zeitpunkt der Konferenz hätte kaum "besser" gewählt werden können:
Gleichzeitig tagte der UN-Sicherheitsrat gleich zweimal zum Thema
Israel/Palästina, die humanitäre Situation der palästinensischen
Bevölkerung nimmt dramatische Ausmaße an, Städte wie Nablus stehen schon
mehr als drei Monate unter Ausgangssperre und Arafats Hauptquartier wird
von der israelischen Armee umstellt und systematisch zerstört. Die
ReferentInnen kamen aus Israel und aus Palästina, waren
RepräsentantInnen traditionsreicher Institutionen (Kirchen, Rotes Kreuz)
und internationaler Solidaritätsgruppen, AktivistInnen, Funktionäre und
WissenschaftlerInnen, Menschen islamischen, jüdischen und christlichen
Glaubens oder AtheistInnen. Dass unter den 26 RednerInnen nur vier
Vertreter der PalästinenserInnen vorgesehen waren, das mag wohl zum Teil
daran gelegen haben, dass schon absehbar war, wie schwer es für
PalästinenserInnen sein würde, ihr Land zu verlassen, es war aber auch
symptomatisch für die insgesamt sehr US-lastige Diskussion. Einigen der
ReferentInnen, besonders denen aus der internationalen
Solidaritätsarbeit, war dies offensichtlich unangenehm, sie vermissten
ihre palästinensischen Partnerorganisationen als MitdiskutantInnen auf
den Podien. Besonders deutlich wurde Thomas Neu (Amerikanische
Nahost-Flüchtlingshilfe), seiner Ansicht nach ist die palästinensische
Zivilgesellschaft sehr lebendig, funktionsfähig und mit genügend
interner Solidarität ausgestattet, so dass sie unter "normalen"
Umständen nicht zum Objekt bevormundender Hilfe und Unterstützung werden
müsste. Leider haben politische Umstände und Konferenzregie nicht sehr
viel dazu beigetragen PalästinerInnen als eigenständige zivile Akteure
kennenzulernen. Man sprach schlicht mehr über sie als mit ihnen. Schade!
Besonders angesichts der Tatsache, dass es für die Wahrnehmung des
Konfliktes von zentraler Bedeutung ist, dass das Opfer des israelischen
Militärs ein zivile Bevölkerung ist, eine Bevölkerung, die zu mehr als
97% nicht bewaffnet ist. Nicht nur die Opfer sind überwiegend zivil,
auch die Sachschäden treffen überwiegend Privathaushalte und zivile
Infrastruktur.
Systematische Dehumanisierung
Aus Israel waren vier VertreterInnen von Friedens- und
Menschenrechtsgruppierungen gekommen. Ihre teilweise extrem schwierige
Arbeit, wurde von allen Anwesenden gewürdigt. Yehudith Harel
(Gush-Shalom) und Terry Greenblatt (Bat-Shalom) schilderten eindrücklich
die schwierigen Bedingungen ihrer Arbeit vor dem Hintergrund von
Medienpropaganda und perfiden Hetzkampagnen. Die brutale Durchsetzung
von militärischer Besatzung ist nach Ansicht der Frauen nur möglich,
indem innerhalb Israels aber auch in den USA und Europa eine konsequente
Strategie der Dehumanisierung der palästinensischen Bevölkerung verfolgt
wird. Wer nur noch ein "Sicherheitsrisiko" und kein Mensch mit
unveräußerlichen Rechten ist, der kann auch ohne Skrupel "beseitigt"
oder z.B. als menschliches Schutzschild benutzt werden. Die
Menschlichkeit des jeweiligen Gegners nicht auszublenden, war deswegen
ein politisches Ziel, das fast alle ReferentInnen formulierten. In
diesem Kontext kommen gemeinsamen arabisch-israelischen Aktionen -
humanitären oder politischen - eine zentrale Bedeutung zu. "We refuse to
be enemies!", der Slogan des Komitees gegen Hauszerstörung brachte die
Stimmung der ReferentInnen und ZuhörerInnen auf den Punkt. Friedliche
Koexistenz zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung, wäre zumindest
nach Einschätzung der Anwesenden ein machbare realistische Option.
Genauso bewusst waren sich, die Anwesenden aber auch der Tatsache, dass
diese Option systematisch torpediert wird - von Extremisten auf beiden
Seiten.
Wobei immer wieder betont wurde, dass die Ebene der Gewaltausübung auf
beiden Seiten differenziert betrachtet werden müsse. Auf der einen Seite
agiert das israelische Militär auf Anweisung der Regierung, missachtet
systematisch Menschenrechte und zerstört Leben und Lebensgrundlagen um
einen völkerrechtswidrige Besatzungs- und Siedlungspolitik
aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite gibt es palästinensische
Gruppierungen und Einzelperson, die ihren Befreiungskampf gegen die
Besatzung mit Mitteln der Gewalt führen. Wobei auch immer wieder darauf
hingewiesen wurde, dass auch ein - zwar prinzipiell völkerrechtlich
sanktionierter - Befreiungskampf, sich an internationale Spielregeln,
wie etwa das Kriegsvölkerrecht halten muss, und ein Attentat, das klar
Zivilisten zum Ziel hat, folglich ebenfalls ein Kriegsverbrechen darstellt.
Gewalt lässt sich nur dauerhaft beseitigen, wenn man ihre Wurzeln, ihre
Ursachen zerstört - und die Wurzel der Gewalt in Israel und Palästina,
das ist die Besatzung, an diesem Punkt waren sich alle einig. Das
Existenzrecht Israels in den Grenzen von vor 1967 und das Recht seiner
BürgerInnen auf Sicherheit, das war genauso selbstverständliche
Grundlage der Diskussion wie das Recht der PalästinenserInnen auf
Selbstbestimmung in einem eigenen Staat auf dem Gebiet der West Bank und
des Gaza-Streifens.
Transfer im Schatten des Irakkriegs?
Dass der Nahost-Konflikt ein isoliertes Phänomen sei, das glaubte von
den Anwesenden niemand. Alle stimmten darin überein, dass hier auch die
Entwicklung im gesamten Mittleren Osten sowie die weltweite Entwicklung
des sogenannten "Kampfes gegen Terror" mit einzubeziehen ist. Zentral
ist sicher der geplante Krieg gegen den Irak. Dabei kamen einerseits die
doppeltem Standards der US-Politik in den Blick, andererseits wurde
klar, dass die weitere Entwicklung der beiden Konfliktherde eng
miteinander verknüpft ist. Das Thema UN-Resolutionen spielt in beiden
Fällen eine wichtige Rolle. Im Rahmen der Konferenz zirkulierte ein
Flugblatt der US-amerikanischen "Kampagne zur Beendung der israelischen
Besatzung" auf dem 44 Sicherheitsratsresolutionen von 1967 bis 2002
aufgelistet waren, die Israel alle missachtete. Während der Konferenz
kam noch eine 45. Resolution dazu, die Israel ebenfalls für nicht
relevant erklärte. Im Bezug auf den Irak hatte Bush am 12. September
2002 in seiner Rede vor den Vereinten Nationen erklärt: "Sollen
Sicherheitsratsresolutionen eingehalten und umgesetzt werden oder können
sie missachtet werden, ohne dass dies Konsequenzen hat?" Die
Teilnehmer/innen waren sich einig, dass die Bedeutung einer Resolution
nicht danach gewichtet werden darf, welche politische Bedeutung sie im
Rahmen der US-Außenpolitik hat. Noch größer als die Entrüstung über die
offensichtliche Doppelzüngigkeit war die Angst, dass ein kommender
Irakkrieg von der israelischen Regierung als Deckmantel für eine massive
Vertreibung (euphemistisch "Transfer") der palästinensischen Bevölkerung
aus den besetzten Gebieten dienen könnte. Deswegen war folgende
politische Strategie für alle selbstverständlich, die Opposition gegen
den Irakkrieg muss konsequent mit dem Thema Israel und Palästina und den
Menschenrechten aller Menschen in der Region verknüpft werden.
In einem anderen Punkt war die Zielrichtung nicht ganz so eindeutig.
Ohne internationalen Schutz wird die Sicherheit der Palästinenser nicht
zu gewährleisten sein, so weit reichte der Konsens. Die Mehrheit (die
sich auch im Abschlussdokument durchsetzte) möchte diesen Schutz mit
UN-Truppen erreichen. Eine Minderheit (zu der auch die Schreiberin
dieser Zeilen gehört) befürchtet, dass bewaffnete UN-Truppen zwar
kurzfristig Schutz bieten, mittelfristig (vielleicht sogar langfristig)
die Situation zementieren werden, wie etwa auf den Golanhöhen oder in
Zypern zu beobachten ist.
Der Kampf um die Köpfe
Die Form der medialen Aufbereitung bestimmt die Form der öffentlichen
Wahrnehmung eines Konfliktes, das gilt überall. In Israel und Palästina
kann man diesbezüglich ein paradoxes Phänomen beobachten. Einerseits
wird der Konflikt stark international wahrgenommen, die Kameras der Welt
sind vor Ort, die Informationen sind verfügbar und die Strukturen sind
(prinzipiell) transparent. Dennoch wird die menschliche Tragödie der
Besatzung nur sehr begrenzt sichtbar. Die Bedrohung der Sicherheit der
israelischen Bevölkerung wird - zurecht - sehr ernstgenommen. Das Recht
der palästinensischen Bevölkerung auf Sicherheit und körperliche
Unversehrtheit ist selten ein eigenständig diskutiertes schützenswertes
Gut (die UN-Konferenz bildete hier ein begrüßenswerte Ausnahme). Seine
Missachtung wird - wenn überhaupt - dann nur diskutiert als Preis, der
für die Herstellung der Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu
zahlen ist. Einmal abgesehen davon, dass Sicherheit der einen Gruppe auf
Kosten der anderen Gruppe nie dauerhaft erreichbar ist, da sie nur mit
Gewalt aufrechterhalten werden kann und so ständig Gegengewalt
produziert, so zeigt diese einseitige Abwägung vor allem eines: die
Öffentlichkeit (in Israel, in den USA, in Europa) nimmt nur eine Seite
wirklich wahr, die israelische. In der Durchsetzung dieser
Wahrnehmungsstruktur hat die israelische Regierung eine wichtige
Schlacht im Kampf um die öffentliche Meinung gewonnen. Die Botschaft
heißt, es gibt keine zwei Seiten, sondern nur eine legitime Seite. Wie
in einem Mikrokosmos zeigt sich dieses Motto in der Praxis der
Hauszerstörung. Als Vergeltung für Selbstmordattentate, wegen angeblich
fehlender Baugenehmigung (die für PalästinenserInnen faktisch nicht zu
bekommen ist) oder schlicht aus "Sicherheitsgründen" werden von
israelischem Militär und Stadtverwaltungen massiv Zerstörungen
palästinensischer Häuser durchgeführt. Dies ist nach Aussagen von Jeff
Halper (israelisches Komittee gegen Hauszerstörung) mehr als die pure
Zerstörung eines Hauses, auch mehr als die Zerstörung einer Familie, es
ist die Verweigerung des Rechts auf Existenz.
Wer hat Recht?
Die öffentliche Wahrnehmung eines Konfliktes ist nicht ohne Auswirkungen
auf seine juristische Definition. Die israelische Regierung bemüht sich
konsequent die Besatzung mit einer legalen Fassade zu versehen.
Verwaltungsvorschriften und Gesetze geben dem System von
Ungleichbehandlung eine juristische Fundierung, die in vielen Fällen
auch vom Obersten Gerichtshof sanktioniert werden. Apartheitssystem
nannten das viele Teilnehmer, z.B. Na'eem Jeenah (Johannesburg), der die
südafrikanische und die israelische Politik hautnah miterlebt hat.
Staatlicher Terror wird auf diese Weise negiert und legalisiert, fasst
Jeff Harper zusammen.
Wenn USA und Israel gleichzeitig den Widerstand gegen Besatzung
erfolgreich zu Terrorismus umdefinieren, dann hat dies auch
völkerrechtliche Konsequenzen, warnte Peter Falk (Princeton University).
Wenn Rumsfeld von der "sogenannten Besatzung" spricht und sich in der
US-amerikanischen politischen Diskussion die Bezeichnung "umstrittene
Gebiete" gegenüber "besetzte Gebiete" durchsetzt, dann schafft dies in
der Konsequenz eine andere Rechtslage. So würde die Genfer Konvention
dann nicht mehr zur Anwendung kommen. Auch wenn allen klar war, dass die
USA und Israel alleine noch nicht die volle Definitionsgewalt über die
Auslegung internationaler Rechtsgrundsätze haben, so ist doch klar, dass
im Rahmen einer unipolaren Weltordnung die USA sehr nahe an einer
weltweiten Definitionshoheit sind.
Es ist wohl den sehr US-lastigen Podien (11 der RednerInnen kamen aus
den USA: UN-Funktionäre nicht mitgerechnet) zuzuschreiben, dass andere
internationale Akteure (Arabische Liga oder Europäische Union) keine
Rolle in der Diskussion spielten. Sicher ist die EU nicht der
Hauptakteur, aber auch sie trägt ihren Anteil zur Aufrechterhaltung der
Besatzung bei. Kritik an Israel z.B. wegen Zerstörung von mit EU-Geldern
gebauter Infrastruktur, zieht keine Konsequenzen nach sich und Israel
profitiert nach wie vor von EU-Handelsbegünstigungen, auch wenn die
Produkte aus den besetzten Gebieten stammen. Deutschland leistet mit
seiner Waffenhilfe an Israel und seiner Opposition zu kritischen
Positionen gegen die Besatzung innerhalb der EU einen fatalen Beitrag
zur politischen Ineffektivität der EU. Doch zurück zur Konferenz:
Die Frage, welche Bedeutung die juristische Komponente des Konfliktes
habe, zog sich durch viele Beiträge. Auch aus dem Publikum kam es immer
wieder zu Verweisen auf den Internationalen Gerichtshof (ICC) und z.B.
auf die belgischen Versuche Ariel Scharon wegen Kriegsverbrechen zu
verklagen. Peter Falk wies darauf hin, dass der ICC zwar der richtige
Platz wäre, um die juristischen Komponenten zu entscheiden, dass
tatsächliche Erfolge, wegen der US-amerikanischen Ablehnung des ICC wohl
eher über den Weg des nationalen amerikanischen Rechtes zu erreichen
seien. Auf diesem Wege wird u.a. versucht, die Auslieferung von F-16
Flugzeugen an Israel zu stoppen, da diese nach amerikanischem Recht
nicht zu Angriffen genutzt werden dürfen. Pierre Galand (Vorsitzender
des europäischen NGO Koordinationsgremiums zur Palästina-Frage) machte
aber auch deutlich, dass selbst bei juristischer Aussichtslosigkeit,
Anklagen beim ICC ein wichtiges Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit sind.
Intelligenter Widerstand!
Was die Perspektiven des Konflikts angeht, so war man sich einig, die
momentanen Strategien, die häufig genug darauf zielen, der eigenen Seite
zu nutzen, indem dem Gegner Schaden zugefügt wird, diese Strategie
schadet unweigerlich auch der eigenen Seite. Ghassan Andoni (Center for
Rapprochement, Beit-Sahour / West-Bank) brachte es auf den Punkt: viele
Menschen verwechseln die Möglichkeit, den Gegner zu verletzen mit der
Möglichkeit tatsächlich etwas zu erreichen. Ein Fehler, den besonders
das israelische Militär und die israelische Führung macht, aber auch
Selbstmordattentäter und ihre Unterstützer. Es wird entweder eine
Situation geben in der beide Seiten verlieren oder eine in der beide
gewinnen werden.
Besatzung zerstört die Rechte der Besetzten aber sie zerstört auch die
Besatzer, sie zerstört ihre moralischen Vorstellungen, ihre Werte, ihre
Normen. Wenn eine Gesellschaft über Generationen hinweg ihren
Besatzerstatus vor sich selbst rechtfertigen muss, dann erodiert auch
diese Gesellschaft, führte Ghassan Andoni aus. Um aus der Fall von
"Korrumpierung durch Macht oder Korrumpierung durch Ohnmacht" (Terry
Greenblatt) herauszukommmen empfahlen viele Aktivisten das Mittel des
gewaltfreien oder zivilen (civil-based) Widerstands. Dass ziviler
Ungehorsam durchaus die Strukturen der Besatzung wirkungsvoll angreifen
kann, das zeigten einige der vorgestellten Aktionsbeispiele.
Huwaida Arraf und Adam Shapiro (beide Aktivisten des International
Solidarity Movement) beschrieben, dass symbolische öffentliche Präsenz
ein wichtiger Schutz darstellt. Shapiro war einer derjenigen, die bei
der ersten Belagerung Arafats in seinem Amtssitz ausharrte. Arraf
berichtet von palästinensischen Demonstrationen, mit starker
internationaler Präsenz, die häufig Übergriffe der israelischen Armee
verhindern konnten. Vom Schutz palästinensischer Bauern bei der
Olivenernte, da diese sonst damit rechnen müssen von Siedlermilizen oder
Soldaten beschossen zu werden, oder von der Begleitung palästinensischer
Kinder auf ihrem Schulweg unter Bedingungen von Ausgangssperre und
Belagerung und zahlreiche andere Beispiele. All dies greift die
Besatzung dort an, wo sie am stärksten wirkt, in der Kontrolle des
öffentlichen Raumes und der öffentlichen Meinungsäußerung. An diesem
Punkt muss nach Ghassan Andoni intelligenter Widerstand ansetzen, er
muss die Kontrolle unterlaufen: durch massenhafte Präsenz auf der
Strasse auch wenn dies verboten ist, durch Benutzung von Strassen auch
wenn diese gesperrt sind. Seiner Ansicht nach ist dies zwar keineswegs
ungefährlich, aber wesentlich effektiver als zurückzuschießen, da es
sowohl die Kontrolle der Armee als auch deren Legitimation gefährdet.
Man müsse "Friede führen" mit der gleichen Entschlossenheit, mit der
Kriege geführt werden. Zusammen mit starker internationaler Präsenz
könnte so (und konnte in einzelnen Fällen bereits in der Vergangenheit)
die Besatzung wirksam herausgefordert werden.
Aber nicht nur die direkte Konfrontation stellt eine Form des
Widerstands dar, betonte Adam Shapiro, auch die vielen freiwilligen
Helfer, die Wohnungslose bei sich aufnehmen, die nachbarschaftlich
Kranke versorgen oder Kinder unterrichten, wenn durch Ausgangssperre
Krankenhäuser und Schulen nicht mehr erreichbar sind. Ziviler Widerstand
ist wirkungsvoll, das zeigten viele Beispiele und er könnte noch viel
wirksamer werden. Schade, dass die Konferenz ihren Aktionsplan
überwiegend auf Appelle und Druck auf Regierungen und UN fokussiert hat
und nicht mit gleicher Entschlossenheit einen Plan zur Stärkung zivilen
Widerstands entwickelt hat. Aber vielleicht kommt das ja noch, die
vernetzte NGO-Arbeit zum Thema Nahost muss und wird weitergehen. Die
Grundlagen dafür wurden in der Konferenz gelegt und das ist immerhin etwas.
* Claudia Haydt ist Religionswissenschaftlerin und Soziologin; Beirätin
der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. in Tübingen.
Der vorliegende Bericht erschien soeben als IMI-Analyse 2002/076
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