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"Nicht länger Sklaven"

Palästinensische Autonomiebehörde fordert Anerkennung eines eigenen Staats und zieht vor den UN-Sicherheitsrat. Israel droht mit massiven Gegenmaßnahmen

Von Karin Leukefeld *

In der Palästinensischen Autonomiebehörde ist man offenbar entschlossen, dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Antrag auf Anerkennung des Staates Palästina vorzulegen. Nach 18 Jahre hin und her im Verhandlungsprozeß habe man den Glauben an den Friedenswillen Israels verloren, sagte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat am Sonntag in Jerusalem (jW berichtete). Der UN-Sicherheitsrat solle Palästina in den Grenzen von 1967 anerkennen, mit Westbank, dem Gazastreifen und Ostjerusalem. »Wir haben diesen Friedensprozeß mit dem Ziel begonnen, eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen«, sagte Erekat. »Den Israelis muß jetzt gesagt werden, daß die internationale Gemeinschaft die Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 anerkennt.«

Auch wenn Erekat andeutete, Rußland und ungenannte europäische Staaten unterstützten den Schritt, dürfte ein solcher Antrag im UN-Sicherheitsrat nur wenige Chancen haben. Die USA würden, wie immer wenn es um Kritik an Israel geht, dagegen stimmen oder ein Veto einlegen. Israel machte umgehend klar, daß es eine einseitige palästinensische Staatsgründung in den besetzten Gebieten mit allen Mitteln verhindern werde. »Jede einseitige Aktion wird die Abkommen zwischen uns zerstören und zu einseitigen Schritten Israels führen«, drohte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Umweltminister Gilad Erian kündigte an, die Steuern für die Palästinensische Autonomiebehörde einzubehalten und mehr Kontrollposten zu errichten. Der Minister für Infrastruktur, Ozi Landao, erklärte, man werde alle Siedlungen in der Westbank und weitere besetzte Zonen annektieren. Von Mitgliedern der Arbeitspartei gab es hingegen Stimmen, die sich für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen und einen Siedlungsstopp aussprachen.

Israels Militär hält seit 42 Jahren die Westbank und Ostjerusalem besetzt. Mehr als 600 Kontrollposten schränken die Bewegungsfreiheit der Palästinenser ebenso ein, wie ein ausschließlich für Militärs und Siedler bestimmtes Straßennetz. 500000 Siedler leben illegal in ebenso illegalen Siedlungen - 300000 in der Westbank und 200000 im besetzten Ostjerusalem. Hinzu kommt die riesige Mauer, die häufig quer durch palästinensisches Gebiet führt und Dörfer und Grundbesitz zerreißt. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit hat die Besatzungsmacht Israel Fakten geschaffen, die - wenn nicht durch Verhandlungen - nur durch Krieg oder ein Abrißunternehmen beseitigt werden könnten.

Man sei nicht länger bereit, »wie Sklaven unter der Besatzung zu leben«, sagte der Abgeordnete Moustafa Barghouti, Generalsekretär der Nationalen Palästinensischen Initiative, am Sonntag in Ramallah. Der Friedensprozeß sei zwar »komplett gescheitert«, aber nichts könnte die Palästinenser davon abhalten, ihren unabhängigen Staat auszurufen. »Israel respektiert weder das Recht noch das Oslo-Abkommen, (...) warum sollte die Erklärung eines unabhängigen Staates in den Grenzen des 4. Juni 1967 mit Ostjerusalem gegen das Oslo-Abkommen verstoßen?«

* Aus: junge Welt, 17. November 2009

Letzte Meldung

Israel genehmigt 900 neue Siedlungsbauten in Ost-Jerusalem

Ungeachtet der internationalen Forderung nach einem Siedlungsstopp hat das israelische Innenministerium am 17. Nov. den Bau von 900 neuen Wohneinheiten im besetzten Osten von Jerusalem genehmigt. Die Planungskommission des Ministeriums habe eine entsprechende Erlaubnis für den Stadtteil Gilo erteilt, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Entscheidung stehe noch unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung oder könnte durch Klagen vor Gericht zu Fall gebracht werden. Nicht zuletzt die USA hatten wiederholt einen Stopp des Siedlungsbaus unter anderem in Ost-Jerusalem gefordert, um den Friedensprozess mit den Palästinensern zu retten.
Nachrichtenagentur AFP, 17. November 2009



Verzweiflungsschritt

Von Roland Etzel **

Verzweiflung und Ratlosigkeit müssen groß sein im Lager von Mahmud Abbas. Was verspricht sich der Palästinenser-Präsident davon, wie schon einmal Ende August, die Ausrufung eines Staates anzukündigen? Da er sich damit - in welcher Form auch immer - an den UNO-Sicherheitsrat wenden will, in dem bei jeder gegen Israel gerichteten Aktivität wie selbstverständlich ein US-Veto folgt, ist ein formalrechtliches Scheitern vorhersagbar. Es kann sich also nur um einen Versuch handeln, das Thema als eine der großen ungelösten weltpolitischen Fragen in der öffentlichen Diskussion zu halten und so vielleicht die strategische Initiative in der Nahostdebatte (wieder)zugewinnen.

Doch dieser Gegenstand taugt dafür schlecht. Es soll wohl die Bekräftigung der bereits 1988 durch Abbas-Vorgänger Yasser Arafat erfolgten Proklamation eines Staates Palästina sein. Damals hatte kurz zuvor Jordanien auch formell auf alle Ansprüche in der israelisch besetzten Westbank zugunsten der PLO verzichtet. Für letztere ein beträchtlicher Prestigegewinn. Auf Ähnliches kann Abbas kaum hoffen. Von ihm erwarten vor allem seine Landsleute jetzt ernsthafte Bemühungen zur Überwindung des palästinensischen Bruderzwistes mit der Hamas. Jener ist aber mit Abbas' Alleingang noch ein Stück vertieft worden.

** Aus: Neues Deutschland, 17. November 2009 (Kommentar)


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