Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Dieser Prozeß ist nicht mehr glaubwürdig"

Nahostfriedensverhandlungen blockiert. Palästinenser verlangen israelischen Siedlungsbaustopp. Ein Gespräch mit Nabil Shaat *


Nabil Shaat (72) ist Fatah-Mitglied und Parlamentsabgeordneter. Er war von 2003 bis 2005 erster Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde und PLO-Chefunterhändler.

Die Ende August 2010 von den USA initiierten Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern sind ins Stocken geraten. Wird es 2011 einen Neustart geben?

Ich glaube wirklich nicht, daß die Verhandlungen bald wieder aufgenommen werden. Dieser Prozeß ist nicht mehr glaubwürdig; eine sinnlose und lächerliche Veranstaltung. Wenn die Friedensverhandlungen nicht tot sind, dann liegen sie zumindest im tiefen Koma.

US-Präsident Barack Obama hatte zu Beginn vor der UNO-Generalversammlung in Aussicht gestellt, daß innerhalb eines Jahres ein palästinensischer Staat geschaffen wird. Was bleibt davon übrig?

Sehr wenig. Wir wissen, daß Präsident Obama an die Möglichkeit eines Friedens glaubt, der auf dem Grundsatz »Zwei Völker, zwei Staaten« basiert. Aber diese guten Absichten beißen sich mit denen einer israelischen Regierung, die den Verhandlungen faktisch jede Substanz nimmt. Obama spricht von einem palästinensischen Staat, aber die Realität sieht bekanntlich so aus, daß die israelischen Falken selbst ein dreimonatiges Siedlungsbaumoratorium abgelehnt haben. Unsere Position ist klar: Ohne einen Stopp der israelischen Kolonisierung Ostjerusalems und des Westjordanlandes sind neue Gespräche undenkbar.

Um aus der Sackgasse herauszukommen, schlägt die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton eine Rückkehr zu indirekten Verhandlungen vor. Was halten Sie davon?

Bei allem Respekt für Frau Clinton, solche Vorschläge sind vollkommen sinnlos. Das ist so, als wolle man beide Augen vor der Wirklichkeit verschließen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu würde darauf antworten, daß Sie eine rigide Position vertreten ...

Rigide? Wir haben gegenüber Obamas Gesandten betont, daß wir einem zweimonatigem Moratorium zustimmen würden, um in diesem Zeitraum zu versuchen, eine Einigung über die Grenzen zu erzielen. Was verlangt man denn noch von den Palästinensern? Die gewaltsamen Übergriffe der Israelis stumm zu akzeptieren?

Worauf beziehen Sie sich im einzelnen?

Auf die fortschreitende Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Jerusalem und den geplanten Bau Tausender weiterer Wohnungen in den jüdischen Kolonien in der Westbank. Die US-Administration beklagt dies verbal. Aber was zählt, sind konkrete Taten. Druck, der die Regierung Netanjahu zum Einlenken veranlaßt hätte. Genau der wurde aber nicht mit der nötigen Entschlossenheit ausgeübt.

Die Autonomiebehörde hat nun auf internationaler Ebene eine diplomatische Offensive gestartet. Worin besteht sie?

In der Forderung an die einzelnen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, den Staat Palästina in den Grenzen von 1967 anzuerkennen. Wir haben bereits positive Antworten darauf bekommen, zum Beispiel von Brasilien. Den Appell richten wir aber auch an die EU und die einzelnen europäischen Staaten. Sie können im Mittleren Osten eine Vorreiterrolle spielen und müssen sich nicht auf die Rolle von Gehilfen der USA beschränken. Dazu gehört jedoch der Mut, es beim Namen zu nennen, wer heute den Friedensprozeß sabotiert.

Zu den Forderungen der Autonomiebehörde gehört auch der Stopp des Baus der »Mauer« im Westjordanland. Für Israel bleibt das aber eine Sicherheitsbarriere gegen den Terrorismus. Wie ist hier eine Einigung möglich?

Eine Mauer als defensiv zu bezeichnen, die Israel auf palästinensischem Gebiet errichtet hat, ist eine Provokation und eine Beleidigung, weil es keine Verteidigungsmaßnahme, sondern eine Annexion ist, wenn man Zäune im Garten des Nachbarn zieht. Und als solche muß sie angeprangert und bekämpft werden.

Interview: Umberto De Giovannangeli

* Erschienen am 20.12.2010 in der italienischen Tageszeitung l’Unità. Übersetzung: Andreas Schuchardt.

Aus: junge Welt, 28. Dezember 2010



Zurück zur Palästina-Seite

Zur Nahost-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage