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Auch faire Oliven brauchen Wasser

Palästinensische Bauern versuchen in Kooperativen, dem Landraub durch israelische Siedler zu trotzen

Von Martin Lejeune, Kira *

2003 haben sich in Palästina 64 Kleinbauern zusammengeschlossen, um neben fairem Olivenöl zu produzieren, sich selbst besser gegen Land- und Wasserraub von israelischen Siedlern zu schützen.

Von Leidenschaft durchdrungen erntet Ashraf in diesem Herbst auf seiner kleinen Olivenbaumplantage. »Diese Olivenbäume sind über 2000 Jahre alt«, erzählt der palästinensische Bauer stolz. »Unter einem von ihnen könnte schon Jesus Schatten gefunden haben.« Ashraf Aqer, 41-jähriger Olivenbauer aus dem Dorf Kira bei Salfit im Norden des Westjordanlandes, verbindet eine innige Beziehung zu seinen Olivenbäumen.

Für Palästinenser hat der Olivenbaum eine besondere Bedeutung. Dies bezeugen die vielen Gedichte, Lieder und Sprichworte, die sich um den Olivenbaum drehen und seine schwarzen und grünen Früchte preisen. Ein palästinensisches Sprichwort besagt: »Das Olivenöl ist das Fundament des Hauses.« Die Olivenernte jedes Jahr im Oktober hat Volksfestcharakter in Palästina. Dies fängt damit an, dass die Erntetermine im Radio, Fernsehen und in der Zeitung bekannt gegeben werden und die Schüler bis zu vier Tage vom Unterricht frei gestellt werden, wenn sie ihren Eltern bei der Ernte helfen. Fast jeder Palästinenser hat im Laufe seines Lebens schon einmal bei der Olivenernte geholfen, die am Ende des Tages in einem Familien-Picknick unter dem Olivenbaum mündet.

Auch für Ashraf ist die Olivenernte die schönste Zeit des Jahres. »Ich freue mich schon beim Ernten auf den Geruch des frisch gepressten Olivenöls«, beschreibt Ashraf seine Vorfreude auf die Erntezeit. Ashraf besitzt drei Hektar Olivenhaine auf fünf Felder verteilt, die er von seinem Vater geerbt hat. Bei Salfit wird seit dem vierten Jahrtausend vor Christus der Olivenbaum als Nutzpflanze kultiviert.

Ashraf ist ein Kleinbauer, der sich 2003 mit 63 anderen Kleinbauern aus der Region zu einer Kooperative zusammengeschlossen hat. Als Gruppe können die Bauern ihr Öl besser vermarkten und sich gemeinsam eine eigene Olivenpressmühle leisten. Durch die eigene Mühle können die Bauern der Kooperative nun selber bestimmen, wann sie die Oliven pressen wollen. »Das Timing ist das A und O bei der Ölherstellung«, weiß Ashraf. »Man muss die Oliven direkt am Tag der Ernte pressen, um die beste Qualität zu erzielen und das Öl als ‚Extra Virgin‘ bezeichnen zu dürfen.« Mit der eigenen Mühle kann die Salfit-Kooperative seither eine »Extra Virgin«-Pressung unabhängig planen.

Ein weiterer Vorteil des Zusammenschlusses ist das dadurch entstandene soziale Netz. Da die gesamten Einnahmen von einer Erntesaison durch alle Mitglieder der Kooperative geteilt werden, kann auch die Missernte eines einzelnen Bauern kompensiert werden. Gemeinsam wollen sich die Bauern auch effektiver vor dem Land- und Wasserraub durch israelischen Siedler schützen. »Zwar brauchen Olivenbäume nur wenig Wasser, aber etwas Wasser brauchen sie. Und dieses Wasser wird uns durch die Siedler abgegraben«, erläutert Ashraf. Die israelische Landenteignung kann jedoch auch die Salafit-Kooperative nicht aufhalten: »Die Hoffnung, dass wir als Gruppe besser Widerstand gegen die Siedler leisten können, bleibt«, begründet Ashraf seine Teilnahme am Verbund.

Seit Ende 2009 wird das Olivenöl der Salfit-Kooperative durch FLO-CERT in Bonn weltweit als Fairtrade-Produkt zertifiziert. Bei dieser Fairhandelsbewegung können keine einzelnen Bauern teilnehmen, sondern nur Vereinigungen wie die Salfit-Kooperative. FLO-CERT überprüft gegen eine Gebühr als Zertifizierungsstelle die Standards für fairen Handel.

FLO-CERT zertifiziert von Bonn aus alle Beteiligten, durch deren Hände das Olivenöl der Salfit-Kooperative auf seinem Weg vom Produzenten zum Endverbraucher wandert. Fairer Handel unterliegt bei Importen aus Nicht-EU-Ländern wie Palästina jedoch den gleichen Zöllen und Einfuhrbeschränkungen wie jeglicher andere Warenhandel.

Ghassan Hamit (Name geändert) arbeitet als Subunternehmer von FLO-CERT im Westjordanland. Heute inspiziert er gerade Ashrafs Hof in Kira und schaut sogar in die Protokolle der letzten Vollversammlung der Kooperative. Durch solche Betriebsbesichtigungen und in Interviews mit den Bauern prüft Hamit, ob deren Produktionsabläufe mit den Standards von FLO-CERT übereinstimmen. »Meiner Meinung nach erfüllt Ashrafs Kooperative die geforderten Standards. Diese Ermittlungsergebnisse leite ich nun nach Bonn weiter«, erklärt Hamit.

Die 850 Bauern der Beit Jala-Kooperative im Süden des Westjordanlandes haben sich gegen eine Zusammenarbeit mit FLO-CERT entschieden. Der Fairtrade-Mindestpreis, den Olivenbauern im gesamten Westjordanland erhalten, beträgt rund vier Euro pro Kilo Olivenöl. Der lokale Marktpreis in Beit Jala liegt allerdings bei acht Euro. Deshalb ist es für die Olivenbauern aus Beit Jala lukrativer, ihr Öl direkt auf dem lokalen Markt ohne Fairtrade-Siegel zu vertreiben. Ein Bauer der Beit Jala-Kooperative, der größten und ältesten Agrarvereinigung des Westjordanlandes, sagt im Gespräch mit »nd«, dass man daher auch in Zukunft für das Olivenöl keinen Zertifizierungs-Antrag bei FLO-CERT stellen wolle. Obwohl man die Fairtrade-Strukturen grundsätzlich gut finde und das Label der Salafit-Kooperative ein besseres Image verschafft habe, so der Bauer, beuge man sich dem Trend des in den letzten fünf Jahren stark angestiegen Ölpreises. Der Preis steigt, weil die Nachfrage das durch den Landraub sinkende Angebot bei weitem übersteigt. Im Prinzip gibt es bei den Palästinensern keine Speise, die ohne Olivenöl zubereitet wird. »Ursächlich für den Landraub ist die Politik der Besatzungsarmee, die immer mehr Land für den Anbau von Olivenbäumen enteignet, die Olivenbäume auf dem noch verbliebenen Land in immer größerer Zahl zerstört und den übrig gebliebenen Bäumen das Wasser abgräbt.«

* Aus: neues deutschland, 22. November 2011


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