Die Intifada richtet sich nicht nur gegen Israel
Auch das Regime Arafat im Visier - Kritik am Oslo-Abkommen
Unter der Überschrift "Wut auf die Oslo-Klasse. Der Aufstand der Palästinenser gegen Arafat und Israel" veröffentlichte der palästinensische Journalist Said Ghazali eine Analyse über das Nahostproblem, das nicht nur die israelische Besatzungspolitik, sondern auch die zweilichtige Politik Arafats und seiner Vertrauten kritisiert. Die Radikalität der Massen, die sich an der neuerlichen Intifada beteiligen, macht auch vor den Führern der Autonomiebehörde nicht Halt. Das macht die Aussichten auf eine schnelle Lösung nicht unbedingt besser. Die Kritik am Führungsstil Arafats signalisiert aber eine ursprünglich demokratische Komponente, die sich für die Zukunft bezahlt machen könnte.
Wir dokumentieren den Beitrag - er erschien in der Frankfurter Rundschau - in einer gekürzter Fassung.
Mit gesenkter Stimme erzählen Palästinenser gelegentlich diesen Witz. Ein
Vertreter der PLO besuchte einst einen Minister in Indonesien. Der lud ihn ein in
sein luxuriöses Appartement. Während sie es sich dort gut gehen ließen, fragte
der Palästinenser: "Wie hast Du es nur angestellt, an ein so tolles Haus zu
kommen?" Worauf der Indonsier antwortete: "Sieh durch das Fenster. Kannst Du
die Brücke dort sehen. Ich habe von ihrem Budget zehn Prozent abgezweigt."
Nachdem die PLO und Israel das Friedensabkommen von Oslo unterzeichnet
hatten, wurde der PLO-Vertreter Minister der Palästinensischen
Autonomiebehörde. Er war verantwortlich für eines der Monopole für Kraftstoff,
Zement und Tabak, den Import und Export und die großen Infrastruktur-Projekte.
Der indonesische Minister machte schließlich einen Gegenbesuch in der nun
ebenfalls luxuriösen Villa in Gaza-Stadt. "Wie hast Du Dir all diese
Annehmlichkeiten verschaffen können?" Der Vertreter der Palästinenser lächelte:
"Komm und sieh' durch das Fenster. Kannst Du die Brücke am Horizont sehen?"
Der Indonesier starrte und sah nichts: "Dort befindet sich keine Brücke", sagte er.
"Das ist vollkommen richtig, dort ist keine Brücke, weil ich von ihrem Budget 100
Prozent abgezweigt habe."
Der Witz verdeutlicht, warum die Palästinenser zum zweiten Mal innerhalb von
weniger als dreizehn Jahren einen Aufstand machen. Israels ehemaliger
Premierminister Yitzhak Rabin hatte harte Zeiten mit der ersten Intifada zwischen
1987 und 1993. Er versuchte sie mit scharfer Munition, Gummimantelgeschossen
und harten Gefängnisstrafen niederzuschlagen. Er ließ die Knochen der
palästinensischen Steinewerfer brechen. Und doch hatte er keinen Erfolg, die
Intifada zu beenden. Das schaffte erst das Abkommen von Oslo. Doch jetzt ernten
die Palästinenser und die Israelis das, was Rabin und Schimon Peres gesät
haben: mehr Bombenanschläge und erneute Unsicherheit für die Israelis sowie
verstärkte Abriegelung, Besiedlung, Landnahme, eine verheerende Wirtschaftslage
und ein diktatorisches Regime für die Palästinenser.
Dagegen erheben sich die Palästinenser. Das israelische Volk aber erwacht nicht
aus seinem Schlaf. Es glaubt noch immer, dass die Intifada durch Gewalt
bezwungen werden kann und dass PLO-Chef Yassir Arafat vor allem ein
Handlanger in Sachen Sicherheit für Israel sein sollte. Beinahe sieben Jahre hat es
gebraucht seit dem Friedensprozess von Oslo, um dessen kosmetische
Verpackungen abzuschälen. Denn die Wahrheit ist, dass Oslo die Okkupation
aufrecht erhalten hat. ... Die Palästinenser haben
ihre Bewegungsfreiheit eingebüßt. Mehr Siedlungen wurden gebaut und mehr Land
ist beschlagnahmt worden. Mehr Häuser wurden zerstört. Mehr Menschen getötet -
auf beiden Seiten.
Während dieser Jahre von Oslo haben die Israelis mehr Bomben bekommen und
wir mehr Bulldozer. Bombenterror ist schrecklich und kann nicht geduldet werden.
Aber die Bulldozer sind ebenfalls furchtbar. Israel hat die Verantwortung für die
Ur-Sünde zu übernehmen, begangen am palästinensischen Volk im Jahre 1948,
und muss die Prinzipien eines wahren Friedens akzeptieren. ...
Die Verwaltung für israelische Angelegenheiten in unserem Außenministerium
sollte die größte Abteilung bilden, größer noch als die für die Beziehungen mit
Syrien und Jordanien. Wir wollen von Israel Demokratie lernen. Wir möchten
unseren Kinder den Umgang mit dem Internet beibringen, sie selbstständig denken
lehren. Wir sind menschliche Wesen, kein grausames Volk. Und Israel kann uns
nicht beiseite schaffen. Die Medien behaupten, Oslo bedeute Frieden. Das ist
falsch. Wegen Oslo haben wir jetzt einen Krieg. Doch Ehud Barak und Yassir
Arafat mangelte es an Courage, das Ableben von Oslo zu erklären. Die
Schlüsselfrage lautet: Ist Arafat in der Lage, die Intifada zu stoppen? Absolut nicht.
Jeder Palästinenser ist wütend auf die Oslo-Klasse. Jeder Palästinenser ist wütend
auf die israelische Politik, die Praktiken in der Westbank und im Gazastreifen.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Die korrupten Beamten und die gewinnsüchtigen
Intellektuellen auf beiden Seiten sprechen von Oslo als einem großen Projekt.
Niemand bringt den Mut auf, sich gegen das Unrecht auszusprechen, das den
Palästinensern durch Israel und die Autonomieregierung angetan wurde.
Israel weigert sich, den Palästinensern ein souveränes Gebilde auf dem
Jordanwestufer zu überlassen. Stattdessen bietet es kosmetischen Ersatz an: So
kann Arafat über einen roten Teppich schreiten und sich von der ganzen Welt Mr.
President nennen lassen. Gestattet werden ihm auch Lobhudler, die
Unabhängigkeitszeremonien auszurichten verstehen. Mag er die bevölkerten
Gebiete in Westbank und Gaza, die sich unter seiner Kontrolle befinden, zu einem
Reich erklären. Der Jordan wird unter der Kontrolle Israels verbleiben. Arafat kann
dann einen Staat ausrufen, in dem Siedlungen im Herzen der Westbank und des
Gaza-Streifens wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Den
Sicherheitsansprüchen der Israelis aber soll Arafat Genüge tun.
Sicherheitsbedürfnisse der Palästinenser sind kein Thema. Hauptsache, Arafat
entwaffnet oder inhaftiert die Tansim-Mitglieder.
Es ist Zeit, dass Israel aus seinem über drei Jahrzehnte währenden Schlaf
aufwacht und beginnt, die Palästinenser als Menschen zu sehen, die in Würde und
Unabhängigkeit leben wollen. Rund 40 Prozent von Gaza haben Siedler besetzt.
Der Gaza-Streifen ist dreiseitig von einem elektrischen Zaun der Israeli
eingeschlossen, auf der vierten Seite, der Seeseite, patroullieren israelische
Schiffe. Die Westbank hat man in kleine Teile zerschnitten, schlimmer als die
"bantustans" (Anm. der Red.: südafrikanische Homelands-Siedlungen). Bethlehem,
Hebron, Nablus, Jenin, Tulkarm und nahezu 500 Dörfer wurden in Käfige
verwandelt. Denn Arafat akzeptierte die Unterschrift unter ein Abkommen, ohne
darauf zu bestehen, dass einer weiteren Expansion der Besiedlungen Einhalt
geboten würde. ...
... Diese Intifada ist der Versuch, der ganzen Welt klar
zu machen: Genug ist genug. Ihr habt unsere Nasen in den Schlamm gedrückt. Ihr
habt unser allmähliches Sterben ignoriert.
Die Palästinenser benötigen keinen weiteren präsidialen Erlass, wie ihn etwa Arafat
1998 ausgegeben hat. Diesem Gesetz zu Folge kann Arafat mich schon deshalb
verhaften lassen, weil ich soeben gegen Oslo geschrieben habe. Er benutzt den
Paragraphen 74 des palästinensischen Strafgesetzbuches aus dem Jahr 1936,
herausgeben von den Britischen Mandatsbehörden, um den palästinensischen
Widerstand zu bestrafen. Der Paragraph wurde 1948 von den Israelis zu denselben
Zwecken übernommen. Krieg ist die Option des Scheiterns. Frieden jedoch
bedeutet, dass wir lernen müssen, wie wir auf Dauer miteinander als zwei
souveräne Nationen im historischen Land Palästina leben können.
(Aus dem Englischen von
Christian Thomas.
Aus: Frankfurter Rundschau, 16. Dezember 2000
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