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Jerusalem so nahe wie möglich kommen

Heute beginnt ein »Globaler Marsch« zur Solidarität mit den Palästinensern

Von Norman Paech *

Heute (30. März) beginnt der Marsch aus fünf Kontinenten nach Jerusalem. Die internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen so nahe wie möglich an Jerusalem herankommen.

Sie haben den heutigen »Tag des Bodens« gewählt, um gegen den permanenten Landraub zu protestieren und das langsame Verschwinden Ost-Jerusalems als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates zu verhindern. Unmittelbar nach dem Angriff auf den Gaza-Streifen zur Jahreswende 2008/2009 sagte man mir dort: Viel schlimmer als die zahlreichen Toten und furchtbaren Zerstörungen in Gaza ist die langsame Enteignung Jerusalems, das Verschwinden dieser auch für Muslime heiligen Stadt von der palästinensischen Landkarte. Das ist ein direkter Angriff auf das Herz der Palästinenser, ihre historische und politische Identität. Ruinen können beseitigt und Häuser wieder aufgebaut werden. Aber eine verschwundene Stadt ist verloren.

Ungefähr 284 000 Palästinenser leben heute in Ost-Jerusalem. Hinzugekommen sind - gegen alles internationales Recht - etwa 200 000 jüdische Siedler, 1948 waren es 2300. 35 Prozent von Ost-Jerusalem sind für jüdische Siedlungsprojekte konfisziert worden, nur 13 Prozent für palästinensische Bauvorhaben vorgesehen, für die nur in seltenen Fällen Baugenehmigungen erteilt werden. Nach UNO-Angaben fehlt 33 Prozent aller palästinensischen Wohnungen in Ost-Jerusalem eine Baugenehmigung, das heißt, dass etwa 93 100 Bewohnern der Verlust ihrer Wohnung droht. Seit 1967 haben israelische Behörden bereits über 2000 Häuser zerstört und 14 000 Einwohnern die Aufenthaltserlaubnis entzogen.

Derzeit konzentrieren sich die Zerstörungen und Vertreibungen auf die Altstadt, die Bezirke Silwan, Beit Hanina und Sheikh Jarrah. Das Ziel ist klar: die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus ihrer Stadt, um sie durch jüdische Bewohner zu ersetzen. Dafür gibt es ein hässliches Wort: ethnische Säuberung. Seit 1948 wurde sie von allen israelischen Regierungen praktiziert.

Doch damit nicht genug. Jerusalem - nach wie vor der Fokus palästinensischen politischen, ökonomischen, religiösen und kulturellen Lebens - wird systematisch durch physische oder administrative Schikanen von den besetzten Gebieten im Westjordanland abgeschnitten. Die etwa 3,7 Millionen Palästinenser, die dort leben, können ohne israelische Erlaubnis Jerusalem nicht betreten. Bekommt jemand eine der sehr seltenen Genehmigungen, so kann er nur vier der insgesamt 16 Checkpoints durch die Mauer benutzen. Das gilt für die 55 000 Palästinenser Ost-Jerusalems, die aber durch die Mauer vom Zentrum abgeschnitten sind, ebenso wie für Patienten, die auf eine medizinische Behandlung in Ost-Jerusalem angewiesen sind, die es in den besetzten Gebieten nicht gibt.

Ost-Jerusalem wird langsam erwürgt, seinen Bewohnern »nahegelegt«, die Stadt zu verlassen, wenn nötig, wird mit Siedlergewalt nachgeholfen. Deshalb geht der Globale Marsch nach Jerusalem, um auf die bedrohte Situation der im Ostteil lebenden Palästinenser und den strategischen Landraub der israelischen Regierung aufmerksam zu machen. Die wenigsten werden die Stadt erreichen, da sie schon an den Grenzen Israels abgewiesen werden.

Ihnen wird es genauso ergehen wie der Kommission des UN-Menschenrechtsrates, die beauftragt worden ist, die Auswirkungen der Siedlungspolitik auf die Palästinenser in den besetzten Gebieten zu untersuchen. Mit wütenden Vorwürfen über die israelfeindliche Grundhaltung des Menschenrechtsrates, in dem Israel nicht Mitglied ist, haben Netanjahu und Lieberman die Zusammenarbeit mit ihm aufgekündigt und die Einreise der Kommission untersagt.

Nur die USA hatten in dem Genfer Rat gegen die Mission gestimmt - seit Jahren nun schon der einzige Schutzschild, hinter dem dieses gefährliche Regime seine Kriegs- und Besatzungspolitik gegen alle Regeln des internationalen Rechts und der politischen Moral führen kann. Ein dennoch fragiles Bündnis, das plötzlich zerbrechen kann, da es über keine Legitimation, sondern nur eine Lobby verfügt.

* Norman Paech war von 2005 bis 2009 außenpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag und ist Mitglied im Internationalen Beirat des »Globalen Marsches nach Jerusalem«.

Aus: neues deutschland, 30. März 2012



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