Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

An der Grenze gefangen

Zwischen dem Gazastreifen und Ägypten sitzen Tausende Menschen in der Wüste fest. Trotz Dutzender Toter wird Palästinensern Einreise verweigert

Von Mohammed Omer, Rafah *

Der Gazastreifen ist weiterhin isoliert. Seit die gewählte Hamas-Regierung die von Israel und den USA unterstützte Fatah-Miliz daran gehindert hat, das Gebiet militärisch einzunehmen, sind alle Grenzübergänge geschlossen. 1,5 Millionen Palästinenser sind von der Außenwelt abgeschnitten. Die Beobachter der EU wurden abgezogen. Schätzungsweise 8000 Palästinenser sind in Ägypten gestrandet, und einige Tausende warten auf der anderen Seite der Grenze darauf, Gaza zu verlassen. Selbst Schwerkranke, die in Ägypten oder Jordanien behandelt werden sollen, dürfen die Grenze nicht passieren. Zwar wurde zwei Gruppen von je mehreren hundert Personen die Einreise in den Gaza­streifen gewährt, aber Tausende blieben zurück. Unter strikter Kontrolle durch Israel riegeln Sicherheitskräfte der palästinensischen Verwaltung gemeinsam mit dem ägyptischen Militär die Grenze ab.

Die Zustände auf beiden Seiten der Demarkationslinie sind katastrophal. Unter der sengenden Hitze in der Sinaiwüste, ohne Schatten, Wasser, sanitäre Anlagen, Lebensmittel und Unterkünfte führen ganze Familien einen alltäglichen Überlebenskampf. 16 Babys sind unter diesen Bedingungen in den vergangenen Wochen zur Welt gekommen. Frühgeborene haben ohne minimale medizinische Versorgung kaum eine Überlebenschance. Die israelische Bürokratie sorgt für weitere Erschwernisse. Weil die Neugeborenen weder in Gaza noch in einem Krankenhaus zur Welt gekommen sind, werden für sie keine Geburtsurkunden ausgestellt. Damit gibt es für diese Kinder auch keinen Nachweis. Doch der ist für die Einreise nach Gaza notwendig.

Ägyptische Mediziner bestätigen, daß 30 der Wartenden mittlerweile gestorben sind, die meisten davon am einzigen internationalen Grenzübergang Rafah. Al Mezan vom regionalen Menschenrechtszentrum bezeichnet die Grenzschließung als »Kollektivstrafe, die Israel unter völliger Mißachtung der Menschenrechte als politische Waffe gegen die Palästinenser einsetzt«.

Sana Shanan, eine 27jährige Mutter dreier Kinder aus dem Jabalya-Flüchtlingslager, starb an der Grenze, als sie nach einer erfolgreichen Operation aus Ägypten zu ihrer Familie in Gaza zurückkehren wollte. »Reiß die Grenzmauer ein, damit ich meine Kinder noch einmal sehen kann«, habe sie ihren Mann vor ihrem Tod gebeten – vergebens.

Wer auf der palästinensischen Seite der Grenze verharrt, wird zumindest von Verwandten versorgt. Auf der ägyptischen Seite aber sind die finanziellen Problem enorm. Jede Familie erhält von den Behörden einmalig maximal 100 US-Dollar für Nahrung, Wasser und sonstige Dinge des alltäglichen Bedarfs. Das Almosen reichte nur für wenige Tage, während der erzwungene Aufenthalt am Grenzübergang bereits in den zweiten Monat geht. Um wenigstens etwas Nahrung und Getränke beschaffen zu können, verkaufen die Palästinenser Gepäck, Uhren und sonstige Wertgegenstände. Toiletten suchen sie in den Wohnhäusern oder Geschäften nahe der Grenze auf. Geschlafen wird auf der Straße, in Gärten oder wo immer eine geschützte Ecke zu finden ist.

Haaretz, die größte israelische Tageszeitung, berichtete unlängst, der palästinensische Präsident Abbas habe Israel gebeten, die Grenze geschlossen zu halten. Sein Medienberater Nabil Abu Rudieneh wollte das nicht bestätigen: »Diese Berichte entsprechen nicht der Wahrheit«.

In einem Telefoninterview sagte Sari Bashi, Vorsitzende der israelischen Menschenrechtsgruppe Gisha, zur Schließung des Grenzübergangs von Rafah: »Israel kontrolliert Gazas Luftraum und die Küstengewässer, und es übt auch eine strikte Kontrolle über die Grenze Gazas zu Ägypten aus.« Wenn den Einwohnern von Gaza ein Leben in Würde verweigert werde, wenn sie daran gehindert würden, ein normales Leben zu führen, zu arbeiten und für ihre Familien zu sorgen, »verstößt Israel damit gegen das humanitäre Völkerrecht, gegen die Menschenrechte und seine eigenen Gesetze«. Der Versuch, die Hamas zu schwächen, indem man 1,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder bestrafe, sei kontraproduktiv, so Bashi: »Die einfachen Bewohner von Gaza sind die Leidtragenden.«

Übersetzung: Jürgen Heiser

* Aus: junge Welt, 2. August 2007


Zurück zur Palästina-Seite

Zur Gaza-Seite

Zurück zur Homepage