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Millionen im Freiluftgefängnis

Gazastreifen: Seit 500 Tagen Totalabriegelung

Von Johannes Zang, Ramallah *

Abriegelungen der palästinensischen Gebiete durch Israel gibt es schon so lange wie die israelische Besatzung: 41 Jahre. Seit März 2006 durfte zum Beispiel kein palästinensischer Arbeiter mehr den Gazastreifen in Richtung Israel verlassen –früher waren es Zehntausende, die täglich nach Tel Aviv und Ashkelon pendelten. Doch seit fast 500 Tagen ist die Blockade noch verschärft worden. Seit den blutigen Hamas-Fatah-Bruderkämpfen, genauer seit dem 12. Juni 2007, hält Israel alle Grenzen geschlossen, auch die zu Ägpyten. Seitdem dürfen nur noch Händler, Mitarbeiter humanitärer Organisationen sowie Todkranke nach vorheriger Absprache mit israelischen Stellen nach Israel, ins palästinensische Westjordanland oder ins Ausland reisen. Über 100 Palästinenser sind bereits verstorben, weil Israel ihnen entweder die Ausreise verweigerte oder den Passierschein zu spät ausstellte.

Seit diesem Tag läßt Israel nur die Einfuhr humanitärer Güter in den Gazastreifen zu, und auch das nicht immer. Gleiches gilt für Treibstoff, Benzin und Diesel – viele Krankenwagen und Müllabfuhrfahrzeuge stehen still. Seit Anfang August 2008 hat etwa das Kommunale Küsten-Wasser-Versorgungsunternehmen CMWU seine reguläre Diesellieferung nicht erhalten –hier ist, zumindest laut UNO-Agentur OCHA, allerdings die »interne palästinensische politische Spaltung zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah und der Regierung in Gaza« schuld. Ohne Diesel aber können weder Brunnen noch Abwasserpumpanlagen und -saugfahrzeuge laufen. Eine der Folgen: Mehr als eine viertel Million Menschen leiden unter Wassermangel, vor allem in Rafah und Joher El Deak – dort fließt Wasser nur alle fünf Tage für vier bis sechs Stunden.

Exportieren durften seit Juni 2007 weder Möbelfabrikanten noch Tomatenbauern, weder Kekshersteller noch Nelkenzüchter. Lediglich an einigen Tagen im vergangenen Dezember hat Israel Erdbeerbauern die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse erlaubt. Von etwa 4000 Fabriken im Gazastreifen haben schon über 3900 schließen müssen, 140 000 Arbeiter und Angestellte sitzen auf der Straße.

Seit sieben Wochen protestieren Lehrer und Angehörige des Verbandes medizinischen Personals im Gaza-Streifen gegen die Abriegelung. Während der Betrieb der Krankenhäuser nach wie vor gewährleistet ist, erschienen nur 53 Prozent der Lehrer in ihren Schulen, vermeldet OCHA.

Der am 19. Juni in Kraft getretene Waffenstillstand hat zwar einen deutlichen Rückgang der Gewalt gebracht, doch halten sich beide Seiten nicht an die Waffenruhe. Etwa einmal pro Woche wird eine Rakete auf israelisches Gebiet abgefeuert, und erst am 6. Oktober nahmen israelische Patrouillenboote palästinensische Fischerboote unter Feuer, wobei ein Fischer verletzt wurde.

* Aus: junge Welt, 17. Oktober 2008


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