Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hilferufe aus der Klinik

Ein Jahr nach Beginn der Blockade des Gazastreifens durch Israel: Krankenhäuser vor dem Exitus

Von Nora Barrows-Friedmann (IPS), Jebaliya/Gazastreifen *

Der neue Flügel des Al-Awda-Krankenhauses erstrahlt in hellem Glanz. Hier stehen Ärzte, Pfleger und Verwaltungsangestellte bereit, um den rund 300000 palästinensischen Flüchtlingen, die im Jebaliya-Camp im nördlichen Gazastreifen Schutz gefunden haben, Nothilfe zu leisten. Doch die Stationsbetten sind leer –nicht nur, weil es an Matratzen fehlt, sondern auch an Infusionsbeuteln, Herzmonitoren und anderen entscheidenden medizinischen Geräten. Das dringend notwendige Equipment steckt infolge der israelischen Blockadepolitik in Ramallah im Westjordanland fest. »Im vergangenen Jahr haben sich die Anforderungen an unsere Klinik verdreifacht«, berichtet die Krankenhausmitarbeiterin Nehal Mehanna.

Israel lasse nicht zu, daß bestimmte medizinische Geräte die Checkpoints passierten, meint sie weiter. So warte die Klinik seit sieben Monaten auf Operationstische, die jedoch am Erez-Kontrollposten nicht durchgelassen würden. Erez ist nur eine Autostunde von der Klinik entfernt. »Manchmal erreicht uns Nachschub über das Rote Kreuz«, so Mehanna. »Die Auslieferung ist ein komplizierter Vorgang, und jeder Schritt muß von den israelischen Behörden abgesegnet werden.«

Ärzten zufolge hat der Mangel an Equipment und Medikamenten seit der Blockade vor einem Jahr den Tod von mindestens 180 Patienten verursacht. Für viele Palästinenser, die an Krebs, Herzkrankheiten, Nierenschäden und anderen Gebrechen leiden, wird es eng, wenn Israel die für sie lebenswichtigen Medikamente und Geräte nicht durchläßt. Patienten sehen sich nun verstärkt genötigt, sich medizinische Hilfe außerhalb der besetzten Gebiete – in Israel und Ägypten – zu suchen. Doch seit der Blockade bleibt selbst den Kranken, die eine schriftliche Genehmigung vorweisen können, der Weg aus dem Gazastreifen versperrt. Auch dies führte zu zahlreichen Todesfällen.

»Wir tun, was wir können«, versichert Mehanna. Doch ohne die nötige medizinische Ausstattung seien die Chancen gering, Leben zu retten. »Unsere Narkosemittel reichen nur noch für höchstens drei Wochen«, klagt der Anästhesist Akram Naffar. »Ich weiß nicht, was wir machen werden. Wir planen von Tag zu Tag.« Sollte es erneut zu einem israelischen Angriff kommen, werde es schwierig werden, die neuen Notfälle adäquat zu versorgen.

Riyad al-Adassi von der Gewerkschaft der Ärzte und Pflegekräfte in Gaza-Stadt, beklagt, daß der Kampf ums Überleben für die Menschen im Gazastreifen immer härter wird. »Wir leben in einem Dschungel und tun alles, um zu überleben. Wir alle sind frustriert und stehen unter einem ungeheuren Druck. Wer ist verantwortlich dafür, wenn es knallt? Wohl diejenigen, die die Schlüssel zu den besetzten Gebieten besitzen.«

* Aus: junge Welt, 17. Juni 2008


Zurück zur Palästina-Seite

Zur Gaza-Seite

Zurück zur Homepage