Ägypten wegen Gaza in der Zwickmühle
Regierung in Kairo muss erhebliche Konsequenzen für die Lage im eigenen Land fürchten
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *
Ägypten in der Zwickmühle: Die Lage im Gazastreifen droht auf die politische Situation dort
abzufärben, während Israel fordert, das Nachbarland solle umgehend die Grenze sichern, denn man
hat Angst vor einer neuen Terrorwelle.
Fünf Tage hat es gedauert, bis ägyptische Grenzschützer am Samstag damit begannen, die Grenze
zum Gazastreifen zu sichern. Bewaffnet mit Schlagstöcken und unterstützt von Wasserwerfern,
bildeten die Polizisten Ketten, um die vielen tausend Palästinenser aufzuhalten, die ins Land
kommen wollen, um einzukaufen oder Verwandte und Freunde zu besuchen.
Es ist ein gefährliches Unterfangen, dass die Regierung in Kairo da auf sich nimmt, und das nicht
nur, weil sich die Emotionen an der Grenze schnell gegen die Beamten wenden könnte, sondern
auch und vor allem, weil ein zu entschiedenes Vorgehen Auswirkungen auf die innenpolitische Lage
in Ägypten haben könnte:
Denn in dem diktatorisch regierten Staat ist vor allem in den ländlichen Gebieten und den
Elendsvierteln der Großstädte die radikalislamische Opposition um die Moslembruderschaft, einer
Massenorganisation deren Ideologie und Agieren denen der Hamas ähnlich sind, stark, und die
Lage in Gaza, so die Befürchtung der Regierung um Präsident Hosni Mubarak, könnte dafür sorgen,
dass sie noch stärker wird. Die dramatischen Bilder von chaotischen Zuständen in Krankenhäusern,
geschlossenen Tankstellen und leeren Geschäften, die die arabischen Sender aus Gaza sendeten,
haben ihre Wirkung nicht verfehlt.
Allerorts riefen Kommentatoren die Regierungen dazu auf, wieder eine deutlich israelkritischere
Haltung einzunehmen, und in Ägypten gelingt es nur noch mit rabiaten Mitteln, den sich
aufbauenden Druck einzudämmen. Als am Freitag um die 500 Mitglieder der Moslembruderschaft
für eine dauerhafte Öffnung der Grenze demonstrieren wollten, ließ die Regierung kurzerhand alle
potenziellen Demonstranten festsetzen.
Dies hat Kairo in eine missliche Lage gebracht: Man kann die Grenze nicht schließen, aber auch
nicht offen lassen, wenn auf der anderen Seite Polizisten der Hamas das Sagen haben.
Israels Regierung sorgt sich darum, dass unter den Einkaufstouristen auch Kämpfer von Hamas und
Dschihad den Weg nach Ägypten und von dort über die kaum zu sichernde Wüstengrenze nach
Israel nehmen, um dort Anschläge zu verüben -- eine sehr reale Gefahr, wie sich zeigte, als die
ägyptische Polizei am Sonntagmorgen an die 20 bewaffnete Palästinenser aus Gaza verhaftete.
»Wir sind uns bewusst, dass sich Kairo in einer sehr problematischen Lage befindet, und haben kein
Interesse daran, dass das Land destabilisiert wird«, sagte ein Mitarbeiter der israelischen Regierung.
»Nur ist das, was wir im Moment erleben, ein sicherheitspolitischer Albtraum.« Momentan kennt der
Sicherheitsapparat nur einen Ausweg: Man sperrte eine entlang der Grenze verlaufende Straße,
während Vertreter Israels, Ägyptens und der Palästinensischen Autonomiebehörde, deren
Einflussbereich sich auf das Westjordanland beschränkt, im Hintergrund nach einer Lösung suchen.
Längst gestehen Mitglieder der Regierungskoalition ein, dass die Abriegelung Gazas ein Fehlschlag
war. »Wir wollten den Raketenbeschuss Sderots verhindern und haben dafür die Sicherheitslage im
gesamten Land verschlechtert. Dabei wurden ganz offensichtlich nicht alle möglichen Folgen
berücksichtigt«, erklärte ein Abgeordneter von Kadima, der Partei von Premier Ehud Olmert.
Eine erneute Schließung der Grenze kommt auch für Israel mittlerweile nicht mehr in Frage.
Stattdessen setzt man nun auf eine Neuauflage des Grenzdeals, der mit der Übernahme der Macht
im Gazastreifen durch die Hamas Makulatur wurde, allerdings mit einer kleinen Ergänzung: Die
Fatah-Fraktion des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas soll die Annäherung zur Hamas
suchen, während Polizisten der Autonomiebehörde, möglicherweise überwacht von Beobachtern der
EU und geduldet durch die Hamas, den Grenzverkehr auf der palästinensischen Seite abwickeln.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2008
Kommentar
Gaza macht Mut
Von Jeff Halper **
Wieder einmal haben es die Palästinenser getan -- sie haben ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen, nachdem sie von ihrer »moderaten« Führung und im übrigen von der gesamten internationalen Gemeinschaft in ihrem Kampf für die Freiheit allein gelassen wurden. Sie haben einfach die Mauer gesprengt, die Gaza von Ägypten trennt. Sie haben die Belagerung durchbrochen, die eine arabische Regierung in Kollaboration mit Israel ihnen aufgezwungen hatte.
Wir, die Völker der Welt, sollten stolz sein und uns ermutigt fühlen durch diesen genuin zivilgesellschaftlichen Akt der Weigerung, sich mit der Unterdrückung abzufinden, der Weigerung der Palästinenser ihr Schicksal von Regierungen, einschließlich ihrer eigenen, abhängig zu machen. Denn für diese Regierungen ist das Leben der normalen Menschen nichts weiter als eine zu vernachlässigende Größe in ihren politischen Scharaden. Annapolis und der anschließende sogenannte Friedensprozeß sind nur der ultimative Ausdruck dieses Zynismus.
Denn die Palästinenser stehen für viel mehr als nur für sich selbst. Ihre Weigerung, sich dem Diktat von Regierungen zu unterwerfen oder sich mit deren fehlendem Interesse am Wohlergehen der Menschen ganz allgemein abzufinden -- diese Weigerung entspricht dem Wunsch von Milliarden unterdrückter Menschen nach einer anerkannten Identität, nach Freiheit, nach einem Leben in Würde und der Umsetzung ihrer kollektiven und individuellen Rechte und Potentiale.
In dieser Hinsicht stehen die Palästinenser an vorderster Front, sie stehen da, wo Menschen überall auf der Welt darauf beharren, daß ihre Rechte, ihr Wohlergehen und fundamentale Werte, die ihnen als Menschen zukommen, von Regierungen geachtet werden. Dabei widerstehen die Palästinenser -- und ich schreibe das als Israeli und voller Kummer und Scham -- einer der stärksten und skrupellosesten Militärmächte, einer Macht, die sie 85 Prozent ihres Landes beraubt hat, einer Macht, die alles daransetzt, ihre Besatzung in ein dauerhaftes Apartheidsregime zu verwandeln, einer Macht, die jahrzehntelang nichts anderes getan hat, als sie ihrer Rechte zu berauben und sie auszubluten. Bei dieser Macht handelt es sich um die viertgrößte Nuklearmacht, die sich dennoch in der Rolle des Opfers gefällt.
Die Menschen, die in diesen Tagen nach Ägypten strömen, verdienen den Respekt und die Dankbarkeit von jedem, der nach einer besseren Welt strebt, deren Grundlage Menschenrechte und Würde sind, eine Welt, die niemanden ausschließt. Als israelischer Jude hat es mich tieftraurig gemacht und beschämt, daß mein Volk, nach allem, was es erlitten hat, nicht wahrnimmt, was es anderen antut. Aber auf einer allgemeineren Ebene, nicht als israelischer Jude, sondern als Mensch macht es mir Mut, daß die Palästinenser sich wehren und sich nicht von einem globalen System überwältigen lassen, das für einige wenige unermeßlichen Reichtum und Macht bedeutet -- und das auf Kosten einer wachsenden Zahl der »Verdammten dieser Erde«, wie Franz Fanon sie einmal genannt hat.
* Jeff Halper ist Koordinator des israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen -- ICAHD
Übersetzung: Sophia Deeg
** Aus: junge Welt, 28. Januar 2008 (Gastkommentar)
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