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Die Vergessenen von Al-Waleed

Palästinensische Flüchtlinge in den Lagern an der irakisch-syrischen Grenze brauchen dringend Hilfe

Von Karin Leukefeld *

Nach Angaben des UN-Kommissariats für Flüchtlinge, UNHCR, steigt die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge aus Irak an der syrisch-irakischen Grenze stetig an. Rund 2000 Palästinenser leben derzeit in zwei provisorischen Lagern am Grenzübergang Al-Waleed.

Die Flüchtlinge werden vom UNHCR notdürftig versorgt. Unterstützung kommt vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz sowie vom Palästinensischen und Syrischen Roten Halbmond. Es gebe eine »unverhältnismäßig große Zahl an ernsthaft Erkrankten unter den Flüchtlingen in Al-Waleed«, erklärte UNHCR-Mitarbeiterin Anita Raman gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. Krebs, Herzerkrankungen und Behinderungen seien »alltäglich«. Die Kinder seien unterernährt, es gebe Fälle von Leukämie, Rückenmarkserkrankungen, Haut- und Darmerkrankungen, außerdem schwere Geburtsfehler und Folgen von Anschlagsverletzungen. Niemand im Lager erhalte die medizinische Versorgung, die er brauche. Wasser werde mit einem Tanklastzug gebracht, die sanitären Einrichtungen seien eine Brutstätte für Krankheiten und ein Tummelplatz für Ratten und Schlangen, so Anita Raman. Die Menschen seien alle traumatisiert, besonders die Kinder.

Nach Angaben von Ahmed Muffitlak, dem Sprecher der Palästinensischen Muslim-Vereinigung (PMA) in Bagdad, erreichen pro Woche etwa 40 neue Flüchtlinge die Lager in Al-Waleed. Ihm sei nicht bekannt, wie viele Palästinenser schon in Bagdad getötet worden seien, die Zahl müsse in die Hunderte gehen. Täter seien vermutlich Gegner des von den USA gestürzten Regimes von Saddam Hussein. Dieses hatte Palästinensern großzügigen Schutz gewährt, die seit 1948 im Irak lebten.

Für einen irakischen Paß zahlten manche Schmiergelder von bis zu 10.000 US-Dollar, so Muffitlak. Von einem irakischen Nationalitätsnachweis erhofften die Flüchtlinge sich Schutz. Heute leben nach Schätzung des UNHCR noch 13.000 Palästinenser in Bagdad. Die meisten seien arm, so Muffitlak. Auf der Suche nach Sicherheit wanderten sie von einem Ort zum anderen. Der Marsch zur syrischen Grenze sei der letzte Ausweg.

»Die Menschen in den Lagern leben in extremer Armut«, so Ahmed Muffitlak gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. Die eisige Kälte bei Nacht und Sandstürme seien kaum zu ertragen. Die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Al-Waleed forderten am 13. November ein erstes Todesopfer. Akram Mohammed Rizq Al-Assaf, Vater von vier Kindern, starb an Herzversagen. Seine Koronarerkrankung war bekannt, die Einreise nach Syrien zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus wurde ihm nicht gestattet. Mit Verweis auf deren Rückkehrrecht in ihre Heimat Palästina weigern sich Syrien und Jordanien, weitere palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. In beiden Staaten leben seit 1948 bereits Millionen Palästinenser.

Laut einer kürzlich veröffentlichten Presseerklärung des UNHCR hätten sich bisher lediglich Chile und Sudan bereiterklärt, Palästinenser von der irakisch-syrischen Grenze aufzunehmen. Norwegen habe als einziges europäisches Land eine achtköpfige Familie einreisen lassen. Die Länder erklärten sich aus medizinischen Gründen zur Aufnahme der Familien bereit, weil deren Kinder an Leukämie oder anderen Krebsarten erkrankt seien oder schwere Geburtsschäden hätten.

1000 palästinensische Flüchtlinge, die seit 2004, dem Beginn ihrer Verfolgung in Bagdad, im Lager Ruweished (Jordanien) gelebt hatten, konnten durch Vermittlung des UNHCR inzwischen in verschiedene Staaten auswandern. Im September siedelten die letzten 145 Palästinenser aus Ruweished nach Brasilien aus.

* Aus: junge Welt, 20. November 2007


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