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Auf Leben und Tod

Der gefährliche Alltag der palästinensischen Fischer

Von Mohammed Omer, Gaza-Stadt *

Der 72jährige Abu Khalil Al Rebai ist Kapitän eines kleinen Fischerboots. In sanftem Rhythmus schlagen die Wellen des Mittelmeeres gegen die Bordwand. Möwen kreisen über dem Boot und suchen nach Fangabfällen, während am Horizont die Sonne im Meer versinkt. Abu Rebai lächelt. Heute ist ein guter Tag: Von seiner Mannschaft wurde niemand verletzt, verhaftet oder erschossen – bis jetzt. Bei Einbruch der Dunkelheit entsteht an diesem Küstenstreifen emsiges Treiben. Die Fischer bereiten einen Trick vor, mit dem sie schon oft ihren Fang vergrößert haben. Sie bringen ihre Boote und Trawler so nah wie möglich an die Küste heran und erzeugen dann mit Lampen auf den Wellen ein Lichterspiel, das mit seinen Schatten den Fischen vorgaukelt, sich im Tang schützender Algenwälder zu befinden. So werden sie näher an die Küste herangelockt, wo sie für die Fischer leichte Beute sind. Leider nutzen auch andere das Licht. »Die israelischen Kugeln schrecken uns nicht«, sagt der alte Fischer trotzig, »aber sie schießen sogar in der erlaubten Acht-Kilometer-Zone auf uns.«

Abu Rebai ist seit über 30 Jahren Fischer und einer von Tausenden Palästinensern, die gezwungen sind, im Al-Shati-Flüchtlingslager von Gaza-Stadt zu leben. Neun Söhne hat er und lebt mit seiner 36köpfigen Großfamilie unter einem Dach. In den meisten Ländern der Welt bringt der Fischfang den Familien ein angemessenes Einkommen. Aber durch die Restriktionen, die ihnen Israel aufzwingt, und die internationalen Sanktionen, die den Zugriff auf Ersatzteile und Diesel beschränken, bewegen sich Gazas Fischer mit ihrem Einkommen immer in den roten Zahlen.

Adham Ahmed, 27, berichtet über den letzten israelischen Angriff: »Erst letzte Nacht sind wir wieder beschossen worden. Gott sei dank sind wir alle wohlauf! Wir haben einen Trawler und vier Boote«, fügt Ahmed hinzu. »Wir verbrauchen bis zu 400 US-Dollar an Sprit pro Nacht. Wenn uns nicht genug ins Netz geht, haben wir ein Problem. Dann sind wir pleite oder machen Schulden.«

Auch nach dem »Rückzug« hielt die israelische Armee Gaza weiter hermetisch abgeriegelt und kontrolliert außer allen Zugängen an Land, einschließlich der Übergänge an der ägyptischen Grenze, auch den Luftraum und die Küstengewässer. Die palästinensischen Fischer werden so daran gehindert, weiter auf See oder in internationale Gewässer hinauszufahren, wo sie besseren Fang machen würden. So müssen sie sich mit den spärlichen Fischgründen in Küstennähe begnügen. Sollte ein Kapitän es wagen, sein Boot in internationale Gewässer zu steuern, muß er damit rechnen, daß es von der israelischen Marine entweder versenkt oder zumindest schwer beschädigt wird. Ahmed erklärt, daß deren Angriffe auf Fischerboote in den letzten zwei bis drei Jahren erheblich zugenommen haben.

Wenn man sich die kleine Flotte der Fischerboote ansieht, entdeckt man viele Einschüsse. Jedes Jahr sterben zahlreiche Fischer entweder durch direkten Beschuß, durch das Versenken ihrer Boote oder durch Feuer, das die Granaten an Bord auslösen. Willkürliche Verhaftungen sind ein anderes Risiko. Gründe werden nie genannt.

Ein Stück weiter die Küste hoch liegt der Hafen von Gaza. Der 36jährige Ibrahim Al Habeel schöpft wütend Wasser aus seinem leckgeschlagenen Boot, das mit Schlagseite am Pier liegt. »Letzte Nacht wurde unser Boot mehrfach getroffen«, preßt er zwischen schweren Atemzügen hervor. »Von dem Fang, den wir mit dem Boot machen, müssen 15 Familien leben!« Achtern verschließen ein paar seiner Kollegen Einschußlöcher, während andere die von Granaten zerfetzten Netze flicken. »Durch den Schaden und zusammen mit dem Sprit und Gas für die Lampen hat uns die letzte Nacht 1000 Dollar gekostet. Wir haben aber nur drei Kilo Fisch gefangen«, stößt Al Habeel verbittert hervor. »Ich werde meine Schulden nie mehr los«, sagt er und schöpft weiter Wasser aus dem Boot. »Aber ich kann auch nicht zu Hause herumsitzen und zusehen, wie meine Kinder hungern. Das Meer gehört uns, und wir haben ein Recht, hier zu fischen!«

Nach Erkenntnissen des palästinensischen Landwirtschaftsministeriums ist die Fangquote durch Israels Angriffe in den letzten sechs Jahren um 54,5 Prozent gesunken, was rund 16,6 Millionen Dollar Verlusten entspricht. Nizar Ayash, Vorsitzender der Fischervereinigung von Gaza, schätzt, daß es in Gaza etwa 3 000 Fischer mit einer Fanggenehmigung gibt. Sie erwirtschaften das Einkommen von etwa 40000 Menschen. Ayash bestätigt, daß »die Zahl der israelischen Kriegsschiffe vor der Küste zugenommen hat, vor allem nahe der Grenze zu Ägypten. Sie hindern unsere Fischer an ihrer Arbeit, verhaften und töten sie. In Rafah sind mehr als 50 Fischer von 13 verschiedenen Booten verhaftet worden. Die meisten sind wieder freigelassen worden, aber zwei werden immer noch vermißt.«

Übersetzung: Jürgen Heiser

* Aus: junge Welt, 31. Mai 2007


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