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"Die Enttäuschung der Menschen in Palästina ist groß"

Heute beginnt in Bethlehem der erste Fatah-Kongress seit 20 Jahren / Abdallah al-Frangi über die Chancen der Partei im Nahost-Friedensprozess und die Konkurrenz der Hamas

An diesem Dienstag (4. August) beginnt in Bethlehem der erste Fatah-Kongress seit 20 Jahren. Die Partei soll reformiert und für die nächsten Wahlen im palästinensischen Gebiet fit gemacht werden. Abdallah al-Frangi ist Mitglied des Zentralkomitees der Fatah. Seine Familie kommt aus Beer Sheva, einer Stadt, die heute im Süden Israels liegt. Sie flüchtete nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 in den Gaza-Streifen. Von 1993 bis 2005 war Frangi Generaldelegierter Palästinas in Deutschland. Heute ist er Leiter der außenpolitischen Abteilung der Fatah und arbeitet in Ramallah. Dort befragte Sybille Oetliker für das "Neue Deutschland" (ND)den 65-jährigen Politiker.



ND: Der letzte Kongress der Fatah fand im Jahr 1989 in Tunis statt. Warum hat es so lange gedauert, bis sich die Parteimitglieder wieder treffen?

Frangi: Obschon Yasser Arafat im Jahr 1993 die Oslo-Abkommen unterzeichnete, haben wir keinen Frieden mit Israel erzielt. Ursprünglich hatte Arafat geplant, einen Fatah-Kongress einzuberufen, nachdem der palästinensische Staat ausgerufen war.

Wir glaubten damals, das werde 1998 der Fall sein. Stattdessen brach nach dem Scheitern der Friedensgespräche von Camp David im Jahr 2000 die zweite Intifada aus, die lange dauerte und sehr brutal war.

Nach den palästinensischen Parlamentswahlen Anfang 2006, die Fatah verloren hat, war der Reformbedarf der Partei offenkundig. Dennoch sind noch einmal dreieinhalb Jahre vergangen, bis nun der Kongress kommt.

Wir arbeiten seit Langem an der Organisation eines Kongresses. Der interne Prozess war zäh.

Viele Menschen im besetzten palästinensischen Gebiet haben das Vertrauen in Fatah verloren.

Uns ist bewusst, dass die Enttäuschung der Menschen groß ist. Wir haben ihnen einen Staat, Wohlstand und Arbeit versprochen. Bis der israelische Premierminister Yitzhak Rabin 1995 von einem jüdischen Extremisten erschossen wurde, machte der Friedensprozess Fortschritte. Die Ermordung Rabins änderte alles. Die israelische Gesellschaft wurde gespalten und auf palästinensischer Seite kam es zur Stärkung von Hamas und anderen Organisationen außerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die den bewaffneten Kampf gegen Israel propagierten.

Fatah hingegen hat weiterhin auf Verhandlungen gesetzt - und in den Augen vieler Palästinenser wenig oder gar nichts damit erreicht.

Auch Fatah hat lange den militärischen Kampf geführt. Bis wir eingesehen haben, dass wir chancenlos waren. Die militärische Überlegenheit Israels war zu groß. Deswegen haben wir uns entschlossen, politische Lösungen zu suchen. Wir haben so immerhin erreicht, dass der palästinensische Anspruch auf einen unabhängigen Staat heute allgemein anerkannt ist, und wir haben dafür gesorgt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde aufgebaut wurde. Sie unterhält unter anderem Spitäler und Schulen im besetzten Gebiet oder kann den Menschen dort Pässe ausstellen.

Dennoch hat Fatah Unterstützung unter der Bevölkerung eingebüßt. Die israelischen Siedlungen im palästinensischen Gebiet wachsen, Israel baut die Mauer, Jerusalem bleibt vom Westjordanland abgeschnitten, Flüchtlinge darben in Lagern ...

... und die Leute fragen, was tut die Regierung? Das Problem ist, dass wir im Grunde genommen machtlos und allein sind. Kein Land kritisiert die israelische Politik mit der Härte, wie die internationale Gemeinschaft zum Beispiel Iran oder zuvor Irak kritisierte. Israel nutzt diese Schwäche aus und setzt seine Interessen durch.

Was erwarten Sie vom Fatah-Kongress?

Zum einen müssen wir unsere Führung neu bestellen. Wir werden auch ein politisches Programm verabschieden.

Der Streit zwischen Hamas und Fatah hat auch Auswirkungen auf Ihren Kongress. Hamas will die Fatah-Delegierten nicht aus dem Gaza-Streifen ausreisen lassen.

Wir hätten nie gedacht, dass es so weit kommt und wir so zerstritten sind. Von dieser Situation kann nur Israel profitieren.

Kommt es nach dem Fatah-Kongress vielleicht zur Aussöhnung mit Hamas?

Wir arbeiten daran. Das Problem ist, dass Hamas eine Bewegung ist, die die Religion instrumentalisiert. Das erschwert eine Einigung. Außerdem haben die Hamas-Führer wenig Kontakt mit dem Ausland. Viele sind unerfahren und stur. Hamas muss zu Wahlen gezwungen werden. Sie sollten im kommenden Januar stattfinden, aber Hamas will sie hinausschieben. Ich bin sicher: Wenn Wahlen stattfinden, wird Hamas verlieren - im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Die Leute haben zwar Angst vor Hamas, aber keinen Respekt und kein Vertrauen.

Wie beurteilen Sie heute die Aussichten auf einen baldigen Frieden im Nahen Osten?

Es wird leider noch sehr lange dauern, bis wir hier in Frieden und Freiheit leben. Ich glaube aber nach wie vor an eine Lösung. Die Israelis werden nie ihren Frieden haben, wenn sie nicht auch den Palästinensern gestatten, in Frieden zu leben.

Lexikon - Fatah

Die Fatah (Bewegung zur Befreiung Palästinas) wurde 1954 von Palästinensern in der Diaspora gegründet. Sie wurde nach dem Sechstagekrieg 1967 zur wichtigsten palästinensischen Befreiungsgruppe. Ihr Vorsitzender Yasser Arafat übernahm später auch die Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), der Dachorganisation palästinensischer Gruppierungen.

In den letzten Jahren hat Fatah viel von ihrem einstigen Glanz verloren. Die Parteiführung gilt als überaltert, viele führende Mitglieder stehen im Ruf, korrupt zu sein. Auch politisch ist die Partei zerrissen. Fatah bleibt aber wichtigste säkulare Kraft. Zur anderen einflussreichen Gruppe ist die islamistische Hamas geworden, die erst 1987 gegründet wurde und nicht Mitglied der PLO ist.

Vor 20 Jahren fand in Tunis zum letzten Mal ein Fatah-Kongress statt. Zum jetzigen Kongress, der ab diesen Dienstag bis zum Donnerstag in Bethlehem im besetzten Westjordanland tagt, werden etwa 2000 Delegierte erwartet. Sie reisen aus dem besetzten palästinensischen Gebiet sowie aus arabischen Staaten, Europa und den USA an.

Der Kongress muss die Fatah-Führung - 21 Mitglieder des Exekutivkomitees und 120 Mitglieder des Revolutionsrates - neu bestellen. Das Mandat des Vorsitzenden, Präsident Mahmud Abbas, wird wohl verlängert. Außerdem müssen wichtige inhaltliche Fragen geklärt werden; insbesondere das Verhältnis zu Israel und zum bewaffneten Widerstand muss neu formuliert werden. soe



* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2009


Dunkle Wolken über der Fatah

Erste Konferenz der palästinensischen Organisation seit 20 Jahren

Von Helena Cobban (IPS), Washington **


Es ist die erste Konferenz seit zwanzig Jahren, zu der die Palästinenserorganisation Fatah am Dienstag in Bethlehem zusammenkommt. Und die Voraussetzungen für sie sind denkbar schlecht. Das vor allem wegen der Rahmenbedingungen - was die Sache der Palästinenser betrifft, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts zum Besseren entwickelt. Dementsprechend massiv ist die Parteiführung zerstritten.

Auf der einen Seite steht der Präsident der palästinensichen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, auf der anderen der Fatah-Mann der ersten Stunde Faruk Kaddoumi. Dieser hatte nach den Friedensgesprächen mit Israel in Oslo im Jahre 1993 die Rückkehr in die besetzten Gebiete verweigert, und holte nun in der jordanischen Hauptstadt Amman zu einem kapitalen Schlag gegen Abbas aus. Mitte Juli beschuldigte er diesen, sich mit den USA und Israel zusammengetan und seinen 2004 verstorbenen Vorgänger Yassir Arafat vergiftet zu haben.

Der Zwist zwischen Abbas und Kaddumi hat eine lange Geschichte und datiert aus der Zeit vor den Friedengesprächen in Oslo. Jüngst entzündete er sich auch an der Entscheidung, das Treffen der einstigen Befreiungsbewegung in Bethlehem stattfinden zu lassen und damit praktisch unter den Augen der israelischen Besatzungsmacht. Kaddoumi hält die Fahne derer hoch, die anders als Abbas seit Oslo keinen Schritt auf besetztem Boden tun und die Zusammenarbeit mit Israel verweigern, es sei denn, alle Palästinenser erhalten das Rückkehrrecht. Abbas gilt den Vertretern dieser Fraktion als Verräter an den Kernforderungen der Fatah, die vor 50 Jahren eben mit der Rückkehrforderung die Szene betrat.

Zur Zeit gibt es über fünf Millionen Palästinenser außerhalb ihrer Heimat, viele von ihnen als staatenlose Flüchtlinge in Ländern wie dem Libanon. Im Westjordanland und im Gazastreifen, den 1967 besetzten Gebieten, leben etwa 4,3 Millionen Palästinenser, weitere 1,3 Millionen als israelische Staatsbürger in Israel.

Daß Abbas und Kaddoumi verfeindet sind, hat viel mit den Gesprächen in Oslo zu tun. Abbas bestimmte mit Arafats Rückendeckung damals den Kurs, obwohl Kaddoumi zu dieser Zeit bei der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) eigentlich die Regie über die Außenpolitik führte. Abbas konnte sich mit einer Maxime durchsetzten, die Kaddoumi von Grund auf mißfiel: Komm Israel so weit entgegen, so daß die israelische Regierung einer Zweistaatenlösung irgendwann zustimmen muß. 16 Jahre waren Kaddoumi und seine Anhänger kaltgestellt, doch sorgt das offensichtliche Scheitern von Abbas' Politikansatz für die Renaissance seiner Positionen. Folge könnte eine Aufspaltung der Fatah in unversöhnliche Fraktionen sein.

Das geschieht in einer Entwicklungsphase, die einerseits vom aggressiven Landraubkurs der reaktionären israelischen Regierung geprägt ist. Andererseits existiert der innerpalästinensische Zwist mit der Hamas, die den Gazastreifen regiert. Doch waren diesbezüglich in jüngster Zeit immerhin einige Fortschritte in den Beziehungen zu registrieren. Auch deshalb hegen Beobachter die Hoffnung, daß die nächsten Aussöhnungsverhandlungen zwischen Fatah und Hamas Ende August in der ägyptischen Hauptstadt Kairo von Erfolg gekrönt sein könnten.

Fatah-interne Querelen verhinderten Parteitreffen seit 1989. Eigentlich sollten die Tagungen alle fünf Jahre stattfinden. Zu mehr als sechs Treffen aber hat es bislang nicht gereicht.

** Aus: junge Welt, 3. August 2009


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