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Aussichtslose Verhandlungen

Hintergrund. Die von Al-Dschasira veröffentlichten Protokolle dokumentieren die verzweifelte Situation der Palästinenser

Von Knut Mellenthin *

Sehr viele Telefonanrufe, die ihn zum Durchhalten ermunterten, wird Ägyptens Langzeitdiktator Hosni Mubarak in den vergangenen Tagen nicht erhalten haben. Und einige dieser Anrufer werden sich vermutlich nicht den Medien anvertraut haben. Einer, von dem man genau weiß, daß er Mubarak sein Mitgefühl in der Stunde der Not ausdrückte, war der Saudi-König Abdullah: Er gab eine Notiz an die Presse. Auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, dessen reguläre Amtszeit schon vor zwei Jahren abgelaufen ist, ohne daß er Anstalten zur Vorbereitung der überfälligen Wahl erkennen läßt, scheute die öffentliche Freundschaftsgeste nicht. Sein Büro verbreitete am Sonnabend (29. Jan.) eine Mitteilung, daß Abbas im Gespräch mit seinem Amtskollegen »seine Solidarität mit Ägypten bekräftigt« und sich für »Sicherheit und Stabilität« ausgesprochen habe. Ob die Wünsche des Palästinensers wirklich Glück bringen, darf man allerdings bezweifeln: Auch dem tunesischen Diktator Zine El Abidine Ben Ali hatte Abbas telefonisch Trost zugesprochen. Kurz darauf war dieser nach Saudi-Arabien geflüchtet.

Ebenfalls am Sonnabend meldete die Jerusalem Post, daß die von Abbas verkörperte Palestinian Authority (PA) in ihrem Verwaltungsbereich, der Westbank, alle Demonstrationen der Solidarität mit den Aufständen in Tunesien und Ägypten verboten habe. Das wird durch Berichte dort lebender Palästinenser bestätigt. Ein Sturz des Mubarak-Regimes wäre für die PA noch fataler als für Israel. Angefangen bei dem Umstand, daß eine aus dem Aufstand hervorgehende neue Regierung in Kairo vermutlich die ägyptische Beteiligung an der Blockade des von der Hamas regierten Gaza-Gebiets beenden oder zumindest weitgehend einschränken würde.

Am Ende der Leidensfähigkeit

Die PA hatte sich schon in der Vergangenheit gegenüber israelischen Regierungsvertretern beklagt, daß Ägypten die Blockade nicht konsequent genug betreibe. Sie soll Israel sogar aufgefordert haben, die Absperrung und Überwachung der mit Sperranlagen befestigten Grenze zwischen dem Gaza-Gebiet und Ägypten wieder selbst zu übernehmen. Israel hatte die Kontrolle dort aufgegeben, als es sich im September 2005 aus dem Gaza-Gebiet zurückzog.

Die Ermunterung seitens der PA für die Wiederherstellung des früheren israelischen Grenzregimes ist eine der Enthüllungen, die sich aus der Veröffentlichung bisher vertraulicher Gesprächsprotokolle durch Al-Dschasira ergeben. Der im Kleinstaat Katar ansässige arabische Medienkomplex hat am 23. Januar nach dem Vorbild von Wikileaks damit begonnen, einige interne Dokumente ins Internet zu stellen. Kooperationspartner bei diesem Unternehmen ist die britische Tageszeitung Guardian.

Nach eigener Darstellung hatte Al-Dschasira die annähernd 1700 Dokumente schon vor mehreren Monaten auf nicht erklärte Weise erhalten und zunächst gemeinsam mit der Redaktion des Guardian gründlich geprüft, um Aufschluß über ihre Echtheit zu gewinnen. Dazu wurden unter anderem frühere Teilnehmer der Verhandlungen zwischen der PA und der israelischen Regierung befragt. Der zeitliche Ablauf läßt also das Zusammentreffen der Veröffentlichung mit den Volksaufständen in Tunesien und Ägypten als bloßen Zufall erscheinen.

Al-Dschasira und der Guardian haben bisher nur eine relativ kleine Zahl von Dokumenten veröffentlicht und daneben interpretierende Artikel gestellt. Es handelt sich dabei ausschließlich oder ganz überwiegend um Gesprächsprotokolle, von denen einige einen Umfang von zehn oder mehr Seiten haben. Verhandlungssprache zwischen der PA und Israel ist Englisch. Das ermöglicht einem breiten internationalen Publikum den direkten Zugang zu den Papieren ohne Umweg über eine Übersetzung.

Nicht zu übersehen ist auf der anderen Seite aber, daß einige der beteiligten Palästinenser, darunter auch Chefunterhändler Saeb Erekat, nur über ein recht eingeschränktes aktives Englisch verfügen. Das bedeutet praktisch, daß einige zentrale Äußerungen, die vor allem Erekat jetzt vorgeworfen werden, nicht wirklich substantiell und schon gar nicht ausführlich sind. Die Protokolle enthalten zum Teil tatsächlich Satzfragmente ohne grammatikalischen Zusammenhang. Manches bleibt unverständlich oder ist mehrdeutig interpretierbar. Hinzu kommen emotionale Ausbrüche Erekats, der offenbar schon längst am Ende seiner Leidensfähigkeit angelangt ist, was die israelische Sturheit angeht. An einer Stelle sagt er, er sei mit Zugeständnissen so weit gegangen, wie es nur möglich sei. Es bliebe nur noch sein Übertritt zum Zionismus, aber das könne man von ihm nicht verlangen. Ein anderes Mal flehte Erekat US-amerikanische Gesprächspartner an, ihm wenigstens irgendein kleines politisches Angebot zu machen, und setzte hinzu: »Meine Frau lacht schon über mich.«

Gezielte Kampagne?

Die Al-Dschasira zugänglich gemachten Dokumente sind von 1999 bis 2010 entstanden. Sie decken also den vorangegangenen Zeitraum, als die Verhandlungen noch von Jassir Arafat geleitet wurden, nicht ab. Dadurch wird die Interpretation möglich, daß die späteren Zugeständnisse der PA unter Abbas ein Abgehen von der »roten Linie« des früheren PLO-Vorsitzenden bedeutet hätten. Die bekannten Fakten sprechen aber dafür, daß auch zur Zeit Arafats die Dinge nicht ganz so prinzipienfest gehandhabt wurden, wie es offiziell dargestellt wurde. Um die Osloer Abkommen zu ermöglichen, waren in den 1990er Jahren alle heiklen, aber eigentlich zentralen Fragen – wie etwa die künftigen Grenzen des Palästinenserstaates, der Status Ostjerusalems, die Zukunft der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten und das Recht von fünf bis sechs Millionen Exil-Palästinensern auf »Rückkehr« – aus den Verhandlungen herausgehalten und einer späteren »abschließenden Regelung« vorbehalten worden.

Die Herkunft der fast 1700 Dokumente ist insoweit eindeutig, als sie aus dem Material der »Negotiation Support Unit« (NSU) stammen. Das ist eine Arbeitsgruppe, die gebildet wurde, um die PA bei ihren Verhandlungen mit Israel organisatorisch, wissenschaftlich, analytisch und beratend zu unterstützen. Finanziert wird die NSU, dem Guardian zufolge, aus Haushaltsmitteln der britischen Regierung. Das Londoner Blatt schreibt, daß im Laufe der Zeit viele Mitarbeiter der NSU gekündigt haben, weil sie mit der Verhandlungstaktik der PA überhaupt nicht mehr einverstanden waren.

PA-Chefunterhändler Erekat, der durch die Veröffentlichungen am schwersten belastet wird, macht in erster Linie zwei namentlich genannte frühere NSU-Mitarbeiter für das Dokumenten-Leck verantwortlich. Einer von ihnen ist der US-Bürger Clayton Swisher, der jetzt als Korrespondent für Al-Dschasira arbeitet. Die PA bezeichnet Swisher als ehemaligen CIA-Agenten. Gesichert scheint, daß er bei den Marines und beim FBI war. Während der Verhandlungen in Camp David im Jahre 2000 soll er als Leibwächter eingesetzt gewesen sein. Daneben beschuldigt Erekat auch den britischen Staatsbürger Alastair Crooke, der früher für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet hat und Nahost-Berater des damaligen EU-Außenpolitikchefs Javier Solana war.

Darüber hinaus richten Erekat und andere PA-Politiker heftige Angriffe gegen Katar, den Sitz von Al-Dschasira. Jasser Abed Rabbo, Generalsekretär der PLO, sagte: »Eine derartige Kampagne kann Al-Dschasira nicht allein verantwortet haben. So eine Kampagne setzt eine politische Entscheidung auf höchster Ebene voraus.« – Die PA wirft der Regierung des Emirats schon seit einiger Zeit vor, die Hamas zu unterstützen. In Verbindung mit der Tatsache, daß Katar bedeutende US-amerikanische Militärstützpunkte beherbergt und angeblich auch geheime Kontakte zu Israel unterhält, deutet sich in einigen PA-Polemiken der Verdacht einer gezielten Provokationsstrategie an. Denn von einer Demontage der PA als Verhandlungspartner, so sachlich berechtigt die Vorwürfe im einzelnen sein mögen, profitiert letztlich auch die israelische Rechtsregierung.

Vom Tisch scheint jedoch der anfangs von einigen PA-Politikern erhobene Vorwurf, bei den Veröffentlichungen von Al-Dschasira und Guardian handele es sich um »einen Haufen Lügen und Halbwahrheiten«. Jedenfalls kommen derartige Begriffe in einem Artikel Erekats, den die britische Tageszeitung am 26. Januar veröffentlichte, nicht vor. Der Chefunterhändler schrieb dort vielmehr, die Dokumente würden »nichts Neues über Wesen und Inhalt der Verhandlungen enthüllen«. Wenn man die Protokolle aufmerksam und vollständig lese, werde deutlich, daß lediglich versuchsweise über eine Reihe von Vorschlägen gesprochen worden sei, die indessen alle in Einklang mit den Rechten des palästinensischen Volkes gestanden hätten.

Nichts vereinbart

Erekat erinnerte in diesem Zusammenhang an einen von beiden Seiten festgelegten Grundsatz, der in den Verhandlungsprotokollen immer wieder auftaucht: »Nothing is agreed until everything is agreed« – nichts ist vereinbart, bevor alles vereinbart ist. Anders gesagt: Sämtliche vorgetragenen Überlegungen und Vorschläge bleiben unverbindlich, solange nicht sämtliche Streitfragen zur beiderseitigen vollen Zufriedenheit geklärt sind. Es ist deshalb in der Tat irreführend, wenn Al-Dschasira und der Guardian dieser Tage immer wieder, explizit unter Verwendung des Verbs »agree«, behaupteten, die PA habe in den Verhandlungen irgendwelchen Dingen zugestimmt, Rechte preisgegeben oder gar Vereinbarungen getroffen.

In den bisher erschienenen Artikeln der beiden Medien zu den NSU-Dokumenten wurden hauptsächlich folgende Themen bearbeitet:

Die PA habe in den Verhandlungen auf das »Recht auf Rückkehr« verzichtet, das Freiheit zur Niederlassung in Israel oder Anspruch auf Entschädigung beinhaltet. Statt dieses Recht für alle fünf bis sechs Millionen Exil-Palästinenser zu fordern, habe die PA eine symbolische Einwanderungsquote von 10000 Personen jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren, insgesamt also 100000 Menschen, vorgeschlagen. Diese Zahl liegt immer noch weit über dem »Angebot« der damaligen Regierung unter Ehud Olmert – 1000 Personen jährlich über einen Zeitraum von fünf Jahren.

Öffentlich hat Abbas immer wieder versprochen, jedes abschließende Verhandlungsergebnis mit Israel in einem Referendum zur Abstimmung zu stellen, bevor er seine Unterschrift unter irgendein Abkommen setzt. In Gesprächen mit US-amerikanischen und israelischen Politikern und Diplomaten hat die PA jedoch, jetzt veröffentlichten Protokollen zufolge, mehrmals klargestellt, daß die außerhalb der besetzten Gebiete lebenden Palästinenser an dieser Entscheidung nicht beteiligt werden sollen. Gerade sie wären aber selbstverständlich von einem expliziten Verzicht der PA auf das Rückkehrrecht betroffen.

Die PA unter Abbas scheint sich außerdem in den Verhandlungen das vom früheren US-Präsidenten William Clinton befürwortete Prinzip für die Aufteilung Jerusalems zu eigen gemacht zu haben, das im Jahr 2000 von Arafat in Camp David abgelehnt worden war: »Was jüdisch ist, kommt zu Israel. Was arabisch ist, kommt zu Palästina.« Das bedeutet die Zementierung des von Israel geschaffenen Zustands, einschließlich der planmäßigen »Judaisierung« arabischer Viertel und der illegalen jüdischen Siedlungen im Großraum Jerusalem. Was dazu in den bisher veröffentlichten Protokollen steht, ist allerdings nur recht dünn und mehrdeutig. Erekat soll darüber hinaus für die umstrittene Souveränität über den sogenannten Tempelberg, auf dem die Al-Aqsa-Moschee steht, eine nicht näher beschriebene »kreative Lösung« – überhaupt ein sehr beliebter Begriff – vorgeschlagen haben. Konkret erwähnt wird die Einsetzung einer interreligiös und international besetzten Kommission, nicht aber deren genaue Funktion.

Die PA zeigte sich in den Verhandlungen bereit, einige der großen jüdischen Siedlungsblöcke im Westjordanland zu akzeptieren: Manche grenznahen Siedlungen könnten von Israel annektiert werden, andere könnten im Rahmen eines palästinensischen Staates weiterbestehen, hieß es. Für alle im Rahmen eines Friedensabkommens an Israel »abgetretenen« Gebiete müsse es aber einen territorialen Ausgleich im Maßstab eins zu eins geben. Das habe sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch des Werts und der Lage der auszutauschenden Landstücke zu gelten. Dieses Thema ist durch eine Reihe von Karten, die die PA in den Verhandlungen vorlegte, vergleichsweise gut dokumentiert.

Kumpelhaftes Verhältnis

Weiter heißt es, die PA habe die Gespräche zwischen der Hamas und Israel über die Freilassung gefangener Palästinenser im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit torpediert. Blickt man in die Protokolle, stellt sich die Sache allerdings etwas komplizierter dar: Die PA wollte hauptsächlich erreichen, daß das Verdienst für die Befreiung der Gefangenen nicht nur der Hamas, sondern auch ihr selbst zugute kommen sollte. Deshalb schlugen ihre Vertreter den Israelis vor, unabhängig vom Schicksal Schalits sofort eine größere Zahl von schon lange Inhaftierten freizulassen und dies propagandistisch als Bonus für das konstruktive Verhalten der PA in den Verhandlungen zu begründen.

Ein besonders brisanter Vorwurf lautet, daß die PA gemeinsam mit den Israelis Mordpläne gegen Führer der Hamas und anderer palästinensischer Organisationen geschmiedet habe. Tatsächlich ist bisher ein derartiger Fall bekannt: Hassan Al-Madhun, einen Kommandeur der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, die als bewaffneter Arm von Al-Fatah gilt, insofern also der PA nahesteht. Bei einem Gespräch, das im Sommer oder Herbst 2005 stattfand, fragte der damalige israelische Kriegsminister Schaul Mofaz den PA-Innenminister Nasser Jussef unverblümt: »Wir kennen seine Adresse (…) Warum bringen Sie ihn nicht um?« Jussef antwortete dem Protokoll zufolge: »Wir haben Anweisungen an Raschid (den damaligen Sicherheitschef der PA im Gaza-Gebiet) gegeben und werden sehen.« – Wenige Wochen später wurde Al-Madhun durch die Rakete eines israelischen Kampfhubschraubers ermordet.

Weitere Vorwürfe aufgrund der NSU-Dokumente betreffen, wie schon erwähnt, die Überwachung der Grenze zwischen Gaza und Ägypten sowie die von der PA jetzt bestrittene Behauptung, sie sei von israelischer Seite im Dezember 2008 über die bevorstehende Großoffensive gegen das Gaza-Gebiet informiert worden. Interessant, aber rätselhaft ist Erekats beiläufige Äußerung gegenüber dem Nationalen Sicherheitsberater der US-Regierung, James Jones, am 21. Oktober 2009, die PA habe einen palästinensischen Geschäftsmann überredet, dem iranischen Oppositionsführer Hossein Mussawi 50 Millionen Dollar für einen Rundfunksender zu zahlen.

Deutlich wird aus den Gesprächsprotokollen das vertrauliche und kooperative, gelegentlich geradezu kumpelhafte Verhältnis der beiden Seiten zueinander. Über die tatsächlich enge Zusammenarbeit palästinensischer und israelischer Sicherheits- und Geheimdienste erfährt man allerdings so gut wie nichts. Vermutlich wurde darüber auf einer anderen, stärker abgeschotteten Ebene diskutiert. Nichts steht zum Beispiel in den bisher veröffentlichten Dokumenten über die Putschvorbereitungen der PA im Gaza-Gebiet während des Frühjahrs 2007, die schließlich durch die Machtübernahme der Hamas vereitelt wurden.

Erkennbar wird andererseits auch die tiefe Verzweiflung der PA-Vertreter angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der nun schon seit über 19 Jahren geführten Verhandlungen mit Israel. In einer Unterredung mit dem US-Botschafter in Amman, David Hale, die am 15. Januar 2010 stattfand, beklagte sich Erekat über die mangelnde Unterstützung der Amerikaner und stellte fest: »Unsere Glaubwürdigkeit im Land war noch nie so niedrig.« Mehrfach drohte der Chefunterhändler den Israelis mit dem Abbruch der Gespräche.

Bei aller sachlich begründeten Kritik an der PA sollte nicht übersehen werden, daß sie in den Verhandlungen nichts »aufgegeben« hat, über das die Palästinenser real verfügten. Nimmt man zum Beispiel das Recht auf Rückkehr, so stützt sich dieses in der Hauptsache auf die Resolution 194, die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 11. Dezember 1948, kurz vor dem Ende des ersten israelisch-arabischen Krieges, beschlossen wurde. Das ist nunmehr 62 Jahre her, und es gibt wahrscheinlich, abgesehen vom Iran, nicht einen einzigen Staat auf der Welt, der die Palästinenser bei der Durchsetzung ihres Rückkehrrechts auch nur verbal unterstützen würde. Schon in der UN-Resolution 242, die nach dem Junikrieg 1967 verabschiedet wurde, war nur noch verschwommen von einer »gerechten Lösung des Flüchtlingsproblems« die Rede. Selbst das liegt aber inzwischen über 43 Jahre zurück.

Anklage gegen die Welt

Es ist auch nicht so, wie die Polemik gegen die PA teilweise suggeriert, daß es jenseits von Verhandlungen irgendeine plausible Methode gäbe, die zu deutlich besseren Ergebnissen führen könnte. Die Palästinenser besitzen nach allen Erfahrungen der Vergangenheit nicht die Mittel, den zionistischen Staat zu einer tatsächlichen Änderung seiner Haltung und seiner Ambitionen zu veranlassen oder gar zu zwingen. Zwar liegt die Schlußfolgerung nahe, daß die Zwei-Staaten-Lösung tot ist. Aber eine durchsetzbare und lebensfähige Alternative ist auch nicht zu erkennen. Auf dieser Grundlage arbeitet die Zeit für Israel, das permanent weitere Tatsachen schafft. Die Staaten der Welt, einschließlich Rußlands und Chinas, lassen keine praktische Bereitschaft erkennen, die Palästinenser bei der Durchsetzung einer gerechten politischen Lösung zu unterstützen. Zwar wurde kein anderes Land so oft in UN-Resolutionen kritisiert und verurteilt wie Israel. Andererseits ist es der einzige Staat, der sich seit Bestehen der Vereinten Nationen fremdes Land militärisch angeeignet hat, ohne dafür jemals mit Sanktionen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

Die jetzt bekanntgewordenen Dokumente stellen so gesehen auch eine Anklage gegen die Staaten und Völker der Welt dar, die die Palästinenser im Stich gelassen haben. Robert Grenier, ein brillanter Analytiker, der übrigens 27 Jahre lang für die CIA gearbeitet hat, bevor er öffentlich die Seiten wechselte, konstatierte am 23. Januar bei Al-Dschasira: »Meine Reaktion als Amerikaner ist, freimütig gesagt, eine der Scham.« Als Bürger eines Landes, dessen Regierungen Israel seit Jahrzehnten nahezu uneingeschränkt unterstützen, schließt sich der Autor dieses Textes Greniers Bekenntnis an.

* Aus: junge Welt, 1. Februar 2011


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