Es geht um die Unabhängigkeit Palästina!
Ein- oder Zweistaatenlösung - Warum verläuft diese Diskussion falsch?
Von Judith Bernstein *
Wenn in Deutschland bei Diskussionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt über
Regelungen spekuliert wird, ob beide Völker einen eigenen Staat brauchen oder
zusammenleben sollten, gehen die Emotionen hoch. Aber warum maßen wir uns an, beiden
Völkern ihre politische Zukunft vorschreiben zu wollen, statt ihnen selbst die Entscheidung zu
überlassen? Für viele Palästinenser spielt diese europäische Diskussion heute und
wahrscheinlich auch auf absehbare Zukunft keine Rolle. Stattdessen gilt für sie: Es geht um die
Unabhängigkeit Palästinas und die Beendigung der israelischen Besatzung!
Deutsche und internationale Diskussionen um einen Staat oder zwei Staaten sind genauso
verkehrt, wie die um einen jüdischen Staat. Es kann keinen jüdischen Staat mit einem
nichtjüdischen, arabisch-palästinensischen Anteil von fast einem Viertel geben – sieht man
einmal davon ab, dass „jüdisch“ nicht mehr in einem politisch-gesellschaftlichen, sondern in
einem religiösen Sinne definiert werden soll. Da die Zukunft des Staates Israel von allen
Staatsbürgern ebenso abhängt wie von einem Staat Palästina in den heute besetzen Gebieten,
muss Israel daraus die angemessenen Konsequenzen ziehen: Er wird über eine jüdische
Mehrheit verfügen, muss aber allen Bürgern die gleichen Rechte einräumen – so wie Juden und
Moslems in Deutschland in der Mehrheitsgesellschaft Anspruch darauf haben, alle Rechte zu
genießen.
Ein gemeinsamer Staat für Palästinenser und Israelis kann eine Zukunftsvision des 22.
Jahrhunderts sein; über die heute zu befinden, kommt einer Anmaßung gleich. Denn er ist
heute nicht nur eine Utopie, sondern auch gefährlich: Er verlängert und verschärft den Konflikt.
Uri Avnery hat in einem Streitgespräch mit Ilan Pappe vor einigen Jahren sehr deutlich
beschrieben, worauf ein gemeinsamer Staat hinauslaufen würde: auf ein Zweiklassenregime in
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nach all den Erniedrigungen, dem Leid und der
Unterdrückung, denen sich die Palästinenser ausgesetzt sehen, kann man von ihnen nicht
erwarten, dass sie es auf einen gemeinsamen Staat mit den Israelis absehen.
Zugegeben: Vielen Menschen erscheint die Zweistaatenlösung mittlerweile als unrealistisch.
Israel habe durch seine Politik des Siedlungsbaus sowie der militärischen und politischen
Infrastrukturen eine Teilung des Landes unmöglich gemacht. Und doch bieten die Bemühungen
von Machmud Abbas und Salam Fayyad, mit Unterstützung der Mehrheit in der UNGeneralversammlung
den Staat Palästina zu proklamieren, einen Ausweg aus dem
tagtäglichen Desaster. Denn seine förmliche Aufnahme in die Weltgemeinschaft wird eine neue
Lage schaffen.
Manche Palästinenser mögen darauf hinweisen, dass ihr Staat weiterhin unter den
Bedingungen der Besatzung stehen würde, selbst in den Grenzen von 1967. Aber ihm würden
völkerrechtlich viele Optionen offenstehen, so die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in
Den Haag. Die israelische Lesart, bei der Westbank handele es sich um ein „umstrittenes
Territorium“, hätte sich erledigt. Palästina als volles UN-Mitglied wäre der erste Schritt auf dem
Wege der Konfliktlösung. Nach jahrzehntelangen ergebnislosen Bemühungen um den Frieden,
nach zahllosen Konferenzen und wirkungslosen Initiativen haben sich die Palästinenser selbst
auf den Weg gemacht, aus eigener Kraft auf eine Endstatus-Regelung zu dringen.
Wenn es die Bundesrepublik mit ihrer Rhetorik von der Zweistaatenlösung ernst meint, muss
sie ihr politische Taten folgen lassen und der Anerkennung Palästinas in New York zustimmen.
1. Juli 2011
* Veröffentlicht auf der Website von Reiner und Judith Bernstein; www.reiner-bernstein.de
Die Autorin weist auf eine unten stehende Erklärung (im Kasten) hin und bittet um deren Unterzeichnung.
Erklärung
Den Staat Palästina anerkennen!
Um Israelis und Palästinensern ein Leben in Frieden, in politischer Unabhängigkeit, in nationaler Sicherheit und wirtschaftlichem Wohlstand zu ermöglichen, ist eine Anerkennung beider Staaten erforderlich.
Im September wird die palästinensische Regierung voraussichtlich beim UN-Sicherheitsrat und der Vollversammlung die Anerkennung des Staates Palästina in den Grenzen von 1967 beantragen und um die Aufnahme in die UN ersuchen.
Die UN werden voraussichtlich den Staat der Palästinenser anerkennen. Ob Israel sich dem Beschluss fügt, hängt entscheidend von der Haltung der führenden EU-Länder und den USA ab.
Im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten forderte ein Antrag der LINKEN die Bundesregierung auf, diese Initiative zu unterstützen.
Der Antrag in deutscher Fassung als PDF-Datei
Hier kann die Erklärung unterzeichnet werden:
www.palaestina-anerkennen.de
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