Ihr wollt Sicherheit? Beendet die Besetzung!
Ein Beitrag von Marwan Barghuti vom Januar 2002
Im Folgenden dokumentieren wir die deutsche Übersetzung eines Beitrags von Marwan Barghuti (andere Schreibweisen: Barguti, Barghouti) in der US-Tageszeitung "Washington Post" von Mitte Januar 2002.
Barghouti ist Fatah-Generalsekretär in den autonomen Distrikten der Westbank und Mitglied der palästinensischen Nationalversammlung. Am 15. April 2002 wurde er in Ramallah von einer Sondereinheit der israelischen Armee verhaftet. Schon im August letzten Jahres hatte sie versucht, Barghouti mit einem Raketenangriff auf sein Auto umzubringen. Der Anschlag misslang.
Die Schweizer Wochenzeitung WoZ veröffentlichte den Text von Barghouti gekürzt in ihrer Ausgabe vom 18. April 2002. In ganzer Länge ist der Text abgedruckt in dem gerade erschienenen Buch: Kinan Jaeger/Rainer Zimmer-Winkel, Was nun, Palästina? Mit einem Vorwort von Udo Steinbach, Trier 2002 (AphorismA)
Scharon rechtfertigt seine barbarischen und illegalen Massnahmen im
Namen der «Sicherheit». Selber jemand, der oft als Kandidat für eine
Ermordung durch Israel betrachtet wird, kann ich den Israelis versichern,
dass weder meine Ermordung noch einer der andern 82 Morde in den
letzten fünfzehn Monaten sie der gewünschten und verdienten Sicherheit
auch nur ein bisschen näher bringen wird.
Der einzige Weg für die Israelis, sich sicher zu fühlen und sicher zu sein,
ist – recht einfach –, die 35-jährige israelische Besetzung von
palästinensischem Territorium zu beenden. Die Israelis müssen den
Mythos aufgeben, wonach es möglich ist, gleichzeitig Frieden und
Besetzung zu haben, wonach friedliche Koexistenz zwischen dem Sklaven
und dem Meister möglich ist. Der Mangel an Sicherheit für die Israelis
entsteht aus dem Mangel an Freiheit für die Palästinenser. Israel wird seine
Sicherheit erst nach dem Ende der Besetzung haben, nicht vorher.
Sobald Israel und der Rest der Welt diese grundsätzliche Wahrheit einmal
verstehen, wird der Ausweg klar: Beendet die Besetzung, erlaubt den
Palästinensern, in Freiheit zu leben, und lasst die beiden unabhängigen und
gleichberechtigten Nachbarn eine friedliche Zukunft mit engen kulturellen
und wirtschaftlichen Beziehungen aushandeln.
Es darf nicht vergessen gehen, dass wir Palästinenser den Staat Israel auf
78 Prozent unseres Landes anerkannt haben. Es ist Israel, welches das
Recht Palästinas, auf den restlichen 22 Prozent des Landes zu existieren,
nicht anerkennt. Und trotzdem wird den Palästinensern vorgeworfen, sie
seien zu keinen Kompromissen bereit und würden Gelegenheiten nicht
ergreifen. Ehrlich gesagt: Wir sind es müde, immer an der israelischen
Unnachgiebigkeit schuld sein zu müssen, obwohl wir eigentlich nichts
anderes wollen als die Anwendung des internationalen Rechts.
Und wir haben kein Vertrauen in die Vereinigten Staaten – den Spender von
Milliarden von Dollars als Hilfe für die israelische Expansion mit weiteren
illegalen Siedlungen; den «Kämpfer gegen den Terrorismus», der Israel die
F-16-Jets und Kampfhelikopter liefert, die gegen eine wehrlose
Zivilbevölkerung eingesetzt werden; den «Verteidiger der Freiheit und der
Unterdrückten», der Scharon sogar dann umhegt, wenn dieser für seine
Verantwortlichkeit für die Massaker an palästinensischen Flüchtlingen 1982
der Kriegsverbrechen angeklagt ist. Die Rolle der einzigen Supermacht der
Welt reduziert sich inzwischen auf jene eines blossen Zuschauers und
bietet nichts als den müden Refrain des «Haltet ein mit der Gewalt». Sie tut
nichts, um die Wurzel dieser Gewalt anzugehen: die Verweigerung der
Freiheit für Palästina.
Seht, wie der unglückselige General Anthony Zinni seine Bemühungen auf
«die Gewalt» konzentriert, während jüdische Siedler internationales Recht
und auch die amerikanische Politik verletzen, wenn sie im besetzten
Ostjerusalem in neue illegale Siedlungen ziehen. In den letzten fünfzehn
Monaten hat Israel über 900 Palästinenser getötet, ein Viertel davon war
unter 18-jährig. Und immer noch erdreisten sich die USA, einen Uno-Plan
zum Einsatz einer internationalen Schutztruppe, die dem Angriff Einhalt
gebieten sollte, mit ihrem Veto zu Fall zu bringen.
Also müssen wir uns selber schützen. Wenn sich Israel das Recht
herausnimmt, uns mit F-16 und Helikoptern zu beschiessen, darf es nicht
überrascht sein, wenn Palästinenser nach Verteidigungswaffen suchen, um
diese Flugzeuge runterzuholen. Und während ich und die Fatah-Bewegung,
der ich angehöre, Angriffe auf Zivilisten in Israel, unserem künftigen
Nachbarn, entschieden verurteilen, behalte ich mir das Recht vor, mich zu
schützen, mich der israelischen Besetzung meines Landes zu widersetzen
und für meine Freiheit zu kämpfen. Wenn von den Palästinensern erwartet
wird, dass sie unter der Besetzung zu verhandeln bereit sind, dann darf von
Israel erwartet werden, dass es verhandelt, während wir gegen diese
Besetzung Widerstand leisten.
Ich bin kein Terrorist, aber ich bin auch kein Pazifist. Ich bin einfach ein
normaler Typ, der «Mann von der palästinensischen Strasse», der nur für
das eintritt, wofür jeder andere unterdrückte Mensch eintritt – das Recht,
mir selber zu helfen, wenn niemand sonst mir hilft.
Dieser Grundsatz kann sehr wohl zu meiner Ermordung führen. Darum soll
meine Position klar sein – damit mein Tod nicht einfach als Zahl untergeht
in der Statistik von Israels «Krieg gegen den Terrorismus». Während sechs
Jahren darbte ich als politischer Gefangener in einem israelischen
Gefängnis, wo ich gefoltert und mit verbundenen Augen aufgehängt wurde,
während ein Israeli mich mit einem Stock in die Genitalien schlug. Doch
seit 1994, als ich glaubte, dass Israel es ernst meine mit der Beendigung
der Besetzung, war ich ein unermüdlicher Advokat des Friedens auf der
Basis von Fairness und Gleichheit. Ich habe palästinensische Delegationen
angeführt in Treffen mit israelischen Parlamentariern, um gegenseitiges
Verständnis und Zusammenarbeit zu fördern. Ich hoffe immer noch auf ein
friedliches Zusammenleben von zwei unabhängigen Ländern, Palästina und
Israel – auf der Basis eines vollständigen israelischen Rückzugs aus den
1967 besetzten Gebieten und einer gerechten Lösung für die
palästinensischen Flüchtlinge auf der Grundlage der entsprechenden
Uno-Resolutionen. Ich trachte nicht nach der Zerstörung Israels, sondern
nur nach der Beendigung der Besetzung meines Landes.
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