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Hohe Dosis Gift im Körper Arafats

Die Erkenntnis der Lausanner Pathologen ist für Israelis wie Palästinenser unerwünscht

Von Oliver Eberhardt *

Wurde Palästinenserpräsident Arafat ermordet? Eine sichere Antwort gibt es auch nach dem Poloniumfund in seinem Leichnam nicht. Trotzdem hat die Nachricht politische Auswirkungen.

Selten sind sich die Regierungen Israels und Palästinas so einig wie heute: Auf diese Meldung hätte man gern verzichtet. Aus israelischer Sicht, weil mit der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts des Instituts für Strahlenphysik am Universitätskrankenhaus Lausanne in der Schweiz die bereits seit Yasser Arafats Tod im November 2004 umgehenden Mordvorwürfe wieder aufkommen; und aus palästinensischer Sicht, weil damit die Akzeptanz der palästinensischen Führung in der Öffentlichkeit noch weiter leidet. Immerhin verhandelt man momentan, zumindest im Prinzip, mit Israel und hat dabei ohnehin schon Mühe, den Menschen das vor dem Hintergrund von Stillstand und Siedlungsbau zu erklären. »Wir hoffen, dass dieses Thema bald wieder verschwindet«, heißt es aus dem Umfeld der Regierung.

Zumal es noch ein weiteres Problem gibt. Nachdem Arafats Witwe Suha in Zusammenarbeit mit dem katarischen Sender »Al Dschasira« das Schweizer Institut beauftragt hatte, bat die palästinensische Regierung ein russisches Institut darum, den Leichnam zu untersuchen. Der Bericht aus Moskau, der bereits seit Anfang Oktober vorliegen, wurde aber bisher nicht veröffentlicht. Man habe ihn zunächst einmal prüfen wollen, was ziemlich schwer sei, wenn man sich nicht mit Strahlenphysik auskennt, sagt ein Mitarbeiter der palästinensischen Staatsanwaltschaft. Eine Auskunft darüber, was ungefähr die Aussage ist, verweigert er.

Allerdings lässt eine Äußerung von Institutsleiter Wladimir Uiba gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax darauf schließen, dass die russischen Wissenschaftler keine Hinweise auf eine Vergiftung durch Polonium 210 gefunden haben. »So oder so«, sagt ein Mitarbeiter des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, »Wir befinden uns in einer schwierigen Lage. Wurde nichts gefunden, sieht es so aus, als wollten wir etwas unter den Teppich kehren. Wurde was gefunden, müssten wir uns dazu öffentlich äußern, und das würde unser Verhältnis zu Israel noch weiter belasten.«

So oder so ist es aber auch zweifelhaft, ob die von »Al Dschasira« verbreitete, auf Aussagen des britischen Forensikers Prof. David Barclay gestützte Behauptung, Arafat sei mit Polonium vergiftet worden, wissenschaftlich haltbar ist. Physiker merken an, es mache sie stutzig, dass acht Jahre nach dem Tod eine gegenüber dem Normalen um das 18-fache erhöhte Konzentration des extrem tödlichen Elements gemessen worden ist.

Da Polonium 210 eine Halbwertzeit von nur 138 Tagen hat, die sich im lebenden Menschen durch Ausscheidungen auf 50 Tage verkürzt, müsste die damals zugeführte Dosis grob gerechnet 17 Millionen Mal höher gewesen sein – sehr viel höher als die Dosis, die einige Jahre später zum Tode des russischen Dissidenten Alexander Litwinenko führte. Eine solch extrem hohe Dosis hätte aber sehr viel schneller bei viel umfangreicheren Symptomen zum Tode geführt. Grundsätzlich sei es möglich, dass das Polonium 210, das beispielsweise in sehr geringen Dosen auch im Zigarettenrauch vorkommt, auf anderem Wege in Arafats Körper gelangt sei.

Allerdings: Die Aussagen israelischer Regierungssprecher, eine Tötung Arafats sei damals kein Thema in der Umgebung von Premierminister Ariel Scharon gewesen, sind nach derzeitigen Erkenntnissen nicht haltbar. Damals zeichnete sich die Räumung der Siedlungen im Gaza-Streifen ab; Scharon wünschte sich eine neue, israelfreundliche Regierung in Palästina. »Damals wurde im Umfeld Scharons oft darüber gesprochen, wie man Arafat loswerden könnte«, sagt der israelische Publizist Danny Rubinstein heute.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


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