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Araber in Israel: Bürger dritter Klasse

Palästinenser im Gazastreifen: Opfer israelischer Blockadepolitik. Zwei Beiträge



Bürger dritter Klasse

Gezielte Diskriminierung arabischer Israelis. Massenvertreibung durch Beschlagnahme Hunderter Quadratkilometer Land seit 1948

Von Rosso Vincenzo *


In der arabisch-israelischen Hafenstadt Jaffa südlich von Tel Aviv demonstrierten Ende vergangener Woche mehr als 1500 arabische Israelis zusammen mit jüdisch-stämmigen Aktivisten gegen die drohende Vertreibung von 300 palästinensischen Familien aus dem arabischen Stadtteil Ajami in der Altstadt von Jaffa sowie gegen die Konfiszierung der Hälfte des einzigen moslemischen Friedhofs der Stadt. Das Protestspektrum reichte von islamischen Gruppen über Fatah-nahe Kreise bis zur israelischen KP und den »Anarchists against the Wall«. Unter den Demonstranten waren auch mehrere Abgeordnete des israelischen Parlaments, der Knesset. Hintergrund der seit Wochen andauernden Proteste ist die aufgestaute Wut über die gezielte Diskriminierung der verbliebenen arabischen Einwohner Israels.

Sami Abu Shade, einer der Organisatoren des Protests, sagte bei der Veranstaltung: »Die Regierung behauptet, daß das nichts mit Diskriminierung zu tun hat und daß man dem freien Markt keine Knüppel zwischen die Beine werfen könne. Aber seit 1948 haben sie Hunderte Quadratkilometer Land beschlagnahmt und nur eine einzige arabische Stadt errichtet: Rahat für die Beduinen der Negev-Wüste.«

Vor der Massenvertreibung durch die zionistischen Milizen Haganah und Irgun 1948 lebten 70000 Palästinenser in Jaffa. Nach der Zerstörung von 700 Dörfern und der Flucht von 700000 Mensc hen in die Nachbarländer schrumpfte ihre Zahl auf 4000. In ganz Israel machen die 1,2 Millionen arabischen Einwohner aufgrund der hohen Geburtenrate heute wieder 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Adel Manna zufolge, der am renommierten Jerusalemer Van-Leer-Institut das Zentrum zum Studium der arabischen Gesellschaft in Israel leitet, wurden sie allerdings zu »Bürgern dritter Klasse«. »90 Prozent der israelischen Palästinenser leben in arabischen Städten und Dörfern, in denen die Gemeindeverwaltung die wichtigste Einkommensquelle bildet. Die Arbeitslosigkeit erreicht 20 Prozent, das ist mehr als das Doppelte des landesweiten Durchschnitts, und die den Arabern vorbehaltene Infrastruktur bewegt sich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.«

Das bestätigt auch eine Recherche von Yoav Stern, die die linksliberale Tageszeitung Haaretz am Sonntag veröffentlichte. Dort heißt es: »Das Bildungsniveau der Araber hinkt 20 Jahre hinter dem des restlichen Israel her.« Dem Zentralen Büro für Statistik zufolge beträgt auch bei arabischen Akademikern die Arbeitslosenquote 12,5 Prozent gegenüber nur 3,5 Prozent bei ihren jüdischen Kollegen. Diejenigen, die Arbeit bekommen, müssen sich häufig mit zwei oder drei Jobs gleichzeitig durchschlagen und verdienen dabei oftmals weniger als 4000 Schekel (720 Euro) im Monat. Arabische Universitätsdozenten stellen nur ein Prozent des Lehrpersonals.

Professor Jeff Halper, Leiter des Israelischen Komitees gegen die Häuserzerstörung (ICAHD), kämpft seit Jahren dagegen, daß die 20 Prozent arabische Bevölkerung auf 3,5 Prozent des Staatsgebietes zusammengedrängt werden. Einen Grund dafür sieht er darin, daß 93 Prozent des Bodens von der Israel Land Administration und dem Jüdischen Nationalfonds verwaltet würden, die nur Juden Bewilligungen erteilten.

Schon einmal gab es Ansätze zu einem breiten Widerstand gegen diese Zustände. Der allerdings wurde blutig unterdrückt. Als im Oktober 2000 Tausende arabische Israelis Solidaritätsdemonstrationen mit der soeben begonnenen 2. Intifada veranstalteten, erschossen israelische Polizisten 13 von ihnen und verletzten Dutzende weitere. Die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen wurden vor kurzem eingestellt. Dafür müssen sich demnächst jüdische und arabische Studenten der Universität Haifa vor einem Disziplinargericht verantworten, weil sie am 20.Februar 2008 eine friedliche Gedenkveranstaltung für die Opfer organisierten und gegen die Straffreiheit der staatlichen Morde protestierten.

* Aus: junge Welt, 2. April 2008


Keine Erdbeeren aus Gaza

Auf palästinensischen Feldern verrotten wegen Israels Blockadepolitik die Früchte

Von Mohammed Omer, IPS *

Ahmed Felfel ist Erdbeerbauer. Auf seinem Feld in der Nähe der 40000 Einwohner zählenden Stadt Beit Lahiya im Norden des Gazastreifens pflückt er die kleinen wohlschmeckenden Früchte. 300 Meter entfernt steht ein Panzer, aus dem israelische Soldaten die Aktivitäten des palästinensischen Farmers argwöhnisch beobachten. Doch nicht die Präsenz der Militärs bereitet Felfel Sorge, sondern die Blockadepolitik Israels.

Vor einiger Zeit waren es Blumen, die auf den Feldern im Gazastreifen wuchsen und dann an die Kamele verfüttert wurden, jetzt sind es Erdbeeren, die gedeihen und später verderben. Die Blockade der Besatzungsmacht Israel macht aus dem produktiven Landstrich ein trostloses Stück Erde ohne Zukunft. Ahmed verliert dadurch etwa 35000 bis 45000 US-Dollar in dieser Saison. Er beklagt aber nicht nur die Ernteausfälle: »Die israelischen Panzer haben mein Bewässerungssystem, meine Gewächshäuser und meine gesamte Ausrüstung zerstört«, so der Obstbauer.

Beit Lahiya liegt nur wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Auf der anderen Seite befindet sich Siderot, eine Stadt, die schon häufiger mit selbstgebauten Raketen aus dem Gazastreifen beschossen wurde. Israel seinerseits beantwortet die Übergriffe mit dem Abschuß moderner Lenkwaffen. Auf der Suche nach Gebäuden, in denen die Hamas Raketen aufbewahren könnte, kommen die israelische Panzer und Bulldozer über die Grenze und walzen alles platt. Selbst wenn sie nichts finden, werden die Bewohner nicht entschädigt.

Im Durchschnitt ernten die 6000 Erbeerbauern im Gazastreifen 2000 Tonnen Erdbeeren jährlich, die etwa zehn Millionen Dollar einbringen. Etwa zwei Drittel der Ernte werden mit dem zur Hälfte der israelischen Regierung gehörenden Unternehmen »Agrexco« verschifft. Doch im vergangenen November durften gerade einmal sechs Lkw mit Erdbeeren den Gazastreifen verlassen. Dann wurde die Grenze wieder ganz dichtgemacht. Viele Farmer haben die Landwirtschaft aufgegeben. Sie waren es leid, Zeit und Geld in den Anbau zu stecken, um dann zusehen zu müssen, wie die Ernte auf den Feldern verrottet.

Die Blockade wird für den Gaza­streifen, auch wenn sie irgendwann zu Ende gehen sollte, Langzeitfolgen haben. Denn die europäischen Märkte weichen möglicherweise für immer auf verläßliche Bezugsquellen aus.

* Aus: junge Welt, 2. April 2008


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