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Streit über Abbas-Plan

Palästinenser uneins über Anerkennungsinitiative vor UN-Vollversammlung

Von Karin Leukefeld *

Die Palästinenser sind sich unsicher, ob die Initiative zur Anerkennung des Staates Palästina in den Grenzen von 1967 wirklich eine gute Sache ist. Niemand kennt den Text, den Präsident Mahmud Abbas am 20. September UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Abstimmung in der UNO-Vollversammlung übergeben wird. Viele Palästinenser mißtrauen Abbas, seit Anfang des Jahres geheime Verhandlungsprotokolle von Gesprächen der palästinensischen Autonomiebehörde mit Israel und den USA bekanntgeworden sind.

Bei einer öffentlichen Debatte über den UNO-Antrag am vergangenen Freitag in Beit Jala (West Bank) waren viele kritische Stimmen zu hören. Nassar Ibrahim vom Alternativen Informationszentrum (www.alternativenews.org) fragte, wer eigentlich den Antrag bei der UNO einreiche und von wem er dazu autorisiert worden sei. Die Initiative werde nicht von allen Palästinensern getragen, die zudem nie dazu befragt worden seien, so Ibrahim.

Einer der Anwesenden fragte sich, ob der Gang zur UNO »auch bedeutet, daß (den Flüchtlingen, d.Red.) das Recht auf Rückkehr bestätigt wird«. »Falls wir eine Zwei-Staaten-Lösung erreichen, werden wir das historische Palästina verlieren?« Würden die Flüchtlinge in die Gebiete nach dem 1967er Krieg zurückkehren oder werde weiter ihr Recht eingefordert, »in den Gebieten von 1948« zu leben? Natürlich hoffe man auf einen Staat, sagte Ahmed Abu Saleh aus dem Aida-Flüchtlingslager in Bethlehem. Allerdings müsse man sich fragen, was das für ein Staat sein solle und wie der regiert werde: »Hier haben wir Bethlehem, dort Ramallah, da drüben Nablus, und die Westbank und Gaza sind noch immer getrennt.«

Linke Kritiker des UNO-Antrags haben davor gewarnt, daß die Palästinenser in einer Sackgasse landen könnten. Der Vorschlag, Palästina in den Grenzen von 1967 anzuerkennen, werde zu »Bantustans« führen, argumentierte die Südafrikanerin Virginia Tilley im Internetportal »Electronic Indifada« (www.electronicintifada.net). Sie tritt für eine Ein-Staaten-Lösung ein.

Mustafa Barghouti von der Partei der Nationalen Palästinensischen Initiative bezeichnete den Antrag bei der UNO als Teil eines »diplomatischen Kampfes gegen Israel« Werde der Antrag als Mittel einer »Diplomatie des Widerstandes« eingesetzt, wäre es richtig. Die Palästinenser würden nicht »Sklaven der Apartheid bis an ihr Lebensende« bleiben, so Barghouti. »Wenn Südsudan innerhalb von 48 Stunden ein eigener Staat wird, müssen auch die Palästinenser ihn bekommen.«

Sowohl die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) als auch die Volksfront (PFLP) unterstützen den Antrag, wenn auch mit einiger Distanz. Die Führung der Hamas kritisierte den Antrag als »nicht abgesprochene einseitige Entscheidung« von Mahmud Abbas. Aus Reihen des Islamischen Jihad war zu hören, daß es unter Besatzungsbedingungen keinen palästinensischen Staat geben könne.

Der Ältestenrat ehemaliger Präsidenten (www.theElders.org) hat sich derweil an die 27 EU-Mitgliedsstaaten gewandt und sie aufgefordert, den palästinensischen Antrag zu unterstützen. Hilfe für den UNO-Antrag der Palästinenser kam auch vom früheren saudischen Botschafter in Washington, dem ehemaligen Geheimdienstchef Prinz Turki Al-Faisal. In einem Beitrag für die New York Times warnte Al-Faisal vor einem US-Veto im UNO-Sicherheitsrat. Die Mehrheit der Araber und Muslime forderten »Gerechtigkeit für die Palästinenser«, ein Veto werde »grundlegend negative Auswirkungen« haben und »die US-Politik gegenüber Irak, Afghanistan und Jemen« gefährden. Die Weltbank warnte ihrerseits vor einer finanziellen Krise für die Palästinenser. Verschiedene Geberstaaten haben bereits im ersten Halbjahr 2011 ihre Zahlungen eingestellt oder verzögert, Israel hat die Überweisung von Zolleinnahmen an die Palästinenser gestoppt.

Die Arabische Liga hat sich bei ihrer aktuellen Sitzung in Kairo hinter den Plan der Palästinenser gestellt. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte bei der Sitzung in Kairo nach Angaben der amtlichen ägyptischen Nachrichtenagentur Mena, die Europäische Union unterstütze den Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat. Allerdings müsse dieser auf dem Verhandlungsweg vereinbart werden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte zuvor Mahmud Abbas in der jordanischen Hauptstadt Amman zur Vorsicht gemahnt und erklärt, ein einseitiges Vorgehen der Palästinenser könnte dem Friedensprozeß schaden. US-Präsident Barack Obama warnte in einem Interview, daß ein Alleingang der Palästinenser lediglich eine »Ablenkung« sei und nicht zu einem überlebensfähigen Staat führen werde. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin versprach den Palästinensern hingegen die Unterstützung seines Landes.

* Aus: junge Welt, 14. September 2011


Israel in der Sackgasse

Von Rainer Rupp **

Seine Aggressionskriege, seine Besatzungspolitik und seine Verhöhnung internationaler Rechtsnormen hat Israel zunehmend in die internationale Isolierung getrieben. Mit der jüngsten Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo, mit der Ausweisung des israelischen Botschafters aus der Türkei samt Abbruch der militär- und rüstungspolitischen Zusammenarbeit und mit der voraussichtlichen Anerkennung der nationalen Staatlichkeit Palästinas durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen noch in diesem Monat hat diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Damit hat Israel innerhalb kürzester Zeit seine wichtigsten und einzigen islamischen Verbündeten verloren. Zugleich begreifen auch immer mehr Israelis, daß die sture, ganz auf die Verhinderung der palästinensischen Staatlichkeit fokussierte Politik der Netanjahu-Regierung in die Sackgasse geführt hat.

Vor dem Hintergrund eines radikal veränderten Nahen und Mittleren Ostens sind daher ohne einschneidende Veränderungen der israelischen Außenpolitik die Optionen zur Lösung der anstehenden Probleme äußerst begrenzt. Zugleich wachsen der Regierung in Tel Aviv die innenpolitischen Probleme über den Kopf. Seit Wochen äußert sich die soziale Unzufriedenheit der israelischen Bevölkerung in Massenprotesten gegen die neoliberale Verfaßtheit der israelischen Wirtschaft und Gesellschaft, die inzwischen sogar zur Verarmung der gebildeten Mittelschicht führt. Auch darauf hat die Netanjahu-Regierung bisher keine Antwort gefunden und wirkt wie gelähmt.

Am vergangenen Samstag (10. September) landeten israelische Militärmaschinen im Morgengrauen in Kairo, um die Botschaftsangehörigen zu evakuieren. Die Notevakuierung in Kairo habe in fataler Weise viele Israelis an die Rettung der israelischen Botschaftsangehörigen aus dem Iran im Revolutionsjahr 1979 erinnert, schrieb die New York Times Anfang der Woche. Damals war dem zionistischen Staat aus dem verbündeten Schah-Regime urplötzlich ein unversöhnlicher Gegner erwachsen. Der Sturm auf die Botschaft in Kairo signalisiere dort eine ähnliche Entwicklung, egal ob die ägyptische Übergangsregierung nicht willens oder nicht fähig war, die Übergriffe der Massen zu stoppen.

Indessen versuchen israelische Regierungsvertreter der westlichen Welt die diplomatischen Spannungen mit Ägypten und der Türkei mit dem Schreckgespenst der islamischen Radikalisierung zu erklären. »Ägypten ist nicht auf dem Weg in die Demokratie, sondern auf dem Pfad der Islamisierung«, wird z. B. der israelische Diplomat und Exbotschafter in Kairo in US-Medien zitiert. Und weiter: »Es ist dasselbe in der Türkei und in Gaza. Genau so hat es 1979 in Iran begonnen«. Fakt ist jedoch, daß die islamistische Moslem-Bruderschaft in Ägypten sich gegen die Erstürmung der israelischen Botschaft ausgesprochen hatte und die gewaltbereiten Aktivisten hauptsächlich aus den Reihen säkularer Bewegungen kamen.

Die potentiellen militär-strategischen Folgen der rasanten Verschlechterung der israelischen Beziehungen zur Türkei und zu Ägypten sind schwerwiegend und erfordern laut New York Times »ein radikales Umdenken der israelischen Verteidigungsdoktrin«. In den letzten drei Jahrzehnten habe Ruhe an der Grenze zu Ägypten geherrscht, selbst wenn gegen Gaza oder Libanon Krieg geführt wurde. Damit ist nun Schluß. Zugleich stellt die Ankündigung der Türkei, sich den Gasexplorationsplänen Israels im östlichen Mittelmeer zu widersetzen, das Förderabkommen mit Zypern in Frage und droht zugleich, einen Konflikt mit Libanon über die Förderrechte anzuheizen.

* Aus: junge Welt, 14. September 2011


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