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Wird Palästina das 194. UN-Mitglied?

Heute beginnt in New York die 66. Vollversammlung der Vereinten Nationen

Von Olaf Standke *

Im UN-Hauptquartier am New Yorker East River beginnt heute die 66. Vollversammlung der Vereinten Nationen. Sie ist das Plenum der Weltorganisation, in dem alle Mitgliedstaaten eine gleichberechtigte Stimme haben.

Die UN-Vollversammlung sei die moralische Macht und das moralische Gewissen der Menschheit – Joseph Deiss ließ es nicht an Pathos fehlen, als er jetzt seinen Platz im Hauptquartier der Weltorganisation räumte. Ein Jahr lang hatte der Schweizer Diplomat den Vorsitz im Plenum der nunmehr 193 Mitgliedstaaten inne. Anfang Juli war der Präsident der Vollversammlung nach Juba, der Hauptstadt Südsudans gereist, um an der Unabhängigkeitszeremonie des neuen Staates teilzunehmen. Zwei Wochen später wurde das Land in New York als UN-Mitglied aufgenommen. Ob ihm demnächst Palästina folgt, ist eine der brisantesten Fragen der neuen Sitzungsperiode.

Am 19. September, kurz vor Beginn der traditionellen Generaldebatte, will Mahmud Abbas UN-Generalsekretär Ban Ki Moon einen entsprechenden Antrag übergeben – obwohl Bundesaußenminister Guido Westerwelle wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gestern noch einmal versucht hätten, den Palästinenserpräsidenten davon zu überzeugen, »einen Weg zu finden, um eine Konfrontation vor den Vereinten Nationen zu verhindern«, wie es Riad Malki, der Außenminister der von der Fatah geführten Autonomiebehörde, formulierte.

Ban Ki Moon dagegen hat die Schaffung eines eigenständigen Palästinenserstaates als »längst überfällig« bezeichnet. Die Zwei-Staaten-Lösung, bei der Israelis und Palästinenser »in Frieden und Sicherheit Seite an Seite leben« sei eine »Vision«, die er weiter voll und ganz unterstütze. Aber es sei nicht der UN-Generalsekretär, der in dieser Sache zu entscheiden habe. Die Anerkennung hänge von den Mitgliedsländern ab.

Reicht Palästina ein offizielles Aufnahmegesuch ein, würde der UN-Sicherheitsrat, das wichtigste Beschlussorgan der Vereinten Nationen, eine Empfehlung für oder gegen den Antrag aussprechen. Eine positive Empfehlung bedarf der Zustimmung von neun der 15 Mitgliedstaaten, allerdings inklusive aller ständigen Ratsmitglieder. Bei einer solchen Mehrheit würde anschließend die Vollversammlung prüfen, ob der Antragsteller entsprechend Kapitel II, Artikel 4 der UN-Charta »die Verpflichtungen aus dieser Charta übernehmen« will und »nach dem Urteil der Organisation fähig und willens« ist, diese auch zu erfüllen.

Wenn ja, müsste sich das Gremium schließlich mit einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder für die Aufnahme aussprechen (Kapitel IV, Artikel 18/2). Im Plenum, wo alle Staaten unabhängig von ihrer Größe eine gleichberechtigte Stimme haben, könnten die Palästinenser mit dieser Mehrheit rechnen. Doch haben die USA als ständiges Mitglied schon angekündigt, dass sie im Weltsicherheitsrat die Aufnahme notfalls mit ihrem Vetoprivileg verhindern wollen.

Dieser nach wie vor gültige Mechanismus zeigt, dass die Vereinten Nationen bei ihrer Demokratisierung nicht weitergekommen sind. Joseph Deiss hält aber eine baldige Reform des Weltsicherheitsrates für unwahrscheinlich, obgleich sie von vielen Staaten gewünscht werde. Wenn es hier nicht gelinge, eine »ausgewogenere regionale« Präsenz zu erreichen »wird die Organisation an Glaubwürdigkeit verlieren«, warnte er. Die Reform werde vor allem durch die Schlüsselfrage der Aufnahme weiterer ständiger Mitglieder blockiert. Derzeit strebten mehrere Staaten, darunter Deutschland, Japan, Brasilien und Indien, einen permanenten Sitz an. Zugleich habe er sich in seiner Amtszeit darum bemüht, die Wirtschaftskompetenz der Weltorganisation und ihre Anbindung an neu entstandene globale Foren wie die G 20-Gipfel zu stärken, so Deiss.

Vor allem aber hat die UNO die eigentlich doch unantastbare Souveränität von Mitgliedstaaten im Falle Libyens ausgehebelt und über den Sicherheitsrat der NATO ein mit der Schutzverantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung begründetes Mandat für einen Militäreinsatz erteilt, das ohne weitere Abstimmung hin zum Regimewechsel ausgedehnt wurde. Ein Erbe, das auch die Arbeit des Präsidenten der 66. Vollversammlung mit prägen dürfte: Nassir Abdulaziz al-Nassir trat gestern sein Amt an. Der bisherige UNO-Botschafter Katars, seit 1998 in New York, verfügt über langjährige Praxis in der multilateralen Diplomatie, unter anderem als Vorsitzender der G 77, einem Zusammenschluss von Entwicklungsländern. Er weiß also gut, was da auf ihn zukommt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011


Palästinenser verärgert über Deutschland

Berlin spricht sich gegen Staatsgründung aus **

Eine Woche vor dem geplanten Antrag der Palästinenser auf Anerkennung eines eigenen Staates durch die UN versucht Außenminister Westerwelle gegenzusteuern. Bei den Palästinensern stößt dies auf Protest.

Deutschland hat nach palästinensischen Angaben versucht, die Palästinenser von ihrem Vorhaben abzubringen, einen eigenen Staat durch die UN anerkennen zu lassen. Außenminister Guido Westerwelle habe während eines Gesprächs mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Amman erklärt, Deutschland unterstütze die Initiative nicht, hieß es am Montag im palästinensischen Rundfunk. »Deutschlands Position ist wie die anderer europäischer Staaten nicht positiv«, sagte der Außenminister der von der Fatah geführten Palästinenserverwaltung, Riad Malki, dem Sender.

Ein Sprecher des deutschen Außenministeriums sagte dagegen: »Von deutscher Seite gibt es keine Festlegung, so lange nicht klar ist, was wann, wo und wie (von den Palästinensern) auf den Tisch gelegt wird.« Aus deutschen Delegationskreisen hieß es, es bestehe der Eindruck, dass die Art und Weise des palästinensischen Vorgehens noch nicht festgelegt sei.

Westerwelle war am Sonntagabend (11. Sept.) in Amman eingetroffen. Nach Gesprächen mit Jordaniens König Abdullah II. und seinem Amtskollegen Nasser Dschauda wurde er noch am Montag in Israel erwartet. Aus Sicht Israels kann ein Palästinenserstaat nur Ergebnis von Verhandlungen sein.

Westerwelle betonte nach Angaben des Außenministeriums im Gespräch mit Abbas, Deutschland unterstütze nach wie vor das Ziel eines lebensfähigen palästinensischen Staates. Man sei jedoch gut beraten, Schritte zu vermeiden, die Fortschritte auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung erschwerten.

Abbas will auch gegen internationalen Widerstand die Anerkennung eines eigenen Palästinenserstaates durch die Vereinten Nationen erreichen. Einen entsprechenden Antrag will er am 19. September in New York UN-Generalsekretär Ban Ki Moon übergeben. In der UN-Generalversammlung kann er mit einer Mehrheit rechnen, im UN-Sicherheitsrat gilt ein US-Veto jedoch als sicher.

Die Palästinenser wollen eine Anerkennung als staatliche Einheit durch die Vereinten Nationen erreichen, um ihre Position Israel gegenüber zu verbessern. Eine solche Anerkennung würde aber die Situation in den Palästinensergebieten nicht verändern. Es wird auch eine neue Welle der Gewalt in Nahost befürchtet. Abbas betont, der Schritt sei nicht gegen Israel gerichtet, sondern könne dabei helfen, den Stillstand bei den Nahostverhandlungen zu überwinden.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Spannungen mit Israel sucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine weitere Annäherung an die arabische Welt. Während seines am Montag begonnenen Besuchs in Kairo will Erdogan seine Rolle im Arabischen Frühling stärken. Auf eine bewusste Provokation Israels wird der 57-Jährige aber aller Voraussicht nach verzichten. Es werde nicht erwartet, dass Erdogan in den Gazastreifen reisen werde, hieß es am Montag aus dem ägyptischen Außenministerium. Über eine derartige Reise, die von Israel als Affront verstanden würde, hatte der türkische Regierungschef in den vergangenen Wochen mehrfach laut nachgedacht.

** Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011


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