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"Abbas muß jetzt erläutern, was er will"

Nach dem Abstimmungssieg in der UNO: Palästina braucht eine längerfristige Strategie. Ein Gespräch mit Nassar Ibrahim *


Nassar Ibrahim ist Publizist und Aktivist des linken »Alternative Information Center« (AIC) in Jerusalem. Zuvor war er Chefredakteur des Wochenmagazins El Hadaf der marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP).


Die UN-Vollversammlung hat in der vergangenen Woche den Status der palästinensischen Vertretung zu dem eines Beobachterstaates aufgewertet. Welches Gewicht hat diese Entscheidung?

In der Praxis ändert sich gar nichts, das israelische Kolonialsystem wird dadurch nicht angetastet. Was wir erleben, ist eine Umkehrung der politischen Strategie der Palästinenser.

Immerhin hat die Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas ihren Antrag durchgebracht. Was hat sich im Vergleich zum ersten Anlauf vor einem Jahr verändert?

Damals war Abbas mit der Forderung nach Vollmitgliedschaft gescheitert. Dann hat er beschlossen, erst einmal zur UNESCO zu gehen, die Palästina als Mitgliedsstaat akzeptierte, und nun einen neuen, weniger weitgehenden, Antrag gestellt. Die Folge war eine weitere Erhöhung des politischen Drucks auf die Regierung in Ramallah von seiten Israels, das mehrmals die Überweisung von Steuergeldern an die palästinensischen Kassen stoppte. Hinzu kam, daß sowohl die USA als auch die europäischen Staaten ihre Finanzhilfen reduzierten oder einfroren.

Israel hat prompt den Bau weiterer Siedlungen angekündigt. Es versucht, der Welt weiszumachen, die palästinensische Initiative sei ein einseitiger Akt, der den Friedensprozeß untergrabe. Das Gegenteil ist richtig: Dieser imaginäre Friedensprozeß steckt seit Jahren in der Sackgasse, weil Israel immer wieder vollendete Tatsachen schafft: Die Siedlungen werden immer größer, Jerusalem ist besetzt, und Gaza steht seit fast zehn Jahren unter Belagerung. Für das palästinensische Volk ändert sich durch die UN-Entscheidung nichts.

Woher rührt die plötzliche Fähigkeit von Abbas, den israelischen Drohungen und dem Druck der USA zu widerstehen?

Das liegt paradoxerweise an seiner Schwäche. Abbas muß sein Ansehen als Führer, das durch jahrelange Tatenlosigkeit und Unterwürfigkeit stark gelitten hat, dringend aufbessern. Bei den letzten Kommunalwahlen hat seine Partei – die Fatah – Stimmen verloren, obwohl sie praktisch allein angetreten ist. Seit September 2011 ist die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik des Präsidenten massiv eingebrochen. Die Hamas hingegen hat neue Sympathien gewonnen – sie genießt in diesen Tagen eine neue Legitimität, nicht nur in der palästinensischen Gesellschaft, sondern auch in der übrigen arabischen Welt.

Vor einem Jahr war die Hamas noch gegen diese UN-Initative – in diesem Jahr ist sie dafür. Wie das?

Heute ist die politische Lage grundlegend anders: Aus dem israelischen Militärfeldzug gegen den Gazastreifen ist die Hamas siegreich hervorgegangen. Hinzu kommt, daß auch Ägypten inzwischen unter den großen Schirm der USA geraten ist. Die Moslembrüder in Kairo haben durchaus nicht die Absicht, mit den USA zu brechen, sie werden auch nicht den mit Israel in Camp David geschlossenen Vertrag in Frage stellen. Deshalb unterstützt die Hamas nun Abbas und akzeptiert damit implizit die Grenzen von 1967. Also auch die Existenz des Staates Israel, womit sie auf das Ziel des historischen Palästina verzichtet.

War es falsch, diesen Antrag in der UNO gestellt zu haben?

Wie der Großteil der Palästinenser bin ich nicht sonderlich begeistert darüber, aber das Problem ist nicht, ob man vor die UNO geht oder nicht, sondern das Fehlen eines langfristigen politischen Horizonts. Abbas muß erläutern, was er will: Die PLO wiederbeleben? Den internen Kampf beenden? Oder den bewaffneten Kampf zugunsten der Diplomatie einstellen?

Um die palästinensische Frage am Leben zu halten, sind andere Dinge als eine UN-Abstimmung nötig. Abbas braucht eine politische Strategie, er muß die Beziehungen zur arabischen Welt, zu Rußland und zu China verstärken. Und er muß aufhören, der UNO und den westlichen Ländern nachzulaufen, in der Hoffnung, daß die ihm ein paar Krümel hinwerfen.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 05. Dezember 2012


Lehrstück in Demokratie

US-Kongreß will Strafmaßnahmen gegen die Palästinenser wegen Aufwertung ihres Status in der UNO beschließen

Von Knut Mellenthin *


Die offizielle Pro-Israel-Lobby der USA, das AIPAC, hat Regierung und Kongreß der Vereinigten Staaten am vorigen Donnerstag aufgefordert, die Palästinenser zu bestrafen. Kurz zuvor hatte die UN-Vollversammlung der palästinensischen Vertretung den Status eines »non-member observer State« zugesprochen, der dem des Vatikan entspricht. Nur neun Staaten, darunter Tschechien als einziges europäisches Land, hatten gegen den von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gestellten Antrag gestimmt; 41 enthielten sich.

Da solche Aufforderungen des AIPAC regelmäßig einen Wettkampf der Klassenstreber im Kongreß auslösen, sind bereits mehrere teils konkurrierende, teils sich womöglich ergänzende Beschlußvorlagen auf dem Weg. Allein im Senat wurden bis Dienstag mindestens drei verschiedene Anträge eingebracht.

Als aussichtsreichste gilt dort die parteiübergreifende Gesetzesinitiative der Senatoren Chuck Schumer, Robert Menendez, John Barrasso und Lindsey Graham. Die ersten beiden gehören zu den Demokraten, die anderen zu den Republikanern. Die Hauptpunkte ihres Entwurfs sind: Erstens, sofortige Schließung des PLO-Büros in Washington, solange die Palästinenser keine »ernsthaften Verhandlungen« mit Israel aufgenommen haben. Zweitens, Streichung der amerikanischen Finanzhilfe für die Palästinenserregierung, falls der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zu irgendeiner von dieser eingebrachten oder unterstützten Sache ein Urteil spricht.

Ein rein republikanischer Antrag der Senatoren Barrasso, Mike Lee und James Inhofe fordert darüber hinaus, die Finanzhilfe für die Palästinenser und die Zuschüsse für die Vereinten Nationen sofort um jeweils 50 Prozent zu kürzen. Allen Staaten, die für die UN-Resolution gestimmt haben, sollen 20 Prozent der amerikanischen Hilfszahlungen gestrichen werden – sofern sie solche erhalten. Eine Vorlage, die von einigen Senatoren der äußersten republikanischen Rechten eingebracht wurde, verlangt die sofortige Einstellung aller Zahlungen an die Palästinenserbehörden.

Konkret geht es dabei um 495 Millionen Dollar aus dem laufenden Haushalt, deren Freigabe der Kongreß ohnehin schon seit längerer Zeit blockiert, und 440 Millionen Dollar, die die US-Regierung für das nächste Steuerjahr beantragt hat. Die Obama-Administration ist offenbar über die neuen Querschüsse des Kongreß nicht gerade glücklich. Der stellvertretende Pressesprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, erklärte Journalisten am vorigen Freitag, die Regierung sei zwar gegen die Entscheidung der Vereinten Nationen, beabsichtige aber keine unmittelbaren Reaktionen. Die Sprecherin des Außenministeriums, Victoria Nuland, erklärte, daß es zur Zeit kein US-Gesetz gebe, das wegen der Aufwertung der Palästinenserregierung durch die UNO irgendwelche Konsequenzen vorschreibe.

Offensichtlich kann die Pro-Israel-Lobby mit den bisherigen Reaktionen der US-Regierung nicht zufrieden sein. Verlangte sie doch in ihrer Stellungnahme vom vorigen Donnerstag, daß Barack Obama den Palästinensern einen detaillierten Katalog von Strafen mitteilen müsse, die ihnen drohen, »wenn sie mit derartigen Aktionen fortfahren«.

Anders als die US-Regierung, die immerhin gelegentlich mild kritisch zur zionistischen Bau- und Siedlungspraxis in den besetzten Gebieten Stellung nimmt, funktioniert der Kongreß mittlerweile zu allen Israel betreffenden Themen als zuverlässige Abstimmungsmaschine, die eine Uniformität produziert, die ansonsten für totalitäre Staaten typisch ist. Zumindest in den letzten zwanzig Jahren wurde vom Kongreß keine einzige Resolution verabschiedet, die Kritik an der Verletzung der Menschenrechte gegenüber den palästinensischen Bewohnern und der ständigen Ausweitung der illegalen Siedlungen in den besetzten Gebieten enthielt

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 05. Dezember 2012


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