Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Jubel in Palästina

Abbas nach Antrag auf UN-Vollmitgliedschaft in Ramallah begeistert empfangen. Vorschlag des Nahostquartetts zurückgewiesen: Verhandlungen erfordern Siedlungsstopp

Von Karin Leukefeld *

Von jubelnden Menschenmassen ist der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, am Sonntag (25. Sept.) in Ramallah nach seiner Rückkehr von der UN-Vollversammlung in New York begrüßt worden. Der »palästinensische Frühling« habe begonnen und werde zu einem »unabhängigen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt führen«, sagte Abbas vor Tausenden Anhängern. Vor seiner Abreise aus New York hatte er am Samstag den Vermittlungsvorschlag des Nahostquartetts zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit Israel zurückgewiesen. Der Vorschlag von UN, USA, EU und Rußland sei inakzeptabel, da er keinen verbindlichen Stopp des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten vorsehe, sagte Abbas in einer ersten Reaktion.

Die Initiative sieht binnen vier Wochen ein erstes Vorbereitungstreffen zwischen Israel und den Palästinensern vor. Nach drei Monaten sollen umfassende Vorschläge zu Grenz- und Sicherheitsfragen vorgelegt werden, nach sechs Monaten »substantielle Fortschritte« erzielt sein, und Ende 2012 soll dann ein Rahmenabkommen für einen Friedensvertrag vorliegen. Siedlungen, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und der Status von Jerusalem sind nicht erwähnt.

Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman sagte, sein Land solle den Vorschlag annehmen, weil er keine Vorbedingungen enthalte. Außenminister Guido Westerwelle betonte, Frieden und eine gerechte Zwei-Staaten-Lösung könnten nur durch Verhandlungen erreicht werden. Der ägyptische Außenminister Mohamed Kamel Amr warf hingegen vor der UN-Vollversammlung am Samstag dem Quartett Versagen vor. Friedensgespräche seien »total absurd (…), wenn Israel in aller Seelenruhe und völlig gleichgültig gegenüber den Einwänden der Staatengemeinschaft den Siedlungsbau in (…) der Westbank fortsetzt«, so Kamel Amr. Israel verändere gewaltsam den Charakter des besetzten Ostjerusalem und denke nicht daran, seine Blockade gegen den Gazastreifen aufzuheben, obwohl sie gegen internationales Völkerrecht verstoße. »Jeder, der ein Gerechtigkeitsgefühl hat«, könne das sehen.

Abbas hatte den Antrag auf die UN-Vollmitgliedschaft am Freitag UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überreicht, Tausende Palästinenser hatten anschließend seine Rede live im Fernsehen verfolgt. Es sei an der Zeit, daß die Palästinenser endlich das Recht bekämen, Bürger ihres eigenen Staates zu sein, sagte Abbas vor dem UN-Plenum. Nach Jahrzehnten von »Vertreibung, kolonialer Besatzung und unablässigem Leid« wollten die Palästinenser wie andere Völker auf der Erde »frei in einer souveränen und unabhängigen Heimat leben«. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte in seiner Rede erneut vor der Anerkennung eines Staates Palästina und forderte Abbas auf, Israel als »jüdischen Staat« anzuerkennen.

Der PLO-Vertreter Nabil Shaath sagte am Sonntag (25. Sept.), im Sicherheitsrat könne man mit der Zustimmung von neun der 15 Mitgliedsstaaten rechnen. Nigeria, Indien und Gabun würden für den Antrag stimmen. Eine Sicherheitsratsresolution gilt mit neun Stimmen als angenommen, die USA haben allerdings ihr Veto angekündigt. Barack Obama sei durch den Präsidentschaftswahlkampf 2012 beeinflußt, sagte Shaath der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News. Man werde ihm aber nicht »auf Kosten der palästinensischen Sache helfen«. Der amerikanische Präsident unterwerfe »sich lieber der zionistischen Lobby, aber in der arabischen Welt wird er viel verlieren«.

* Aus: junge Welt, 26. September 2011


Kontraproduktiv

Von Uwe Sattler **

Mahmud Abbas ist mehr als zögerlich. Praktisch habe es über Jahre keine ernsthaften Friedensgespräche gegeben, begründete der Palästinenserpräsident seine Vorbehalte gegenüber den neuen Verhandlungsvorschlägen des Nahostquartetts. Zudem hätten die vier Mitglieder USA, Russland, EU und UNO die für die Palästinenser zentrale Siedlungs- und Grenzfrage nicht ausdrücklich auf die Tagesordnung genommen.

Vom ursprünglichen Ansatz des Nahostquartetts, eine dauerhafte Konfliktlösung herbeizuführen, war in der Vergangenheit tatsächlich nichts zu spüren. Aktiv wurde die Runde nur, wenn sich die Krise wieder einmal zuspitzte oder das Zusammentreten faktisch erzwungen wurde, wie jetzt mit dem palästinensischen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO. Stets war allerdings bereits nach den ersten Gesprächsrunden klar, was sich bewegen wird – nichts. Dass dies so ist, liegt wesentlich am Geburtsfehler des Quartetts. EU und Vereinte Nationen sind in der Nahostfrage, wie die Reaktionen auf den UNO-Antrag erneut belegten, gespalten; Russland und die USA denken noch in Kategorien der Systemkonfrontation und sehen den Nahostkonflikt als Stellvertreterkrieg.

Die Ablehnung der Autonomiebehörde ist trotzdem kontraproduktiv. Abbas und seine Palästinenserfraktion hatten argumentiert, dass der UN-Antrag den Verhandlungen neuen Schub geben sollte. Statt das Quartett nun beim Wort zu nehmen und konstruktiv mitzuwirken, werden Vorbedingungen gestellt. Sollte aber der UNO-Vorstoß nur für den Flügelkampf der Palästinenser oder das Renommee von Abbas gedacht sein, wird die breite Unterstützung für das Anliegen schnell schwinden.

** Aus: Neues Deutschland, 26. September 2011 (Kommentar)


Zurück zur Palästina-Seite

Zur UNO-Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage